Normalerweise spricht Antje von Dewitz über Nachhaltigkeit – dank ihres ökologischen und sozialen Engagements beim Bergsport-Experten Vaude gehört sie zu den bekanntesten Unternehmerinnen in Deutschland. Oder aber über faire Arbeitsbedingungen, Vaude hat auch im Jahr 2018 beim diesjährigen Brand Performance Check der Fair Wear Foundation, die sich für faire Arbeitsbedingungen weltweit einsetzt, eine Auditquote von 100 Prozent und einen Benchmark Score von 94 Prozent erreicht. Die beste Bewertung aller Mitgliedsunternehmen.
Dabei passiert bei Vaude auch im Bereich der Digitalisierung eine Menge. Antje von Dewitz erklärt, wie sie ihre Rolle bei der digitalen Transformation des Outdoor-Business versteht und wie ihr Unternehmen fit für die Zukunft wird.
ISPO.com: Frau von Dewitz, die Digitalisierung gilt als große Herausforderungen für Industrie und Handel. Vor allem der Handel scheint sich immer noch schwer zu tun. Wie unterstützen Sie den Handel hierbei?
Antje von Dewitz: Es liegt uns sehr daran, den Fachhandel dabei zu unterstützen, auch in der digitalen Welt Fuß zu fassen. Wir sind sehr fachhandelstreu und verkaufen nicht selbst über einen Webshop. Alle Produkte, die ein Kunde auf unserer Website bestellt, kauft er über angebundene Händler. Wir zeigen auch, ob ein Produkt in einem Store in der Nähe verfügbar ist.
Alle Daten zu unseren Produkten und zu unserer Marke wie 3D-Zeichnungen, Videos und Texte stellen wir unproblematisch den Händlern per Schnittstellen zur Verfügung. Wir produzieren Virtual Reality Filme und Augmented Reality Applikationen, die unserer Stores nutzen können, um unsere Produkte und das Thema Nachhaltigkeit besser erlebbar zu machen. Wir haben außerdem gerade einen digitalen Zeltberater gelauncht, weil die wenigsten Stores heute den Platz haben, Zelte auszustellen.
Zum Teil übernehmen wir auch die Verantwortung über die Sortimentssteuerung von Händlern. Einige Händler arbeiten zudem mit Online-Stationen im Store, die als verlängerte Ladentheke auf unser gesamtes Vaude-Sortiment zugreifen können. Wir wollen digitale Maßnahmen immer dort unterstützen, wo sie dem Fachhandel dienen.
Wie aufgeschlossen ist der Handel für die Digitalisierung?
Die Bereitschaft ist da – viele Händler sind Offline-Experten und suchen gerade verstärkt nach einer Möglichkeit, wie sie ihr Wissen auch online umsetzen können. Die Nachfrage an Unterstützung ist extrem hoch, und wir wollen die Marke sein, die bei diesem Schritt ganz direkt und konkret behilflich ist.
Wie nutzen Sie digitale Tools außerhalb des Handels, etwa um mit Kunden in Kontakt zu treten?
Es gibt eine Reihe von Onlineplattformen mit denen wir kooperieren und deren Reichweite wir gerne nutzen, etwa Ifixit.com, das ist eine Plattform für Reparaturanleitungen. Wir wollen, dass die Nutzungsphase unserer Produkte möglichst lange ist – je länger die Nutzung, desto umweltfreundlicher ist das Produkt. Auf Ifixit bekommen Kunden Informationen darüber, wie man unsere Produkte richtig pflegt, wie man sie reparieren und wie man Ersatzteile bestellen kann etc. Im Moment arbeiten wir auch an einem Online-Verleih-Service für ausgesuchte Artikel, hauptsächlich Reisebedarf. Über unsere Franchise Stores bieten wir diesen Service schon an und arbeiten gerade an einer digitalen Lösung.
Sie haben auch eine Kooperation mit Ebay …
Ja, wir verkaufen dort nicht selbst, wollen es aber für unsere Kunden attraktiver machen, dort ihre Vaude Produkte weiterzuverkaufen und ihnen so eine längere Nutzungsphase zu ermöglichen. Wir haben dort eine wertige Umgebung geschaffen, die es den Kunden erlaubt, ihre Produkte hochwertiger und mit einem besseren Preis zu verkaufen.
Inwiefern nutzen Sie digitale Tools intern?
Vor allem im Bereich Produktentwicklung sehen wir in der Digitalisierung große Chancen und noch viel Potenzial. Wir arbeiten schon mit dem 3D-Drucker und entwickeln unsere Schnallen etc. selbst. Die Digitalisierung hilft vor allem hier am Standort Tettnang - wo wir auch eine eigene Produktion haben – effizienter zu werden, indem einzelne Produktentwicklungsschritte über virtuelle 3D-Darstellungstechniken Prototypen einsparen helfen und Zeit sparen.
Unsere eigene Produktion ist unser Best Practice. In diese Richtung wird es weiter gehen, aber bis es nahtlos funktioniert, muss noch viel Kompetenz aufgebaut werden. Wir sind außerdem gerade dabei, unsere gesamte betriebswirtschaftliche Software umzustellen. Bisher gab es verschiedene Insellösungen, danach läuft alles über eine zentrale Datenbank, was die Grundlage ist für die weitere Digitalisierung.
Wie schaffen Sie es, Ihre Mitarbeiter mitzunehmen auf dem Weg in die Digitalisierung?
Um die Digitalisierung leben zu können braucht es eine entsprechende Denke, Neugier, Flexibilität, Vertrauen und Augenhöhe. Wir haben z.B. schon vor vielen Jahren unser Intranet als eine Art Social Media Tool aufgebaut. Sie können dort Beiträge liken, Kommentare abgeben, weiterleiten etc. Das hat den Dialog sehr gefördert – wir haben ein enorm gutes Feedback.
Wir haben außerdem in den letzten zehn Jahren eine sehr starke Vertrauenskultur erarbeitet, die unsere Mitarbeiter dazu ermutigt, mehr Verantwortung zu übernehmen, was meiner Meinung nach die Voraussetzung ist für eine weitere Digitalisierung. Die Digitalisierung bringt eine Gleichzeitigkeit vieler Themen mit, man muss heute flexibler, schneller und risikobereiter agieren, nur so kann man innovativ bleiben. Wir versuchen auch, all diese Neuerungsprozesse mit Strukturarbeit zu unterstützen.
Individualisierung ist ein weiterer Punkt, den die Digitalisierung ermöglichen soll. Arbeiten Sie an solchen Projekten?
Wir arbeiten gerade daran. Die meiste Produktion findet in Asien statt – dort sind wir noch nicht soweit. Hier in Tettnang haben wir aber gerade ein Upcycling Projekt gestartet, das gleichzeitig der Flüchtlingsintegration dient, wo wir aus Produktionsresten neue Taschen herstellen wollen. Da soll dann auch die Möglichkeit geschaffen werden, dass Kunden ihre eigenen Fotos auf die Tasche drucken lassen. Das wird aber noch bis Sommer dauern.
Wie gestalten Sie die Kommunikation mit dem Kunden – da Sie ja nicht direkt verkaufen?
Wir haben festgestellt, dass die Kunden immer mehr direkt mit uns in Kontakt treten wollen und haben deshalb inzwischen ein ganzes Team aufgebaut, das sich nur mit der Kundenkommunikation befasst. Natürlich nutzen wir auch Social Media und monitoren alle Social Media Kanäle, die dafür offen stehen. Die Digitalisierung hat dazu geführt, dass die Kunden mehr wissen, und mehr Wissen führt zu bewussteren Konsumenten. Das macht die Kunden natürlich auch mächtiger, weil sie in der Lage sind, Verhalten zu belohnen oder abzustrafen.
Mit welchen Veränderungen rechnen Sie in den kommenden Jahren?
Ich rechne mit der Fortsetzung dessen, was wir gerade erleben. Der Konzentrationsprozess auf Seiten des Handels und der Marken wird leider weiter gehen. Professionalisierung ist ein Muss. Auch Onliner werden stationäre Geschäfte eröffnen oder Partnerschaften mit stationären Händlern eingehen, das wird den Druck noch verstärken. Es ist absehbar, dass derjenige gute Überlebenschancen hat, der eine starke Marke zeigt und sich klar positioniert.
Welche Rolle spielt dabei das Thema Nachhaltigkeit?
Nachhaltige Produkte bzw. vertrauensvolle Marken sind sehr gefragt. Die Kunden wollen mit gutem Gewissen kaufen. Der Handel kann dieses Thema nutzen, um mit guten Argumenten zu überzeugen. Nachhaltigkeit muss aber aktiv kommuniziert werden, und für diese Aufgabe ist der stationäre Handel ein wichtiger Partner. Das muss aber verstanden und geschult werden - genauso wie das Wissen über Funktionalität.
Sie haben vorhin das Thema Langlebigkeit angesprochen – wie wollen Sie die erreichen, wenn die Produkte zugleich immer modischer und damit kurzlebiger werden?
Zunächst einmal dadurch, dass unsere Qualität sehr hoch ist und wir Jahr für Jahr versuchen, die Reklamationsquote noch weiter nach unten zu drücken. Wir denken schon beim Design darüber nach, wie man das Produkt reparieren kann, dass z.B. Reißverschlüsse oder Kofferrollen leicht auszutauschen sind. Solche Kriterien werden für jedes Produkt definiert und in einem Repairability Index abgebildet.
Aber natürlich sind Outdoorprodukte heute auch moderne Produkte, sie müssen in einem gewissen Maß auch modisch sein, sonst kauft sie niemand. Das heißt, es ist immer eine Gratwanderung zwischen dem Trend entsprechen wollen auf der einen Seite und verhindern, dass man das Produkt in zwei Jahren nicht mehr sehen kann, auf der anderen Seite. Letzteres versuchen wir dadurch zu verhindern, dass wir mindestens die Hälfte der Kollektion in sicheren Farben anbieten. Langfristig arbeiten wir daran, eine eigene Farbpalette zu entwickeln, ganz abgekoppelt von der Mode.
Ändern Sie auch das Tempo? Digitalisierung ermöglicht schnellere Rhythmen und mehr Nähe zum Markt.
Wir planen keine Abkehr vom Zwei-Saison-Rhythmus. Aber wir werden auf der ISPO Munich einige Time-to-Market Produkte launchen, die ab sofort lieferbar sind. Normal ist es ja so, dass wir Produkte erstmal dem Handel vorstellen bevor wir produzieren, diesmal gehen wir ins Risiko und kürzen den Prozess ab. Das ist ein Experiment, aber so können wir besonders modische oder innovationsstarke Produkte schneller auf den Markt bringen.
Welche Rolle haben Ihrer Meinung nach die Messen bezüglich der Digitalisierung?
Sie sind auch sehr wichtig geworden für die Präsentation unserer digitalen Lösungen für unsere Händler. Hier sieht man kumuliert die neuesten Entwicklungen der Branche.
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