Nicht nur als Adrenalinjunkies verschriene Athleten erfinden immer neue Sportarten, um sich ans Limit ihrer mentalen und körperlichen Kräfte zu katapultieren.
Sie stürzen sich im Wingsuit wie Vögel ins Tal, balancieren beim Highlining auf Seilen über gähnende Abgründe oder springen beim Basejumping von Windrädern, Brücken, Sendemasten oder Felsen in die Tiefe.
Aber warum? Sind sie verrückt oder gar selbstmordgefährdet, wie man meinen könnte? Keineswegs. Extremsportler meinen genau zu wissen, was sie tun und welches Risiko sie eingehen, sie suchen die „kontrollierte“ Gefahr.
Sprung aus Heißluftballon
Hannes Kraft zum Beispiel ist so einer, der einfach nicht genug bekommt vom freien Fall. Seit seinem ersten Sprung aus einem Heißluftballon 1995 liebt der 51-Jährige das „Gefühl des Fallens in einen luftleeren Raum. Wenn man mit dem Fallschirm von einem Hubschrauber aus abspringt, fühlt sich das an, als ob man aus einem fahrenden Zug stürzt; es ist irre laut“, erklärt der Basejumper.
„Springt man hingegen von einem stehenden Objekt aus in die Tiefe, ist alles leise und wunderbar ruhig. Man fällt in etwas unsagbar Leeres hinein, das ist ein einmaliges Erlebnis, es gibt nichts Vergleichbares. Anders kann ich es nicht beschreiben.“
Kraft, einer der Pioniere in der Basejumping-Szene und passionierter Fallschirmspringer, hat weit über 1000 Sprünge absolviert und jeden davon akribisch vorbereitet.
Motive der Extremsportler
„Das ist ein supergefährlicher Sport, ich bin mir des Risikos bewusst. Wenn die Bedingungen nicht hundertprozentig sind, weil etwa das Wetter nicht mitspielen könnte, lasse ich es bleiben.“
Im bürgerlichen Leben ist Kraft Verwaltungsangestellter. Betreibt er sein faszinierendes Hobby als Ausgleich zum langweiligen Job? Psychologen jedenfalls halten das für eines der Motive von Extremsportlern, Kraft jedoch verneint.
„Ich habe jahrelang als Bauleiter gearbeitet, das ist stressig genug“, wehrt er lachend ab, „ich brauche keinen Stress nebenher. Aber“, fügt er hinzu, „jeder sollte das machen, was seiner Bestimmung entspricht. Und mich erfüllt nun mal Basejumping und nicht Angeln oder Schachspielen mit Leidenschaft.“
Sensation Seeker lieben das Extreme
Es gibt Menschen, zu deren Lebensstil das Extreme gehört. Der bekannteste Ansatz, um dieses Phänomen zu erklären, stammt von Marvin Zuckerman. Er entwickelte das Sensation-Seeking-Konzept.
Menschen mit dieser Persönlichkeitsdisposition, die zu etwa 60 Prozent genetisch vorprogrammiert ist, suchen nach starken Reizen und ungewöhnlich stimulierenden Erfahrungen und Erlebnissen.
„Bei Sensation Seekern reagiert das zentrale Nervensystem nicht mit einer Schutzhemmung, sie können intensive Reize gut aushalten“, erläutert der Sportpsychologe Oliver Stoll.
Downhill als kalkulierbares Risiko
„Diese Menschen gehen bei der Ausübung ihres Sports ein kalkulierbares Risiko ein wie beispielsweise der Formel-1-Fahrer oder der Downhiller, der mit seinem Bike die Piste herunterfährt.
Ihnen ist durchaus bewusst, dass ein Kontrollverlust extreme, unter Umständen lebensbedrohliche Folgen haben kann. Aber sie sind sicher keine Selbstmordkandidaten, die es darauf anlegen.“ Wahrscheinlich sei das Mortalitätsrisiko beim Fußball sogar höher als beim Gleitschirmspringen, vermutet Stoll.
Hannes Kraft ist in Mexiko in eine 400 Meter tiefe Höhle gesprungen, in ein scheinbar bodenloses, rabenschwarzes Loch. „Natürlich begegne ich einer solchen Herausforderung mit dem nötigen Respekt. Ich weiß, welche Gefahren sie birgt und was theoretisch passieren kann“, räumt er ein.
Angst gehört zum Sport
„Trotzdem ist die Erwartung an das Erlebnis, an das, was kommen wird, stärker als die Angst. Die Neugierde überwiegt. Angst darf dich bei so einem Sprung nicht beherrschen. Sie ist im besten Fall dazu da, die Situation konzentrierter einzuschätzen und bewältigen zu können. Du musst zum Beispiel genau wissen, wann du deinen Fallschirm öffnest, und darfst dabei nicht den Bruchteil einer Sekunde zögern.“
Extremsportler haben offenbar gelernt, mit der Angst ihren Sport auszuüben und diese in den Sport zu integrieren. Diese Ansicht vertritt auch die Wissenschaft. Neurobiologen gehen zudem davon aus, dass das Dopamin-Belohnungssystem maßgeblich an der Bewältigung von extremen sportlichen Herausforderungen beteiligt ist.
Dopaminausschüttung im Gehirn
Die Dopamin-Neurone (Nervenzellen) kann man sich dabei wie Vorhersage-Neurone vorstellen: Sie messen den Unterschied zwischen Erwartung und Ergebnis.
Erweist sich eine Erwartung als richtig, wird das mit einem üppigen Dopaminausstoß belohnt, der Körper mit Glücksgefühlen geflutet. Bleibt ein Ergebnis aber aus oder fällt geringer aus als die Erwartung, verändert sich die Dopaminausschüttung im Gehirn nicht.
Klickrekorde bei YouTube
Als Verstärker wirkt sicherlich auch die mit der Herausforderung einhergehende Anerkennung. Obschon viele Sportler weniger den Jubel des Publikums als die Selbstbestätigung suchen.
Aber diejenigen, die partout berühmt werden wollen, liefern einen Rekord nach dem anderen. Die medialen Möglichkeiten zur Präsentation sind schließlich perfekt, das Interesse der Öffentlichkeit groß.
Mehr als acht Millionen Zuschauer verfolgten gleichzeitig bei YouTube den Sprung von Felix Baumgartner: Der Österreicher stürzte sich in 39 Kilometern Höhe aus einer Ballonkapsel, raste mit mehr als 1340 Stundenkilometern zur Erde und durchbrach die Schallmauer.
Slackline in den Anden
Jeb Corliss, der schon mit sechs Jahren vom Fliegen träumte, schoss 2011 im Wingsuit über das Sankt Gallener Oberland. Der Kalifornier kollidierte beinah mit einem Felsvorsprung, das Video wurde bis jetzt 28 Millionen Mal geklickt.
Und 2013 gelang es Slackline-Profi Lukas Irmler, einen Weltrekord auf einer 21 Meter langen Highline in 5222 Meter Höhe in den peruanischen Anden aufzustellen.
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