Outdoor/27.10.2016

Mark Jenkins über den Film „Down to Nothing": „Emily Harrington hat dauernd geheult“

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Kurz vor dem Gipfel des rund 6000 Meter hohen Hkakabo Razi, dem höchsten Berg Südostasiens in Myanmar, bekommt sich ein Team in die Haare. Die Expedition scheitert – ein Film wurde dennoch daraus: „Down to Nothing“, zu sehen bei der European Outdoor Film Tour (E.O.F.T.). Teammitglied Mark Jenkins schildert, was schieflief.

„Ich habe unser Team überschätzt“, sagt Mark Jenkins über die North-Face-Expedition.
„Ich habe unser Team überschätzt“, sagt Mark Jenkins über die North-Face-Expedition.

Erst ein einziges Mal wurde der rund 6000 Meter hohe Hkabo Razi bestiegen. Eine von The North Face und National Geographic gesponserte Gruppe machte sich Ende 2014 zur zweiten Besteigung auf. Doch die Expedition scheiterte auf 5500 Metern krachend. Das Team zerstritt sich, die Leiterin blieb zurück.

Teilnehmer und Journalist Mark Jenkins aus den USA erklärt im Interview mit ISPO.com, was bei der Expedition, die zum Film „Down to Nothing“ führte, passierte.

Interview mit Mark Jenkins

ISPO.com: Mister Jenkins, wie kam es zu diesem Höllentrip am Hkakabo Razi? Allein die Anreise hat einen Monat gedauert, inklusive 200-Kilometer-Marsch durch den Dschungel...
Mark Jenkins: Das war ja noch eine der lustigen Phasen! Diese Baby-Hell's-Angels, die unsere Unmengen von Gepäck auf ihren popeligen 100 Kubikmeter-Mopeds durch den Schlamm kutschiert haben: herrlich! Aber die komplette Story ist tatsächlich diese: So sollte man eine Expedition nicht machen!

Dabei haben Sie schon so viele auf dem Buckel.
Stimmt, meine erste führte nach Tibet, 1984. Ich bin es gewohnt, an abgelegenen Orten zu sein. Wobei: Davon gibt es nicht mehr viele, sie sind fast vom Planeten verschwunden. Der Everest? Ha! Der Nordpol? Da können Sie mit dem Flugzeug landen und zu Abend essen. Das selbe am Südpol. Ich habe mal eine Geschichte über den entlegensten Platz der USA – mit Ausnahme von Alaska – gemacht: Der war bei mir zu Hause in Wyoming, keine 23 Meilen von der nächsten Straße entfernt.
Zu den wirklich abgelegenen Orten musst du laufen – und das ziemlich lange. Die Erforschung ist so gut wie abgeschlossen – bis auf den Grund der Meere. Wer wirklich noch etwas entdecken will, muss Astronaut werden. Geblieben ist: das Abenteuer. Viele Wände sind noch nicht bezwungen, viele Flüsse noch nicht befahren, viele Gipfel noch nicht bestiegen.

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Mark Jenkins (r.) muss am Hkakabo Razi an seine Grenzen gehen
Mark Jenkins (r.) muss am Hkakabo Razi an seine Grenzen gehen
Bildcredit:
Renan Özturk

„Genervt von Kommerzialisierung“

Im Film fragt einer Ihrer Teamkollegen: „Warum bist du so getrieben, so besessen? Wo kommt das her bei dir?“
Sagen wir mal so: Ich drehe erst um, wenn es gar nicht mehr anders geht. Im Laufe der Jahre sind viele meiner besten Freunde auf Expeditionen gestorben, mit zwei von ihnen wollte ich schon mal auf den Hkakabo Razi, 1993. Wir sind grandios gescheitert, wurden damals von der Militär-Junta in Burma verhaftet, aber es war ein Abenteuer.
Ich habe ein Foto von unserer 93er-Tour während unserer jetzigen Expedition die ganze Zeit über in meiner Brusttasche getragen und wollte es als eine Art Memorial auf dem Gipfel lassen. Ich hatte eine stärkere Bindung zu diesem Berg als meine Teammitglieder, war schon zum fünften Mal in Burma. Aber das habe ich den Kollegen alles erst am Schluss erzählt.

Wer hat das Team zusammengestellt?
Ich war mit der Expeditionsleiterin Hillaree O'Neill auf dem Everest gewesen, beide waren wir völlig genervt von der Kommerzialisierung, die dort betrieben wird. Das hat mit alpinem Klettern nichts zu tun. Alle Seile sind schon da, Sherpas schleppen alles für dich. Für einen richtigen Bergsteiger ist das eigentlich kein Ziel mehr. Da gibt es in den Alpen spannendere Dinge.
Wir wollten an einen entlegeneren Ort: den Hkakabo Razi. Für den rund 100.000 Dollar teuren Trip hatten wir The North Face und National Geographic als Sponsoren gewonnen. Ich war der einzige von uns sechs, der kein North-Face-Athlet war. Obwohl der Trip meine Idee war, waren wir praktisch ein North-Face-Team – mit einer Frau als Leiterin.

 

US-Meisterin im Sportklettern „heult“

Im Höhencamp auf 5500 Metern, mitten im Sturm und bei eisigen Temperaturen, kam es zum Eklat, als sich die Gruppe trennte: Die Leiterin blieb mit der Jüngsten zurück, während die Männer den Gipfel in Angriff nahmen. Hillaree sagte zu Ihnen: „Fuck you, Mark, für dein mangelndes Vertrauen!“ Wie war die Stimmung, als Sie nach dem gescheiterten Gipfelversuch wieder zu Hillaree und Emily ins Basecamp kamen?
Emily war heilfroh, dass sie wieder unten war, aber Hillaree war stocksauer auf mich. Und wir mussten ja wieder wochenlang zusammen durch den Dschungel zurücklaufen. Sie war eine gute Leiterin – bis zu dem Punkt, als wir hoch in die Berge kamen, wo mehr technische Fähigkeiten, Wissen und Erfahrung gefragt waren. Sie ist eigentlich eine Big-Mountain-Skifahrerin. Und Emily Harrington, die Jüngste, ist US-Meisterin im Sportklettern. Mit alpinem Klettern hat all das wenig zu tun. Aber sie alle gehören zu dieser neuen Art von Athleten: Sie sind richtig gut in Social Media und PR.

Was einem auf 5500 Metern allerdings wenig hilft...
Korrekt. Emily war total verängstigt, hat die ganze Zeit geheult.

Klingt gefährlich.
War es auch. Aber wir sind alle noch befreundet. Ich habe mich mit Hillaree oft und heftig gestritten, aber wir haben uns ausgesprochen. Auf eine Expedition werden wir nicht mehr zusammen gehen. Es ist aber auch mein Fehler gewesen: Ich habe unser Team überschätzt und die technischen Schwierigkeiten am Berg unterschätzt.
Als wir unter der Nordwand standen, dachte ich nur: Oh Mann! Das wird kein Marsch zum Gipfel, sondern technisch höchstanspruchsvolle Kletterei. Der Berg ist erst einmal bestiegen worden, 1996, von einem Japaner. Der hatte aber auch drei Expeditionen gebraucht. Unser eigentliches Problem war die Zeit.

Wie meinen Sie das?
Als wir nach einem Monat Anreise endlich am Basecamp ankamen, schlug ich vor, den Rückflug um zwei, drei Wochen nach hinten zu verschieben – aber niemand wollte das. Jeder hatte seinen Terminkalender im Kopf. Somit hatten wir nur neun Tage vom Basecamp hoch zum Gipfel und zurück.
Der Japaner hatte damals 25 Tage gebraucht, und der war ein erfahrener Alpinist, ein richtiger Kletterer. Wir haben uns überschätzt. Ich habe viele Lektionen gelernt, von denen ich dachte, dass ich sie schon längst gelernt hätte. Aber die Berge lehren dich immer wieder den selben Stoff.

Der US-Amerikaner Mark Jenkins (58) ist Journalist für National Geographic, berichtete von den Kriegen in Afghanistan und im Kongo. Er unternahm mehr als 75 Expeditionen an die entlegensten Orte der Welt, meist kletternd.

„Down to Nothing“ im Video:




Autor: Thomas Becker