David Göttler: Für mich ist die Zeit am Berg unglaublich wichtig, und auch, diese mit meinem Team-Partner zusammen zu erleben. Ich bin jetzt nicht der Solo-Bergsteiger, ich genieße es sehr, dieses Erlebnis zu teilen.
Speziell in der Höhe muss ich auch mit der Angst umgehen, gerade ab 8000 Metern. Jeder Schritt wird immer noch schwieriger für den Kopf; bei jedem Schritt muss ich mich überzeugen, danach nochmal zwei zu machen.
Das sind so Dinge, die mich motivieren. Wenn die Expedition dann klappt, hält die Motivation dann natürlich noch länger.
Mein Anfangsfunken ist zwar immer erstmal das Ziel, zum Beispiel auf den Everest ohne Träger oder Sauerstoff. Aber dann genieße ich sehr schnell den Prozess der Vorbereitung und des Trainings. Dabei lerne ich auch immer unglaublich viel. Und solange ich etwas lerne, ist es für mich gut investierte Zeit meines Lebens. Für mich hängt die Motivation also nicht nur an diesem einen Punkt, am Gipfel anzukommen.
Training und Ausrüstung im Alpinismus
Ich will mich möglichst schnell und effizient am Berg vorwärts bewegen. Dabei spielt leichte Ausrüstung eine wichtige Rolle. The North Face hat mich und ein Team von anderen Bergsteigern eng in die Entwicklung des neuen Advanced Mountain Kits der Summit Series einbezogen. Ich war also aktiv daran beteiligt, zum Beispiel nur einen halben Reißverschluss einzubauen, damit die Jacke nicht aufweht. Herausgekommen ist nun ein ausgeklügeltes Schichtsystem, vom Baselayer bis zum Handschuh, mit dem ich sehr gut geschützt und gleichzeitig flexibel unterwegs sein kann.
Eigentlich trainiere ich dauernd. 2016 bin ich mit Ueli Steck auf Expedition gefahren und habe im Jahr zuvor angefangen mit Uphill Athlete gezielt zu trainieren. Seit diesem Zeitpunkt ist mein Training total strukturiert.
Klar hast du mal zwei oder drei Wochen nach einer Expedition nichts im Trainingsplan, aber ansonsten tauschen mein Trainer und ich uns täglich aus. Ich lade über meine Uhr meine Trainingseinheiten hoch, wir sprechen über WhatsApp und haben dann wöchentlich einen Video-Call.
Auch wenn ich sehr selbstgetrieben bin, ist es gut irgendwie Rechenschaft schuldig zu sein. Ich habe immer gemacht, was ich gern gemacht habe. Wenn aber jemand von außen sagt: „Warum machst du jeden Tag dasselbe? So wirst du nicht besser, du musst beim Training abwechseln“, entwickelt man sich wirklich weiter.
Hoch hinaus mit Kilian Jornet
Es gibt nicht so viele Höhenbergsteiger, die im gleichen Stil wie ich unterwegs sind. Da gibt es nur ein paar, die sich in der Szene tummeln. Kilian Jornet und ich hatten so schon eine Weile losen Kontakt.
Er war dann mal auf der Durchreise in Chamonix, wo ich im Winter lebe, und wir sind zusammen zum Laufen gegangen. „Oh mein Gott!“, dachte ich mir zuerst. Wir waren aber dann nur eine Stunde Laufen und haben festgestellt, dass wir so einige Ansätze haben, die gut zusammen funktionieren würden. So kam das dann, dass wir im Frühjahr zum ersten Mal gemeinsam unterwegs gewesen sind. Und es wird auch sicher nicht das letzte Mal gewesen sein.
Klar tauschen wir uns immer wieder aus, was möglich ist und wir angehen wollen, aber es ist noch nichts spruchreif. Es ist auch mittlerweile eine Unsitte in der Szene geworden, dass unglaublich viel im Vorfeld angekündigt wird. Reinhold Messner hat neulich von „Ankündigungs-Alpinismus“ gesprochen und da muss ich ihm zustimmen. Bei Expeditionen oder generell bei sportlichen Höchstleistungen sollte immer jedem klar sein, dass alles passen muss, um beispielsweise den Gipfel zu erreichen. Das klappt natürlich auch hin und wieder nicht beim ersten Mal.
Manchmal werden Sachen angekündigt, da falle ich fast vom Glauben ab. Dadurch, dass sich jeder selbst promoten kann, wird das multipliziert, weil es sich halt gut liest. Deshalb bin ich mit den Ankündigungen meiner eigenen Expeditionen sehr vorsichtig geworden.
Schöner Scheitern ohne Druck
Druck würde ich sagen, spüre ich selbst eigentlich nicht. Dafür bin ich einfach zu natürlich in diesen Expeditions- und Profi-Alpinismus hineingewachsen. Ich habe das ja seit mehr als 20 Jahre langsam gelernt.
Ich finde es allerdings dem Publikum gegenüber ungerecht, maximalen Medienwirbel im Vorfeld zu erzeugen, wenn ich noch keine Leistung erbracht habe. Natürlich kann ich ein Vorhaben ankündigen, muss dann aber auch realistisch sagen, die Chancen stehen zum Beispiel bei maximal zehn Prozent, weil so viel passen muss. Ich scheitere ja auch unglaublich oft.
Natürlich bin ich enttäuscht, bereuen tue ich trotzdem nichts. Außerdem gehört für mich das Scheitern generell dazu. Vor allem wenn wir uns weiterentwickeln, Grenzen verschieben und Neuland für uns selbst betreten wollen.
Das ist so ein Unding unserer Gesellschaft, dass Scheitern immer mit Verlieren und einem Loser-Status gleichgesetzt wird. Dabei gehört es dazu: Keine Errungenschaft der Menschheit ist ohne Scheitern entstanden.
Gerade Höhenbergsteigen ist wie ein riesiges Puzzle: Ich muss mich zum Beispiel an dem Tag gut fühlen. Das war auch der Grund, warum es im Frühjahr mit Kilian nicht geklappt hat. Auf 8000 Metern haben wir uns beide nicht gut gefühlt, weil wir uns am Tag zuvor einen Sonnenstich eingefangen hatten.
Die Bergsteiger-Szene, Social Media und Corona
Im Moment ist für mich das Schwierigste, einzuordnen, was sonst so an den hohen Bergen passiert. Es bestehen Unterschiede. Da sind die, die mit Sauerstoff unterwegs sind und mit unglaublich viel Manpower. Und am anderen Ende des Spektrums ist dann der einzelne Bergsteiger wie ich zu sehen, ohne Sauerstoff.
Wenn ich mich frage, ob ich das Bergsteigen verlernt habe, weil alle auf den Gipfel kommen und ich hier wieder umdrehe, muss ich mich selbst einnorden. Mit Sauerstoff ist man in einem ganz anderen Stil unterwegs – man kann fast sagen, in einer anderen Sportart. Aber es wird von allen Seiten gleich kommuniziert.
Das ist eine Sache, die ich versuche aufzuklären, um unsere Sportart differenzierter zu betrachten. Wenn wir über professionelle sportliche Leistungen sprechen, und in der Sportart Höhenbergsteigen ein Vorbild sein wollen, dann ist das nur möglich, wenn wir das auf Expeditionen beziehen, die ohne Sauerstoff zustande gekommen sind. Denn sobald Sauerstoff im Spiel ist, ist es für mich ganz klares Doping.
Fürs Protokoll: Ich habe nichts gegen Leute, die mit Sauerstoff, Bergführern und Manpower hochgehen. Die alles dafür tun, dass sie da oben anschlagen. Das ist für die Leute ein unvergesslicher Tag, das Highlight ihres Lebens möglicherweise. Trotzdem wird kein Mensch schreiben, das ist alpin-historisch eine herausragende Leistung. Dahingegen ist das im Höhenbergsteigen zum Teil schon so. Mittlerweile habe ich gelernt, das für mich besser einzuordnen.
Generell besser als am Anfang gedacht. Ich lebe ja in Spanien, und dort durftest du die ersten zwei Monate nur zum Einkaufen aus dem Haus. Das haben wir dann online erledigt und ich habe eigentlich sechs Wochen nicht mehr unser Hoftor aufgemacht. Ich war komplett entspannt und mir ging es wirklich gut. Ich habe viel Yoga gemacht und meine Motivation in neue Übungen gesteckt.
Auch was Social Media angeht, war ich sehr entspannt. Es musste ja jeder zu Hause bleiben und keiner konnte was Cooles machen. Seit ich das so krass erlebt habe, mache ich mir selber auch nicht so sehr den Druck, wenn ich sehe, was meine Kumpels machen. Man sieht auf Social Media ja von so vielen auch immer nur den besten Tag. Aber alle haben auch ihre normalen Tage und das ist mir in der Zeit nochmal bewusst geworden.
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