1990 hat Tommy Delago gemeinsam mit Sepp Ardelt in Seattle die Snowboard-Marke Nitro ins Leben gerufen. Aus der Snowboard-Szene ist die Marke seitdem nicht mehr wegzudenken. Seit August 2018 ist Nitro Mitglied der European Outdoor Group.
ISPO.com sprach mit Tommy Delago über den Schulterschluss mit der Outdoor-Branche, den Fluch der frühen Saison-Openings und seine These, dass sich die Snowboard-Industrie in den letzten Jahren selbst geschadet hat.
ISPO.com: Nitro ist seit Sommer 2018 Mitglied der European Outdoor Group. Soll es in Zukunft mehr in Richtung Outdoor gehen ähnlich wie bei Burton?
Tommy Delago: Nein, das ist nicht angedacht. Wir sehen uns definitiv als Snowboard-Marke und das wird unser Kerngeschäft bleiben. Erweiterungen gibt es bislang nur im Taschenbereich, aber der bewegt sich für uns mehr im Action-Sport- bzw. im Street- und School-Segment.
Unsere Mitgliedschaft in der European Outdoor Group hat vor allem den Hintergrund, dass wir uns natürlich draußen bewegen und daher ein sehr allgemeines Interesse an den größeren Entwicklungen, aber auch Herausforderungen der gesamten Branche haben.
Die Snowboard-Branche befindet sich ständig im Wandel. Was sind heute die Hauptthemen, auf die man sich als Snowboard-Brand konzentrieren muss?
Sicherlich gibt es verschiedene Ansätze, die hier zielführend sind. Für Nitro stehen diese drei Themen im Vordergrund: Authentizität, Kundennähe und Produktangebot.
In einem Markt, der zunehmend von anonymisierten Marken im Besitz großer Konzerne geprägt wird, hat eine authentische und privat geführte Marke definitiv einen Vorteil. Nitro lebt Snowboarding und reinvestiert massiv in den Sport – auf allen Ebenen.
Wir legen auch sehr großen Wert auf Kundennähe: Durch unser klassisches Vertriebssystem sind wir nahe am Handel und am Endverbraucher. Wir sind bei allen nur denkbaren Gelegenheiten mit unseren Kunden auf Schnee: Bei Testveranstaltungen, Schulungen und Snowboard-Camps. Daher ist seit zwei Jahren unser Motto: „Run To The Hills“.
Und dann natürlich die Produkte: In den letzten Jahren haben viele Marken sich auf die wesentlichen Produkte und ihre Bestseller zurückgezogen. In diesen Jahren der Kontraktion haben wir azyklisch unser Angebot sogar noch erweitert. Das hat uns vielleicht nicht massive Mehrverkäufe gebracht, aber der Marke sicherlich einige Sympathiepunkte.
Die letzten Jahre waren recht schwierig. Was waren die Hauptgründe dafür?
Der gewichtigste Grund ist natürlich der Schneemangel der letzten Jahre. Allerdings gab es auch einen anderen, einigermaßen hausgemachten Grund für die Probleme speziell im Snowboard-Bereich. Nach den Anfängen entwickelte sich mit dem ersten großen Snowboard-Boom der 90er eine direkte Konkurrenz zum Skisport.
Snowboarding präsentierte sich dabei als jünger, cooler und radikaler, was aber auch zu einer Fokussierung auf das „Extreme“ führte: Auf einmal war Snowboarding kein Breitensport mehr, sondern ein Extremsport. Viele Snowboarder fühlten sich nicht mehr zugehörig, nicht cool oder gut genug, oder einfach zu alt.
Die Winter starten immer später. Ist ein Opening im Oktober noch sinnvoll? Wie kann die Branche auf den späten Start reagieren?
Obwohl jeder miterlebt, dass unsere Winter immer später starten, ist es erstaunlich, wie viele Besucher die Testevents im Herbst immer noch anziehen. Leider sinkt dann die Begeisterung zu früh, wenn im März/April die Bedingungen optimal sind. Hier wäre es wichtig, die technischen Vorteile, die das Snowboard speziell bei weichem und nassen Schnee bringt, mehr in den Vordergrund zu stellen, so dass wieder mehr Menschen Ostern im Schnee verbringen.
Wie kann man generell mehr Menschen fürs Snowboarden begeistern und ihnen den Einstieg erleichtern?
Die allgemeine Entwicklung im Snowboarden der letzten zwei, drei Jahre liefert schon mal eine gesunde Basis. Der Sport hat und neue, spaßbetonte Trends hervorgebracht, sodass Snowboarden heute wieder eine echte Funsportart für alle Altersgruppen darstellt.
Wo es vor zehn Jahren noch primär um Twintips für den Park ging, steht inzwischen wieder das gesamte Sortiment im Fokus. Die vermeintlichen Hürden „extrem“, „gefährlich“ sind schon teilweise abgebaut, aber mit etwas mehr Engagement kann die Industrie Snowboarden wieder viel einladender darstellen.
Außerdem muss man sich um alle Altersgruppen kümmern. Es geht also auch um die Unterstützung der Wiedereinsteiger, eine nicht zu unterschätzende Zielgruppe. Und natürlich die Kids: Hier geht es um den Abbau von unberechtigten Ängsten bei den Eltern.
Wie erreicht man die Kunden heutzutage? Wie wichtig ist dabei Social Media, Influencer und persönlicher Kontakt?
Natürlich versuchen wir über alle genannten Kanäle mit unseren Kunden in Kontakt zu kommen und zu bleiben. Ich denke, die gesamte Branche hat inzwischen erkannt, dass Social Media hier sehr effektiv und kostengünstig eingesetzt werden können, sofern man natürlich nicht die Arbeit scheut, auch permanent relevante Inhalte anzubieten. Wir haben auch mit Influencern sehr gute Kooperationen.
Aber wie schon erwähnt ist uns der persönliche Kontakt inzwischen wieder am wichtigsten. In einer Zeit der zunehmenden Digitalisierung und Anonymisierung rückt das greif- und erfahrbare Miteinander wieder in den Vordergrund. Das ist natürlich zeit- und personalaufwändig, die daraus gewonnenen Erfahrungen für Kunden und uns selbst aber unschätzbar wertvoll.
Wie kannst du die Kunden von Nitro beschreiben? Hat sich die Zielgruppe von Snowboardern in den letzten Jahren geändert?
Ich denke, die gesamte Community hat sich zum Positiven verändert. Wer heute Snowboard fährt, ist tatsächlich am Sport selbst und seinen vielfältigen Stilarten interessiert. Zum anderen hat sich natürlich auch das Altersspektrum verändert. Viele Snowboarder haben in den späten 80ern oder den 90ern mit um die 20 angefangen und sind heute 50 Jahre oder älter.
Diese Zielgruppe hat vor zehn bis 15 Jahren noch gar nicht existiert und kann heute gut ins Gesamtbild integriert und mit frischen Produkten neu motiviert werden. Und obwohl es vor ca. acht Jahren mal einen gewissen Schwund an nachfolgenden Kids gegeben hat, erfreuen wir uns heute wieder steigender Nachfrage und Verkaufszahlen im Jugendbereich.
Vielen Boardern ist das Thema Nachhaltigkeit immer wichtiger. Was macht Nitro in dieser Richtung? Kann es nachhaltiges Snowboarden geben?
Nachhaltigkeit ist ein sehr weit gefasster Begriff, der in den letzten Jahren leider auch sehr oft missbraucht wurde. Für uns alle ist es eine große Aufgabe, mit den natürlichen Ressourcen schonend umzugehen und unsere Kollegen respektvoll zu behandeln. Wir verzichten bewusst auf plakatives „Greenwashing“.
Vielmehr pflegen wir seit 30 Jahren sehr enge Kontakte zu unseren Lieferanten (meist Familienbetriebe) und wechseln diese nur sehr selten. Dadurch haben wir durchgehend einen tiefen Einblick in die Arbeitsweisen und -verhältnisse und nutzen jede Möglichkeit, Verbesserungen umzusetzen.
Leider gibt es entgegen anders lautender Meinungen das biologisch abbaubare Snowboard noch nicht und der Einsatz vermeintlich umweltfreundlicher Materialien hat oft negative Auswirkungen – zum Beispiel im erhöhten Energieaufwand – die meist verschwiegen werden. Wer sich für die vielfältigen Maßnahmen im Detail interessiert kann sich auf unserer Homepage umfassend informieren.
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