Der fünfmalige Gesamt-Weltcupsieger Marc Girardelli stellte sich der Herausforderung und meisterte die Kultveranstaltung der Skibergsteiger in 14 Stunden. Nach dem Rennen sprach ISPO.com mit dem 52-jährigen Skistar. Ein Gespräch über Herausforderungen am Berg, schwere Verletzungen, Rekorde als Sportler, Misserfolge als Unternehmer und seine Treue zum Skisport.
ISPO.com: Marc Girardelli, war das Ihr erster Start auf der Patrouille des Glaciers?
Marc Girardelli: Ja (lacht). Wahrscheinlich auch das letzte Mal.
Was reizt Sie an so einer Schinderei auf Ski?
Ich wusste doch nicht, worauf ich mich da einlasse! Letzten Sommer fragte mich ein Freund aus Luxemburg, ob ich mit ihm im Team antreten würde. Vor dem Hintergrund, dass ich damals etliche Kilos zu viel drauf hatte, sagte ich spontan zu. Ich sah eine ideale Gelegenheit, wieder regelmäßig trainieren zu müssen.
Wann haben Sie realisiert, was auf Sie zukommt?
Ein paar Wochen später informierte ich mich, was die Patrouille des Glaciers eigentlich bedeutet und musste mich ernsthaft fragen, ob es nicht besser wäre abzusagen.
Laut Ergebnisliste haben Sie 14 Stunden das Ziel erreicht. Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Abschneiden?
Dass wir keine Rekorde brechen, war klar. Wir wollten finishen und das haben wir anständig geschafft.
„Vielmehr als ein Wettkampf. Es ist ein Ereignis“
Was hat Sie am meisten beeindruckt?
Auf dem letzten Gipfel vor Verbier drehte ich mich einmal kurz um und sah in weiter Ferne das Matterhorn. Dann realisierst du, rein geografisch, was du da für eine Strecke ab Zermatt auf Ski zurückgelegt hast. Du traversierst von Ost nach West mehr oder weniger das ganze Wallis. Das hat mich beeindruckt. Und natürlich die Stimmung in der Kirche.
Kirche?
Vor dem Rennen treffen sich alle Starter in der Kirche. Zum einen werden dort der Eventablauf und organisatorische Dinge erläutert und Reden gehalten, ehe ein kurzer Gottesdienst inklusive Segnung stattfindet. Die Zeremonie war ergreifend. Erst in der Kirche habe ich realisiert, dass dieses Rennen viel mehr ist als ein Wettkampf. Es ist ein Ereignis.
Wie sah Ihre Vorbereitung aus?
Meine beiden Teamkollegen haben ab November beim Tourentraining 60.000 bis 80.000 Höhenmeter runtergestrampelt. Ich fand im Winter über meine geschäftlichen Verpflichtungen – zahlreiche Incentives und Vorträge – kaum Zeit für gezieltes Training und kam auf ein Pensum von lächerlichen 12.000 Höhenmetern. Gut, ich saß oft auf dem Hometrainer, aber im Gelände war ich selten. Insofern bin ich überrascht, wie gut es am Ende gelaufen ist.
„Die Stimmung in der Dunkelheit und Stille war grandios“
Sind bei der PDG alpinistische Fähigkeiten vonnöten?
Man muss schon halbwegs versiert im Gelände sein und einen Klettersteig am Seil mit Ski am Rücken abklettern können. Ich bin schwindelfrei, kann Höhe gut vertragen und war früher auch regelmäßig beim Klettern. Für meine Teamkollegen, die aus dem Flachland kommen, war das vor allem nachts schwieriger.
Macht es Spaß in der Dunkelheit über Bergkämme zu laufen oder ist da eher die Kämpfernatur gefragt?
Die Nachtetappen von Zermatt nach Arolla waren mein absolutes Highlight. Ich fühlte mich stark, die Stimmung in der Dunkelheit und Stille war grandios. Ab der Dämmerung allerdings hab ich wenig von der Atmosphäre wahrgenommen und nur noch meine Skispitzen gesehen.
Heißt, Sie haben insgesamt wenig von der atemberaubenden Umgebung mitbekommen?
Richtig. Erst war’s stockfinster und dann war ich körperlich nicht mehr dazu in der Lage, irgendwelche Landschaften zu bewundern. Ich musste mich extrem auf meine Atmung konzentrieren. Als es gegen Ende auch noch richtig warm wurde, legten wir nach 100 Schritten immer Pause von ein paar Sekunden ein. Sonst saust dir der Puls auf 200 und du kippst um.
„Habe 18 Operationen hinter mir“
Wie viele richtige Pausen macht man auf einer 14-stündigen Stunden Skitour in anspruchsvollem Gelände?
Wir haben an zwei offiziellen Stationen jeweils fünf Minuten angehalten und Nahrung zu uns genommen. Liegt man nämlich nicht innerhalb bestimmter Zeitlimits, wird man disqualifiziert. Einer aus unserem Team war kein guter Skifahrer, was uns speziell bei den Nachtabfahrten Zeit gekostet hat. Was du bei den Abfahrten verlierst, holst du in den Anstiegen nicht mehr auf.
Ich erinnere mich dunkel daran, dass Sie an den Spätfolgen einer schweren Knieverletzung leiden.
Ich bin seit meinem 19. Lebensjahr zu 15 Prozent Invalide, habe mit diesem Knie aber später fünf Gesamtweltcupsiege eingefahren (lacht). Der Arzt, der mich untersuchte, gab mir damals den dringenden Rat, einen Job zu suchen, bei dem man keine Treppen steigen muss. Heute bin ich 52 und habe die Patrouille des Glaciers gut überstanden. Darf ich hier etwas ausführlicher werden?
Nur zu!
Ich ja hatte nicht nur diese eine schwere Knieverletzung. In der Summe habe ich bis zum heutigen Tag 18 Operationen hinter mir. Das setzt einem Körper gewaltig zu. Ab 2000 bis 2010 war ich täglich auf Voltaren. Irgendwann halfen auch die Tabletten nichts mehr. Ohne ein Geländer zu benutzen, konnte ich keine Stiege mehr hochlaufen. Just zu dieser Zeit kam ich zufällig in Kontakt mit der Firma Bemer, habe deren Geräte zur physikalischen Gefäßtherapie ausprobiert und war nach zwei Monaten ohne Tabletten schmerzfrei. Diese Erfahrung teile ich aus Überzeugung und nutze jede Gelegenheit, sie an Menschen, hauptsächlich Sportler weiterzugeben. Mir hat diese Form der Therapie unglaublich geholfen.
„60 bis 70 Skitage pro Winter“
Wurmt es Sie eigentlich, dass Marcel Hirscher zum fünften Mal den Gesamtweltcup gewonnen und damit mit Ihnen gleichgezogen hat?
Ich gönne Marcel Hirscher jeden Erfolg und kommuniziere das auch eifrig. Ich weiß, wie schwer es ist, fünfmal der Beste zu sein. Marcel hat noch dazu fünfmal in Serie gewonnen. Hirscher ist eine sehr interessante Persönlichkeit. Er wird noch mehr zeigen, da bin ich mir sicher. Und ich werde der Erste sein, der ihm dann gratuliert.
Wie oft stehen Sie noch auf Ski?
Sehr oft. Als nächstes fahre ich nach Samnaun, um dort mit dem Schweizer Martin Hangl (Anmerkung: Weltmeister, Super G, 1989 in Vail) an der EM im Formationsfahren teilzunehmen. Das habe ich ihm versprochen. Pro Winter komme ich auf 60 bis 70 Skitage, die meisten davon verbringe ich mit Kunden, da ich hauptberuflich Ski-Incentives organisiere.
Konnten Sie in Ihrer überaus erfolgreichen aktiven Zeit als Alpiner gutes Geld verdienen?
Nun weiß ich ja nicht, was ein Hirscher heute verdient, aber ich konnte seinerzeit gut vom Skifahren leben. Wissen Sie, das mit dem Geld ist immer relativ. Gemessen am Einkommen eines Fußballers, eines top Golf- oder Tennisspielers ist Marcel Hirscher ein Idealist. Vergleicht man ihn aber mit einem Kunstturner an der Weltspitze, ist Hirscher kohlemäßig sehr fein raus.
„Ich brauche keinen Privatjet“
Es gab auch schwierige Phasen im Ihrem Leben. Verletzungen während der aktiven Zeit. Nach der Sportkarriere Misserfolge als Hotelier, Sie scheiterten als Unternehmer mit einer Skihalle in Bottrop.
Als Hoteliers versuchten sich in erster Linie meine Eltern und ich musste das am Ende ausbaden, konnte das Objekt aber halbwegs gut veräußern. Gastronomie liegt mir nicht (lacht). Ich sitze lieber auf der anderen Seite der Bar. Die Skihalle hingegen war ein großes, auch riskantes Unternehmen mit seinerzeit 120 Mitarbeitern. Der niederländische Hotelkonzern Van der Valk, an den ich die Halle 2004 verkauft habe, führt die Skihalle allerdings bis heute erfolgreich. Konzept und der Standort haben sich grundsätzlich bewährt.
Aber Sie haben viel Geld in Bottrop verloren.
Kann man so sagen. Ich bin nun mal ein Typ, der sich gerne neuen Herausforderungen stellt. Als solcher muss man dann auch bereit sein, die Konsequenzen zu tragen, wenn etwas schief läuft. Geld kann man immer verlieren, aber auch jederzeit wieder verdienen. Ich brauche keinen Privatjet (lacht). Mir reicht ein Helikopter.
Sind Sie auch als Berater in Bulgarien tätig.
Als eine Art Botschafter bin seit zehn Jahren in Bulgarien in Sachen Skisport und Tourismus aktiv. Dass heute Weltcuprennen in Bansko stattfinden, habe ich mit eingefädelt. Bansko ist nämlich ein großartiges Skigebiet, gut zu erreichen, verfügt über beste Lifte und Pisten, super Hotels und wirklich fantastischen Hütten. Bulgarien ist lediglich in der Wahrnehmung nach wie vor der Hinterhof Europas. Aber das Land blüht seit der Öffnung des Eisernen Vorhangs richtig auf. Ich habe dort viele gute Freunde gefunden.
„Mein Traum ist der Segelflugschein“
Marc Girardelli muss doch auch ein gefragtes Testimonial für Skifirmen sein.
Seit nunmehr zwei Jahren arbeite ich gemeinsam mit Bode Miller für Bomber Ski. Der Inhaber und Gründer der Skimarke stammt aus New York, Firmenzentrale und Produktion sitzen aber in der Nähe von Mailand. Bomber produziert sehr exklusive Ski in Handarbeit, ähnlich wie die Marken Zai oder AK und will in den Skirennsport investieren. Durchaus möglich, dass Bode Miller nächstes Jahr auf Bomber Ski wieder am Start steht.
Der Sommer steht vor der Tür. Freuen Sie sich darauf oder vermissen Sie den Schnee?
Ich bin in der Tat froh, wenn ich die Skischuhe in den Keller stellen kann. Wobei, gelegentlich habe ich auch Kunden aus Südamerika, mit denen ich im Sommer in Chile Skifahren gehe. Aber in der Regel ist es im Sommer ruhiger. Ich werde zum Bergsteigen gehen, mit dem Rennrad unterwegs sein und mir vielleicht einen Traum erfüllen.
Der da wäre?
Den Segelflugschein machen. Seit nunmehr 25 Jahren bin ich Helikopterpilot. Aber ohne Motorkraft durch die Lüfte schweben, das wär’s noch.
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