Das Ziel ist klar: Yannis Pitsiladis und sein Team von SUB2HRS wollen die Marathon-Bestmarke unter zwei Stunden drücken – ohne Doping und verbotene Hilfsmittel. Sondern mit technischen Hilfmitteln: modernsten Wearables.
Im Interview im Rahmen der Wearable Technologies Conference 2018 erläutert er seinen 360-Grad Monitoring- und Trainingsansatz, spricht über den Sub2 Versuch von Nike und erklärt die nächsten Schritte auf dem Weg zum Weltrekord.
ISPO.com: Professor Pitsiladis, der aktuelle Marathon Weltrekord stammt aus dem Jahr 2014. Ist es überhaupt möglich, die Zwei-Stunden-Marke zu unterbieten?
Yannis Pitsiladis: Wir sind an einem Punkt, an dem es nicht mehr darum geht, ob wir es schaffen. Die Frage ist, wann wir die Zwei-Stunden-Marke knacken. Dafür bringt SUB2HRS Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Fachbereichen, Elite-Läufer und strategische Industriepartner zusammen. Der Countdown läuft.
Wearables sind keine Erfindung von SUB2HRS, was ist bei Ihnen anders?
Es gibt schon sehr viel sehr gute Technik. Die ist aber oft von Leuten entwickelt worden, die zwar eben jene Technik verstehen, aber nicht wissen, wie der Mensch funktioniert. Sie können einen Formel-1-Wagen überall mit Sensoren bestücken und jederzeit im Rennen Echtzeit-Daten bekommen. Das lässt sich aber nicht einfach übertragen, der Mensch ist doch deutlich komplexer.
Für mich kommt es darauf an, technische Entwicklungen, wie sie im Rahmen des Wearables Congress auf der ISPO Munich vorgestellt wurden, miteinander zu verknüpfen. Wir wollen in Echtzeit sehen, was wirklich im menschlichen Körper vor sich geht – und das, ohne das tägliche Leben zu beeinflussen.
Was bedeutet das konkret?
Wir entwickeln und nutzen digitale Technik, um jederzeit alle relevante Informationen zu erfassen. Zum Beispiel ist die Körpertemperatur des Athleten in Training und Wettkampf eine wichtige Größe. Die können wir sehr genau messen und aufzeichnen, bislang aber erst nach der Trainingseinheit auswerten. Derzeit arbeiten wir an einem Sensor, der einfach verschluckt wird und via Bluetooth in Echtzeit Daten sendet.
Bessere Daten alleine machen noch nicht schneller.
Aber genaue Daten erlauben eine viel genauere Trainingssteuerung. Unser Projekt geht dabei noch viel weiter, wir betrachten den Marathon ganzheitlich. In der derzeitigen Weltspitze brauchen wir eine Leistungssteigerung um zwei bis drei Prozent. Dass erreichen wir als Summe aus vielen kleinen Veränderungen. Wir verfolgen den Ansatz, jede noch so kleine Stellschraube im System optimal einzustellen.
Nehmen Sie einen Barfuß-Läufer aus Afrika. Wenn wir den für einen Marathon in Europa oder den USA einfach in normale Laufschuhe stecken, verliert er etwa ein Prozent Energie. Deshalb arbeiten wir mit unserem Partner On Running an modifizierten Spezialschuhen, die das ausgleichen können.
Auch die Ernährung und letztlich die gesamte Bioenergetik sind wichtig – also die Frage, wie Energie aufgenommen, transportiert und umgewandelt werden kann. Hier nutzen wir ein neues Getränk, dass die Glukose erst im Darm freigibt – dort kann deutlich mehr Energie aufgenommen werden als zum Beispiel im Magen.
Verliert der Sport nicht viel von seinem Reiz, wenn Rekorde am Reißbrett geplant werden?
Es wird doch schon immer geplant und sehr zielgerichtet gearbeitet. Auch bei SUB2HRS ist ein Marathon ein Marathon. Der Weltrekord bleibt eine großartige individuelle Leistung des Athleten. Wir wollen einfach für die bestmöglichen Bedingungen sorgen und so wenig wie möglich dem Zufall überlassen.
Weltrekordler Dennis Kimetto haben 2014 in Berlin immerhin noch knapp drei Minuten gefehlt, seitdem ist in einem offiziellen Rennen keiner schneller gelaufen. Woran liegt das?
Dennis ist ein interessantes Beispiel. Er ist einer jener Athleten, denen unser Projekt die Karriere hätte retten können. Er ist wohl einer der talentiertesten Läufer überhaupt auf der Langstrecke. Aber seit seinem Rekord in Berlin hat er kaum ein Rennen erfolgreich absolviert.
Dennis wäre gerne bei SUB2HRS an Bord, er nutzt auch einige unserer Innovationen. Aber er hat sich nach seinem Weltrekord für das Geld entschieden, und sein Sponsor erlaubt eine engere Zusammenarbeit nicht. Das ist verständlich, macht ihn aber nicht schneller.
Bei Ihrem Projekt geht es um Menschen – wie wichtig ist die Psyche?
Die vielen kleinen Veränderungen, von denen ich gesprochen habe, hängen ganz stark von den mentalen Fähigkeiten des Sportlers ab. Heute konzentrieren sich die Sportler darauf, den Weltrekord um wenige Sekunden zu verbessern. Darauf legt sich das Gehirn fest. Im Zusammenspiel mit dem Körper wird diese Programmierung dann im Rennen abgerufen. Wir forschen also auch im Bereich der Psychobiologie, um herauszufinden, wie Kopf und Körper bei hohem Tempo zusammenspielen.
Was muss ein Sportler mitbringen, um das große Ziel zu erreichen?
Der Athlet, der die Zwei-Stunden-Grenze durchbricht, wird eine besondere Physiologie haben. Konkret geht es um die ideale Kombination aus Laufökonomie, VO2 max. und nachhaltiger oxidativer Stoffwechselrate. Letzteres erfordert eine exzellente Koordination des Lungen-, Herz-Kreislauf- und Muskelstoffwechselsystems. Wir suchen Sportler, die diese Anlagen mitbringen und fördern sie dann ganz gezielt.
Klingt so, als könnten nur einige wenige Top-Sportler profitieren.
Was bei den Profis funktioniert sollte, auch dem Sub3- oder Sub4-Läufer helfen, wenn auch in einer vereinfachten Variante. Die Digitalisierung und neue Wearables machen es uns möglich, individuelle Trainingskonzepte für jeden einzelnen Sportler zu entwickeln. Die neuen Techniken zeigen schnell und genau, wie verschiedene Trainingsmaßnahmen auf den jeweiligen Sportler wirken. Das hilft uns dann, den Trainingsprozess für den Einzelnen zu optimieren.
Was Sie beschreiben, würde auch Anwendungen abseits des Sports ermöglichen.
Selbstverständlich. Wir arbeiten sehr intensiv mit einigen unserer neuen Partner zusammen. Uns geht es im ersten Schritt darum, die prä- und postoperative Versorgung zu überwachen. Das System informiert den behandelnden Arzt immer aktuell, wie sich die Patienten in ihren eigenen vier Wänden entwickeln. Das gewohnte Zuhause wird so Teil der Klinik. Der Patient kommt nur noch zur Operation, lässt sich behandeln und geht nach der Operation wieder nach Hause.
Dank der digitalen Technik können wir den Gesundheitszustand aus der Ferne weiter überwachen. Auch dabei helfen uns diese sehr schwierigen Experimente rund um den Marathon. Denn die größten Herausforderungen sind implantierbare Sensoren, die in Echtzeit funktionieren und zum Beispiel den Blutdruck messen.
SUB2HRS setzt auf Hightech, Information ist alles. Wird der Trainer durch Ihr Projekt obsolet?
Auf keinen Fall. Unsere Techniken und Methoden stellen den Coaches Informationen zur Verfügung, damit sie fundierte Entscheidungen treffen können. Für mich ist der schwächste Teil bei der Vorbereitung von Elitesportlern derzeit, dass Trainer im Grunde genommen das tun, was man Trial-and-Error nennt. Sie versuchen etwas, das kann funktionieren. Meistens funktioniert es aber nicht. Und das ist das Problem.
Solange sie also nach Trail and Error verfahren, werden sie immer wieder scheitern. Wir hören von großen Erfolgen, klar. Aber Sie hören nichts über die vielen Misserfolge.
Trotzdem haben viele prominente Läufer das Projekt verlassen.
Das stimmt. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren alle Athleten verloren, die wir unterstützt haben. Das ist einfach eine Frage des Geldes – die großen Sportartikelhersteller zahlen den erfolgreichen Top-Läufern das Doppelte oder gar das Dreifache dessen, was wir bieten können. Dazu kommt, dass auch besagte große Player vorgeben, sie hätten ähnliche Projekte und könnten die Läufer entsprechend unterstützen. Wenn man genauer hinschaut, sieht man allerdings, dass das nicht stimmt.
Das sind Entscheidungen, die die Athleten treffen müssen. Aber was mich dabei wirklich ärgert, ist, dass wir in manchen Fällen einige dieser Athleten wegen lächerlich wenig Geld verloren haben. Und bei fast jedem dieser Sportler sind die Leistungen hinterher schwächer geworden.
Sie machen Läufer schnell, dann lockt das große Geld. Was können Sie dagegen tun?
Wir werden unser eigenes Sub2-Team gründen. Unser Modell wird dabei sehr klar sein. Die Sportler wissen, dass wir ausschließlich für den Athleten arbeiten. Wir wollen nichts zu tun haben mit der modernen Sklaverei, die man rund um die Marathonszene beobachten kann. Alles Wissen und alles Geld, das über Sponsoren reinkommt, investieren wir in den Rekord – also in unsere Athleten.
Ihr Projekt wird oft mit dem Breaking2 Projekt von Nike in Verbindung gebracht. Offiziell haben Sie aber nie zusammengearbeitet.
Das ist richtig. Als ich das Projekt 2014 angeschoben habe, war ich auf der ganzen Welt auf Sponsorensuche. Damals habe ich auch mit Nike gesprochen. Am Ende haben sie es aber vorgezogen, nur bestimmte Teile aus unserem ganzheitlichen Ansatz zu verwenden.
Wie muss man sich das vorstellen?
In Rio 2016 haben wir immer noch verhandelt, während Nike im Hintergrund schon Sportler und Mitarbeiter von uns abgeworben hat. Das war natürlich ärgerlich. Damit kann ich mich aber nicht aufhalten. Am Ende haben sie ein Marketing-getriebenes Projekt gelaunched, um einen neuen Schuh zu promoten. Damit waren sie auch sehr erfolgreich. Sie haben ihre Marketingziele erreicht, jetzt brauchen sie das Projekt nicht mehr. Wir verfolgen einen wissenschaftlichen Ansatz. Ich denke, am Ende hat uns das Nike-Experiment sogar geholfen – unsere Idee ist aus der Ecke der verschrobenen Wissenschaft herausgeholt worden. Mittlerweile ist die Zwei-Stunden-Marke ein anerkanntes Ziel.
Wo könnte die Zwei-Stunden-Marke fallen?
Was die bestehenden großen Marathons angeht, würde ich Berlin wählen. Nicht nur wegen des Kurses, sondern auch wegen der Art und Weise, wie er von einer jungen Gruppe von Machern organisiert wird, die vorausschauend denken.
Vielleicht müssen wir aber auch unseren eigenen Kurs kreieren. Wir haben viele Pläne. Dabei geht es auch um eine Neuerung, bei der der Kurs beweglich sein könnte. Dazu werde ich aber jetzt noch nichts verraten.
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