Outdoor/09.05.2016

Expedition mit Schlitten: Stefan Glowacz reist zum Klettern nach Baffin Island

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Drei Männer, Kletterrouten am Limit und die arktische Wildnis. Auf seiner Expedition nach Baffin Island hilft Abenteurer und Bergsteiger Stefan Glowacz vor allem sein eigens gebauter High-Tech-Schlitten.

Stefan Glowacz und Robert Japser (orange) zeigen auf der Zugspitze, wie man die Carbon-Pulka als Rikscha verwenden kann.
Stefan Glowacz und Robert Japser (orange) zeigen auf der Zugspitze, wie man die Carbon-Pulka als Rikscha verwenden kann.

Ende Mai 2016 brechen die beiden Extremkletterer Stefan Glowacz (51) und Robert Jasper (48) gemeinsam mit dem Fotografen Klaus Fengler (53) zu einer vierwöchigen Kletterexpedition nach Baffin Island auf. Ihrer Philosophie „by fair means“ folgend, verzichtet das Trio über den ausschließlichen Gebrauch von mobilen Sicherungen nicht nur in der Wand auf technische Hilfsmittel. Auch der Weg zum Wandfuß wird aus eigener Kraft bewältigt.

Ab Clyde River, einer kleinen Inuit-Siedlung an der Nordostküste der Insel, erwartet die Abenteurer ein 150 Kilometer langer Marsch durch die Eiswüste, ehe sie das Objekt ihrer Begierde, eine 1000 Meter senkrecht in den Himmel ragende Felswand am Sam Ford Fjord erreichen.

Ein eigens für diese Expedition entwickelter Multifunktionsschlitten soll bisher unüberwindbar zu scheinende Logistikprobleme lösen.


Auf Stefan Glowacz wartet das Problem Schneeschmelze

Alle bisherigen Kletterexpeditionen in Baffin Island mussten – je nach Jahreszeit – beim Transport der Ausrüstung und Verpflegung auf Schneemobile, Kajaks oder Jägerboote einheimischer Inuit zurückgreifen. Stefan Glowacz, der die Region aus zwei vergangenen Expeditionen in 2001 und 2008 kennt, weiß um die besonderen Herausforderungen: „Während der Wintermonate ist der Sam Ford Fjord über eine geschlossene Eisdecke mittels Skidoos theoretisch gut zu erreichen. Die tiefen Temperaturen mit Spitzen bis zu minus 40 Grad verhindern dann allerdings ein freies Klettern in der Wand.“ Wer im vergleichsweise milden Sommer, - 20 bis + 5 Grad maximal, in die Region aufbricht, wird mit einem anderen Problem konfrontiert, nämlich Wasser und bewegt sich nach der Schneeschmelze und dem einsetzenden Eisaufbruch hauptsächlich mithilfe von Booten oder Kajaks fort.

Aus eigener Kraft jedenfalls sei es bisher noch keinem Team gelungen, die Big Walls an der von zahlreichen Fjorden zerklüfteten Ostküste zur idealen Kletter-Jahreszeit im späten Frühjahr bzw. Sommer zu erreichen.

Stefan Glowacz und Robert Jasper verstehen sich als moderne Abenteurer. Ihr Anspruch bei dieser Expedition: Reduktion auf ein überlebensnotwendiges Minimum. Das heißt: Kleines Team, möglichst leichtes Equipment, keine Fremdhilfe. „Wer wochenlang autark in der Isolation unterwegs sein will, muss zahlreiche logistische Herausforderungen meistern“, so Glowacz beim Pressetermin vergangene Woche auf der Zugspitze, „der eigens für diese Expedition entwickelte Multifunktionsschlitten ist unser Schlüssel zum Erfolg und ein Ergebnis gesammelter Erfahrungen aus vergangenen Expeditionen.

An der Felswand ersetzt der Schlitten ein Portaledge und wird zum vorübergehenden Schlafplatz für Stefan Glowacz (re.) und Robert Jasper.
An der Felswand ersetzt der Schlitten ein Portaledge und wird zum vorübergehenden Schlafplatz für Stefan Glowacz (re.) und Robert Jasper.
Bildcredit:
Klaus Fengler

Der Carbotech-Schlitten auf Baffin Island

Vor einem Jahr nahm Stefan Glowacz über eine Empfehlung seines langjährigen Partners Red Bull Kontakt zur Firma Carbotech auf. Harald Bernsteiner, der als Projekt- und Verkaufsleiter seit 15 Jahren für das in Salzburg ansässige Unternehmen tätig ist, hat den Prozess von der Idee bis zur Fertigung des Schlittens begleitet. „Ich bin im Unternehmen hauptsächlich für Rennsport und Industrie, aber auch für Sonderanfertigungen zuständig. Stefan trat mit dem Wunsch, einen Schlitten zu bauen, der alles kann, an uns heran.“ Von der Idee bis zum Prototypen vergingen 12 Monate. In der Entwicklung und Fertigung des Schlittens waren insgesamt – Glowacz und Konstrukteure mit eingerechnet – acht Personen involviert. Die ungewöhnliche Anfrage stellte im Hause Carbotech eine willkommene Abwechslung dar. „Wir bauen hauptsächlich Monocoques für McLaren Straßenfahrzeuge und Rennwagen, fertigen Verkleidungsteile aus Carbon für Serienautos und sind in diesem Bereich Weltmarktführer“, so Bernsteiner, „für einen Bergsteiger zu arbeiten, einen modifizierbaren Schlitten zu entwickeln, war ein Novum für uns.“


Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Der Wunderschlitten hat – wenn man so will – Traummaße: Er ist 2,5 Meter lang, 90 Zentimeter breit und mit seinen 12 Kilogramm ein wahres Leichtgewicht. Der vielseitige Schlitten hat noch viel mehr drauf als bloß spurtreu über schneebedeckten Untergrund zu gleiten. Er kann durch das Aufstecken von Leichtmetallfelgen auch als Zuggefährt mit Reifen, als eine Art Rikscha verwendet werden. In der Felswand ersetzt der Schlitten ein Hängezelt, auf dem Wasser kann er sogar als Raft benutzt werden.

„Die Variante Rikscha bewährt sich besonders auf hart gefrorenem oder holprigem Untergrund“, erklärt Robert Jasper beim Termin auf der Zugspitze, „dass wir kein extra Portaledge mitschleppen müssen, sondern unsere Pulkas zusätzlich als Schlafplattform in der Wand verwenden können, stellt eine enorme Erleichterung dar.“ Auf dem Rückweg Ende Juni erwartet die Abenteurer das Eintreten der Schneeschmelze, weshalb die vielseitigen Carbonwannen auch schwimmfähig sein müssen. Am Eibsee präsentierte das Trio eindrucksvoll wie sich die drei Schlitten im Handumdrehen zu einem Floß verbinden lassen. Aufblasbare Zusatz-Schimmkörper gefertigt von der Firma Paddle People, sorgen für mehr Stabilität und verhindern ein Kippen des schwer beladenen Floßes bei leichtem Wellengang.

Stefan Glowacz bei der Entwicklung des Schlittens in Salzburg mit dem Carbotech-Team.
Stefan Glowacz bei der Entwicklung des Schlittens in Salzburg mit dem Carbotech-Team.
Bildcredit:
Klaus Fengler

Leichtgewicht Carbon als perfektes Outdoor-Material

Warum der Carbonschlitten so leicht ist? „Normale Pulkaschlitten werden hauptsächlich aus Glasfaser gefertigt“, erklärt Harald Bernsteiner von Carbotech, „unsere Schlitten basieren auf leichterer Kohlefaser. Bei der Verarbeitung arbeiten wir unter Vakuum bei einem Druck von 6 Bar.“ Und das heißt? „Wir entziehen dem Material Luft und Harz, was mit einer enormen Gewichtsreduktion einhergeht.“ Darüber hinaus sei das verwendete Material, das bei 120 Grad ausgehärtet wird, durch die Zugabe von Aramid extrem reiß- und splitterfest und käme daher auch bei der Produktion von schusssicheren Westen zum Einsatz. Eine Serienfertigung des Multifunktionsschlittens hält Bernsteiners Vorgesetzter bei Carbotech, Florian Strobl, für ausgeschlossen: „Die Nachfrage für ein derartiges Nischenprodukt ist viel zu gering. Sollte sich aber ein weiterer Abenteurer bei uns melden, fertigen wir ihm gerne ein paar Exemplare dieser Hightec-Schlitten.“

Trotz Wunderschlitten bleibt die vierwöchige Expedition ein nervenaufreibendes, kräftezehrendes und gefährliches Unterfangen. Neben Gletscherspalten, Wetterumschwüngen, aufbrechenden Eisflächen,  Temperaturschwankungen von plus 5 bis zu minus 20 Grad und Steinschlag in der Wand stellt auch das größte an Land lebende Raubtier, der Eisbär, eine ernstzunehmende Bedrohung dar. Um sich vor Angriffen zu schützen, werden die Bergsteiger, die in einem Dreimannzelt am Wandfuß biwakieren, einen Bärenzaun errichten, der über Bewegungsmelder einen Alarm auslöst und den unliebsamen Gast so hoffentlich in die Flucht schlägt. Um Warnschüsse abgeben zu können, führen die Abenteurer zudem ein Gewehr mit sich. Sollte es im Extremfall zu einem Unfall kommen, ist mit rascher Hilfe über Satellitentelefon nicht zu rechnen. Halifax, wo sich der nächste Helikopter-Stützpunkt befindet, liegt 3.000 Kilometer vom Basecamp entfernt.

Das ist Baffin Island

Baffin Island, die fünftgrößte Insel der Erde, liegt nördlich der Provinz Quebec und westlich von Grönland. Mit 500.000 Quadratkilometern Fläche ist die Insel, die zu Kanada gehört, größer als Deutschland, jedoch leben gerade einmal 11.000 Menschen in der arktischen Wüste. An der Ostküste, die von unzähligen Fjorden durchzogen wird, ragen bis zu 1000 Meter hohe Felstürme senkrecht in den Himmel. Ein Mekka der Extremkletterer. In der Wand, der sich Glowacz und Jasper stellen wollen, erwarten die beiden Kletterer Schwierigkeiten im 9. und 10. Grad.




Johanna Stöckl Autor: Johanna Stöckl