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Find the Balance/06.07.2022

Find the Balance: Wie viel Yoga steckt im weltweiten Hype?

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Yoga ist ein Massenphänomen. Aber was haben die Instagram-Nabelschauen und Asana-Angebereien von Yoga-Influencern noch mit der ganzheitlichen Selbstfindung aus der hinduistisch geprägten Lehre zu tun? In der Yogi-Szene regt sich Widerstand. Doch selbst in Indien ist aus dem Kulturgut längst ein Politikum geworden. Höchste Zeit für Yoga, mal wieder in sich zu gehen und seine innere Mitte zu finden.

Der Westen macht Yoga kaputt. Nicht weniger als das proklamieren einige Yogis derzeit unter dem Hashtag #decolonizeyoga.

Der Vorwurf: Mit der rund 5000 Jahre alten Yoga-Lehre aus Indien hätten die Verrenkungen westlicher Influencer wenig gemeinsam. Die vor allem von Weißen geprägte weltweite Yoga-Industrie mit ihrem Fokus auf Asanas – also auf körperliche Übungen – habe mit dem jährlichen Umsatz von 80 Milliarden US-Dollar den spirituellen Unterbau ausgehöhlt und wandle Yoga zu einem Lifestyle-Fitnessprogramm um.

„Yoga ohne die Philosophie ist kein Yoga. Yoga auf bloße Asanas zu reduzieren, schadet uns allen“, findet etwa Anusha Wijeyakumar, US-amerikanische Yoga-Lehrerin mit Wurzeln in Sri Lanka. Stattdessen werde Yoga dadurch „ableistisch, heteronormativ, elitär, white washed und unzugänglich, wodurch es zu einem weiteren Werkzeug der Unterdrückung wird“.

Yoga „mehr amerikanisch als indisch“

Wijeyakumar und zahlreiche weitere Yogi bieten mittlerweile ganze Seminare an, mit denen sie über die Ursprünge und Lehren von Yoga aufklären möchten.

Ganz aus der Luft gegriffen ist der Vorwurf nicht: 2021 waren in den USA 77 Prozent der Yoga-Lehrerinnen und -Lehrer Weiße. Gerade einmal 4,1 Prozent hatten asiatische Wurzeln. In einem Gerichtsprozess wurde in den Staaten 2013 die Rechtmäßigkeit von Yoga-Kursen an Schulen verhandelt. Hintergrund des damaligen Falles Sedlock vs. Baird: Die Kläger sahen im Yoga-Unterricht eine verfassungswidrige Indoktrinierung mit religiösen, weil hinduistischen Lehren.

Zwar scheiterte die Klage, doch die Argumentationslinie der Yoga-Verteidiger vor Gericht bestätigte letztlich sogar die Vorwürfe der kulturellen Aneignung durch den Westen. Yoga in den USA sei laut Aussagen aus dem Gerichtsprotokoll „so säkulär wie Aerobic“ und mittlerweile „mehr amerikanisch als indisch“.

Instagram-Leere statt ganzheitlicher Lehre?

Auch bei der Mehrheit der deutschen Yoga-Fans steht laut einer Studie des Berufsverbands der Yogalehrenden in Deutschland (BDYoga) das Spirituelle klar im Hintergrund. Während 66 Prozent der deutschen Yogis angaben, die Übungen vor allem für die Verbesserung des körperlichen Befindens auszuüben, praktiziere nur ein Viertel Yoga aus persönlichem Interesse an der spirituellen Ebene.

Dabei spielt gerade die in den zahlreichen Yoga-Retreats und -Schulen in Indien oder südostasiatischen Ländern wie Thailand eine wichtige Rolle. Meditation, bewusstes Atmen, das Studium spiritueller und religiöser Texte, fleischlose Ernährung, Gesänge und Zeremonien sind dort integrale Bestandteile der ganzheitlichen Yoga-Lehre. Statt nach außen richtet sich der Blick auf das Allerinnerste.

Wie soll diese Introspektive gelingen, während auf Instagram oder Tiktok ein regelrechter Wettkampf um immer waghalsigere Posen und damit neue Follower tobt?

Asana ist das Eingangstor

Die Antwort: Muss sie denn überhaupt für jeden gelingen? Ist es nicht gerade die Stärke der so zugänglichen Asanas, der perfekte Einstieg in den Yoga-Kosmos zu sein, den inzwischen 300 Millionen Menschen weltweit für sich entdeckt haben?

"Asana ist ein Eingangstor. Lasst die Leute ihre Erfahrungen machen, ohne zu urteilen“, entgegnet etwa Alyssa Gethings, Yoga-Lehrerin aus den USA, den Vorwürfen von Anusha Wijeyakumar: „Asana ist in Amerika angekommen, weil das die zugänglichste Form des Yoga für westliche Menschen ist.“

Tatsächlich ist für kaum einen Sport die Einstiegshürde so niedrig: Statt Hanteln und Gewichten reicht das eigene Körpergewicht. Yoga geht allein ebenso wie in der Gruppe und ist in den eigenen vier Wänden genauso möglich wie im Park vor der Haustür, in Gyms oder Yoga-Studios. Und die unzähligen YouTube-Tutorials, Online-Kurse und zahlreichen Angebote vor Ort machen die Übungen inzwischen fast überall zugänglich.

Wie schnell man wie tief in die Welt des Yogas eintauchen will, ist jedem selbst überlassen. Das gilt bei der Schwierigkeit der Posen wie beim Einstieg in die nicht-physischen Aspekte der Lehre bis hin zu Reisen in Yoga-Hochburgen wie das indische Rishikesh.

Julia Gibran, kanadische Yoga-Lehrerin mit indischen Wurzeln, zeigt auf, wie indische Lehre und westlicher Lifestyle zusammenkommen können: "Westliche Yogis können durch ihr Verhalten weniger Schaden anrichten, wenn sie sich der Wurzeln der Praxis bewusst sind und Anerkennung zollen, wo Anerkennung fällig ist."

Indien: Wenn Yoga plötzlich politisch wird

Paradox: Ausgerechnet in Indien wird Yoga zunehmend zum Politikum. Premierminister Narendra Modi und seine hindunationalistische Partei BJP nutzen die weltweite Popularität von Yoga für ihr Ziel eines religiösen Hindu-Staats - und schufen dafür 2014 kurzerhand ein Ministerium für Yoga und Ayurveda.

„Neben der Zahl Null ist Yoga der größte indische Beitrag zur Gesellschaft“, sagte Anil Ganeriwala, einer der Staatssekretäre im Ministerium: „Es ist ein Symbol für unseren kulturellen Reichtum.“

Seit Jahren treibt die BJP zudem Bestrebungen voran, Yoga zum Pflichtfach in indischen Schulen zu machen.

Muslimische Verbände in Indien befürchten, dass die über 175 Millionen Menschen starke Minderheit im Land mithilfe der Soft Power des Yoga marginalisiert werden soll. "Es handelt sich um eine Kampagne zur Durchsetzung hinduistischer Rituale bei allen Nicht-Hindus", sagte Abdul Rahim Qureshi, stellvertretender Generalsekretär des All India Muslim Personal Law Board der Agentur "Reuters". Schließlich seien die „Om“-Gesänge oder der populäre Sonnengruß Rituale an Hindu-Gottheiten.

Yoga auf der Suche nach dem Gleichgewicht

Wie politisch aufgeladen Yoga in Südasien mittlerweile ist, zeigte sich am 21. Juni beim diesjährigen Welt-Yoga-Tag, der auf Modis Bestreben 2014 von der UN ins Leben gerufen wurde. Auf den Malediven attackierte ein Mob die Teilnehmenden eines Yoga-Events mit Fahnen und Schildern. Grund des Angriffs war laut „Reuters“ Missmut über den vermeintlich wachsenden indischen und hinduistischen Einfluss auf den vorrangig muslimischen Inselstaat.

Was bei allem Ringen um das „wirklich authentische Yoga“ oder politische und religiöse Machtkämpfe nicht in Vergessenheit geraten sollte, ist die Wirkung von Yoga: Positive Effekte auf das körperliche und geistige Wohlbefinden sind längst wissenschaftlich erwiesen.

Gerade in Zeiten geschlossener Fitnessstudios und Sportvereinen während der Covid-19-Pandemie wurde Yoga zur wichtigen Stütze für Ausgleich und Gesundheit.

„Die Essenz des Yoga ist das Gleichgewicht - nicht nur das Gleichgewicht innerhalb des Körpers oder das zwischen Geist und Körper, sondern auch das Gleichgewicht in der Beziehung des Menschen zur Welt“, schreibt die UN auf ihrer Seite zum Welt-Yoga-Tag. Es ist an der Zeit, dass auch das Yoga selbst wieder zu seinem Gleichgewicht findet.

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