Florian Neuschwander wurde am 1. Juni 1981 in Neunkirchen an der Saar geboren, bereits mit 16 Jahren begann er seine Karriere als Läufer: Ganz ohne Training beendete er seinen ersten Wettkampf beim 20. Internationalen Nikolaus-Straßenlauf des VFA Neunkirchen auf Platz 1. Seitdem blickt er auf eine turbulente Karriere zurück, führt seinen eigenen Onlineshop und wurde selbst zur Marke. ISPO.com hatte die Möglichkeit, den Ultrarunner im Interview besser kennenzulernen.
ISPO.com: Florian Neuschwander, Sie starten beim Wings For Life World Run unter dem Motto: „Wir laufen für alle, die es nicht mehr können“.
Florian Neuschwander: Wenn ich mir vorstelle, dass ich nicht mehr laufen könnte: Das wäre eine Katastrophe! Laufen ist mein Leben.
Wie sind Sie zu diesem Leben gekommen?
Mein erstes Rennen war ein Zwei-Kilometer-Schülerlauf, da bin ich mit meiner Mutter hin, hab’ mir kurz vor knapp die Startnummer geholt, ich hatte noch Tennisklamotten an und Tennisschuhe. Meine Mama hat gesagt: „Wie finde ich dich nachher?“ Ich hab’ geantwortet: „Am besten ganz vorne. Ich gewinn‘ das Ding einfach.“ Hat tatsächlich geklappt. Danach ging es los. Da war ich 16.
Jugendauswahl, deutscher B-Kader, DLV-Kader, Lehrgänge. Es sah alles nach klassischer Lauf-Karriere aus, wie es beim Running üblich ist. Bis Sie genug hatten von der Bahn-Leichtathletik.
Auf das systematisches Training hatte ich bald keinen Bock mehr. Wenn man da was erreichen will, muss man echt hart trainieren. Zwei-, dreimal die Woche auf die Bahn gehen, stumpf deine Runden abreißen, immer Disziplin zeigen. Das war mir zu eintönig. Ich wusste eh, mit den Kenianern kannst du nicht mithalten, auch für Europas Spitze reicht das nicht. Bei mir stand immer der Spaß im Vordergrund, und dann hab ich mich halt entschieden: Ich laufe nur noch so, wie ich will.
So wurde Florian Neuschwander zum Ultraläufer: Er las ein Buch
Sie sind dann auf die langen Strecken gewechselt.
Das hat mich fasziniert, so ganz lange Strecken durchs Gelände zu laufen. Ich wollte wild durch die Landschaft rennen. Während des Sportstudiums hatte ich dann einen Leistenbruch, ich hab ein halbes Jahr ausgesetzt. Nur Party gemacht. Und danach kam dann ein Tag, da merkte ich: Ich vermisse das Laufen. Ich war dann mal locker im Wald joggen. Und hatte plötzlich Lust auf einen Wettkampf. Ich hab' dann aus dem Stand einen Stadtlauf gewonnen, 10 Kilometer. Da wusste ich: Okay, ich mach' das jetzt immer so, wie ich will.
Und wie kamen Sie zu den langen Läufen, den Ultras?
Ich habe ein Jahr in London gelebt und da ein Buch gelesen: The Ghost Runner.
Bill Jones’ Geschichte vom ehemaligen Boxer John Tarrant …
… der bei keinem Amateur-Lauf starten durfte, weil er als Boxer ein bisschen Geld verdient hatte. Er wurde gesperrt für alle Wettkämpfe. Er hat sich dann bei den Ultras immer hinterm Baum versteckt und ist heimlich mitgelaufen, ganz ohne Startnummer. Der Typ hat mich fasziniert, da wusste ich: Sowas will ich auch machen. Ich bin dann 2011 erstmals 50 Kilometer durchs Gelände gerannt.
Was macht den Reiz aus?
Man weiß nie, was passiert. Im Gelände ist es abwechslungsreicher. Ich laufe einfach los, guck mir die Strecke nie an. Renn einfach vor mich hin, schau ein bisschen in der Landschaft rum. Und wenn’s läuft, biste in nem Flow drin, dann rollt es. Run with the Flow eben, so heißt ja auch meine Homepage (lacht).
Aber Sie laufen sehr wohl auf Leistung. Sie sind Neunter geworden bei der WM über 100 Kilometer, waren Vize-Weltmeister im Ultratrail, haben gerade den deutschen Rekord über 50km nur knapp verpasst. Das geht doch nicht so ganz ohne Systematik.
Ich bin einer der wenigen, die beides verknüpfen können: Spaß und den Leistungsgedanken. Viele sagen: Flo, wie soll das gehen, immer auf Spaß laufen und dann Rekorde knacken, das passt doch nicht? Für mich funktioniert das super.
Wie sieht Ihr Training aus?
Ich hab’ in der Woche zwei, drei Kerneinheiten, die auch Disziplin erfordern. Das muss ich machen, damit ich meine Zeiten erreichen kann oder die Rekorde knacken. Aber der Rest ist echt Freestyle. Und das mache ich, wie ich gerade Bock hab.
Der Trainingsplan von Florian Neuschwander? Freestyle!
Ein Beispiel für eine Flo-Neuschwander-Kerneinheit?
Nehmen wir einen 30-Kilometer-Lauf aus einer üblichen Trainingswoche neulich: Da brauche ich dann für die ersten 20 Kilometer 1:19 Stunden. Und dann die letzten zehn Kilometer nochmal einen raushauen, etwa in 31:20, also noch einen Schlag drauf. Oder was anderes: 30 Kilometer Dauerlauf, darin acht mal 2000 Meter in Marathon-Tempo, also so 3:15 Minuten pro Kilometer.
Und was ist für Sie Freestyle?
Wenn ich mich morgens nicht gut fühle und es stehen erst ein 15er und später ein 10er auf Programm, dann lass ich den 15er erst mal aus, schlafe länger, gammle rum. Irgendwann denke ich dann: Jetzt hast du den ganzen Tag verpennt. Und abends fühl ich mich dann wieder gut und lauf statt zweimal 15 dann eben einmal 30 am Abend. Alles kann passieren an so einem Freestyle-Tag.
Auf wie viele Kilometer kommen Sie denn?
In den vergangenen Wochen habe ich im Schnitt pro Woche 175 Kilometer gemacht. Im Jahr sind es, auch aufgrund der Regeneration, so um die 6000. Ich schaue aber, dass ich auch immer wieder Ruhetage einlege. Zwei Tage in der Woche mache ich meistens Pause, da gehe ich nur ein bisschen joggen.
Was bedeutet Joggen für Sie?
Ganz entspannt, so um die 4:30 Minuten pro Kilometer.
Das ist für viele eine passable Wettkampfzeit. Die laufen allerdings auch keine 100 Kilometer am Stück – so wie Sie. Wo liegen Ihre Grenzen?
Grenzen? Kenne ich keine. Die 100 Kilometer bin ich schon dreimal gerannt. Mein Traum sind die größten Hundert-Meilen Rennen in den USA, die Big 5 des Ultratrails, angefangen mit den Western States 100.
Wie halten Sie sich fit für diese Distanzen? Machen Sie auch regelmäßig Stabilisations-Übungen und Krafttraining?
Stabi und auch Kraft sind das Allerschlimmste! Da lauf ich lieber auf der Bahn. Meine Trainer haben früher immer gesagt: Stabi und Kraft, wenn du das machen würdest, Flo, dann wärst du noch besser. Ich sage: Stimmt nicht. Dann hätte ich nämlich keinen Spaß mehr und würde gar nicht mehr laufen. Irgendwann haben die´s dann aufgegeben. Ich hab’ halt meinen eigenen Kopf. Und der sagt: Wenn's kein Spaß, mach' ich’s nicht. Ich muss gar nix.
Gar keine Stabi?
Ne. Nix. Null.
Und Kraft?
Ne. Nix. Gar nix.
Dehnen?
Gar nix.
Das ist gegen die Trainingslehre.
Aber bei mir funktioniert‘s doch.
Nur laufen?
Nur laufen! Und extrem ausruhen, wenn ich müde bin. Wenn ich nicht laufe, bin ich recht faul. Dann hänge ich nur auf der Couch ab und beweg mich nicht. Oder so gerade noch bis ins Café.
Der Ernährungsplan von Neuschwander? Ich esse alles!
Und Sie haben kein Problem mit Verletzungen?
Ich laufe seit 19 Jahren ohne Verletzungen. Klar, ein paar Wehwehchen. Dass es mal zwickt, das ist ja normal. Aber ich weiß halt genau, was in meinem Körper so abgeht. Bei Hobbyläufern ist es anders, die haben erst ein, zwei drei Jahre Lauferfahrung, die machen schnell was Unvernünftiges. Wenn ich merke, im Fuß zwickt es, da weiß ich gleich, ob ich weiterlaufen kann oder auch mal eine längere Pause mache muss.
Haben Sie einen Ernährungsplan?
Klar!
Nämlich?
Ich esse alles!
Im Trainingslager haben Sie vom Essen gepostet. Es gab Pommes, Entrecote, Rotwein.
Ein Riesenstück Fleisch war das! Mit Pommes! Und klar, auch mal ein Glas Wein oder Bier. Beim Essen mache ich es wie beim Laufen. Ich halte es so, wie ich Bock habe.
Die Leute mögen Sie für diese eigene Art. Sie haben 25.000 Fans bei Facebook, eine große Gemeinde bei Instagram.
Das ging vergangenes Jahr nach dem Wings for Life World Run los. Auf Facebook ging das ab wie Sau! Die Leute haben gesagt: „Was ist denn das für einer, der da soweit läuft! Irrer Vogel, mit diesem Schnauzer!“ Viele, die mich da im Fernsehen gesehen oder danach die Berichte gelesen haben, die haben gesagt: „Ich war ewig nicht mehr laufen, aber jetzt geh ich wieder – weil ich den Flo gesehen hab.“ Das macht mir Spaß: Leute zu motivieren, wieder rauszugehen und zu laufen. Da krieg ich manchmal selbst ne Gänsehaut.
Der Wings for Life World Run 2015 war Ihr Durchbruch. Auch als Profi?
Wenn Sie das meinen: Ja, ich kann davon leben.
Sponsoren: Das macht Neuschwander attraktiv für Brooks & Co.
Sie haben nicht nur Kilometer gesammelt, sondern durchaus auch Sponsoren seitdem.
Gut, ich hab' Red Bull. Und Brooks als Schuhsponsor. Garmin ist dabei als Laufuhr-Partner. Dazu Gore für Klamotten. Und Led Lenser, die machen Stirnlampen. Die unterstützen mich alle, klar, aber es ist auch Arbeit. Ich bin jetzt auch so etwas wie ein Geschäftsmann und viel unterwegs, auch für die Firmen. Gut, das macht Spaß, ist auch aber auch Arbeit. Hier mal einen Film auf Mallorca, dort ein Shooting in Südafrika.
Was macht Sie für Sponsoren attraktiv?
Dass ich halt anders bin. Kein 08/15-Läufer. Dass ich anders aussehe, dass ich krasse Strecken renne, irgendwie ein krasser Typ bin. Dass wir zusammen coole Sachen machen können. Das ist ja bei mir auch Freestyle. Ich schlag was vor, die wollen das.
Sie haben sogar in einem Kinofilm mitgespielt: „Der geilste Tag“, mit Matthias Schweighöfer.
Naja, das fand ich nicht so spannend: Den ganzen Tag am Set, zehn Stunden rumstehen, und abends durfte ich dann für eine Sekunde durchs Bild huschen – da erkennt mich eh keiner. Das würde ich nicht unbedingt nochmal machen – außer, ich krieg die Hauptrolle.
Talent hätten Sie ja, wie Ihre Videos bei Facebook Live zeigen.
Och ja, das ein oder andere Live-Video kam ganz gut an. Wie ich mich da im Wald verlaufen hab, während meine Mutter daheim mit dem Schnitzel wartete, das haben über 47.000 Leute geschaut. Ich würd das gern ausbauen. Facebook und Instagram sind mein Ding. Für Snapchat hätte ich auch ein paar Ideen, aber das kostet ja soviel Zeit.
Beschäftigen Sie da keine Agentur?
Ich habe da schon ein paar Anfragen gehabt, aber das wäre ja dann nicht mehr ich. Jetzt bin ich es zu 100 Prozent. Ich beantworte auch die Nachrichten alle selbst. Ich habe auch keinen Manager. Brauche ich nicht.
Und Sie verabreden sich auf Instagram mit Ihren Followern zum Laufen. Ja, auf der ISPO MUNICH hab ich das gemacht: Freitags aufgerufen zu einem Lauf durch den Olympiapark am Sonntag, da standen dann plötzlich 60, 70 Leute in meinem Hotelfoyer.
Sie haben auch einen Onlineshop.
Der heißt: Shop with the Flow. Oh ja, da habe ich auch noch viele Ideen, wie man kreativ etwas machen kann. Eine richtige Kollektion, designed, stylisch, im Surfer- und Skaterstyle, eine eigene Linie. Urban Running, hochwertig, am liebsten Fair-Trade oder was aus der Region, zusammen mit Künstlern gestaltet, was Kreatives.
Es scheint, als hätten Sie noch viele Ideen für die Zukunft.
Ich bin 35. Als Ultraläufer kann ich nicht zehn Jahre auf gutem Niveau laufen. Und für später hab ich schon viele Ideen. Am liebsten würde ich mal so ein Hipster-Café aufmachen. Alles, was mir Spaß macht, in einem Geschäftsmodell. Ein Shop mit eigener Kollektion plus Craft Beer, mit gutem Kaffee, gutem Essen, und von da gehen dann Lauftreffs ab in alle Richtungen.
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