Oder – wie im Falle von Dani Arnold – die Schmid-Route an der Nordseite des Matterhorns hinaufzurasen. Nur zur Einordnung: Normal sterbliche Menschen brauchen zwischen acht und zehn Stunden für diese Tour.
Der Schweizer ist Speed-Kletterer und hält mit 1:46 Stunden den Rekord am Schweizer Nationalheiligtum. Gleichzeitig arbeitet er als Bergführer und Vortragsredner. Trotz seines dichten Terminplans nahm sich das Outdoor-Multitalent am Rande der „European Outdoor Film Tour“ Zeit für ein Interview.
Im Gespräch mit ISPO.com erklärt Arnold den Unterschied zwischen seriösem und unseriösem Bergsteigen, sein Geschäftsmodell und welchen Fehler er im Leben nie wieder machen wird.
Herr Arnold, wann wird bei Ihnen mehr Adrenalin ausgeschüttet: Kurz vor dem nächsten Rekordversuch am Berg oder kurz vor einem Auftritt als Vortragsredner?
Um ehrlich zu sein: kurz vor dem Vortrag. In den Bergen fühle ich mich zu Hause, aber so ein Vortrag, das ist eine komplett andere Disziplin für mich.
Eigentlich verrückt, auf der Bühne kann Ihnen viel weniger passieren...
Diese Vorträge sind wie ein neuer Beruf für mich, das musste ich erst lernen. Ich interessiere mich stark für den mentalen Aspekt beim Klettern, und es ist sehr spannend, dass man diese Stärke oft nicht ins Alltägliche übertragen kann.
"Durch den Aufprall entstand eine starke Druckwelle"
Sie sind erst seit ein paar Wochen wieder von einer Expedition aus Pakistan zurück. Wie schwer ist Ihnen die Rückkehr in den Alltag gefallen?
Dieses Mal war es tatsächlich gar nicht so leicht für mich. Wir waren zwei Monate unterwegs, haben dabei viel Zeit mit Warten auf besseres Wetter im Zelt verbracht. Zurück in der Schweiz habe ich sicher zwei, drei Wochen gebraucht, um meinen Rhythmus im Alltag wieder zu finden.
Einmal wäre Ihnen das Warten im Zelt fast zum Verhängnis geworden. Was lief schief schief auf der Expedition?
Auf gut 5000 Metern mussten wir auf einem Gletscherplateau in unseren Zelten warten, um in der Nacht bei besserem Schnee weitergehen zu können. In circa 500 Metern Entfernung stand ein Serac. Das ist ein Teil des Gletschers, der sich an Abbruchkanten bildet und ein bisschen wie ein Turm aussieht. Dieser Serac war gut 30 Meter hoch und krachte herunter.
Was ist dann passiert?
Durch den Aufprall entstand eine starke Druckwelle, die fast unsere Zelte weggerissen hätte – mit uns in unseren Schlafsäcken.
Wie viel Zeit hatten Sie zu reagieren?
Vier, fünf Sekunden. Eigentlich gar nicht so wenig, aber du schaffst es halt in dieser Zeit nie aus deinem Schlafsack heraus. Wir haben dann mit aller Kraft unsere Zelte festgehalten und hatten Glück.
Welche Lehren haben Sie daraus gezogen?
Es war eine krasse Fehlentscheidung. In den Bergen gibt es so viele Gefahren, die man nicht sehen kann, aber dieser Serac war so offensichtlich. Wir haben die Dimension der Gefahr einfach unterschätzt. So eine Erfahrung zu machen, sofern du sie überlebst, ist unbezahlbar. Dieser Fehler wird uns nie wieder passieren.
Was lösen diese extremen Kletterprojekte in Ihnen aus?
Vor einigen Jahren war ich bereits einmal in Schottland und bin dort eine der schwersten Kletterrouten geklettert - sehr gefährlich, extrem anstrengend für die Psyche. Nach dieser Route war ich mental so sehr lange schwach. Ich habe mich ausgelaugt gefühlt, einfach nur leer. Ich muss dann einfach sofort etwas ganz anderes machen, um auf andere Gedanken zu kommen. Aber dieses ausgelaugte Gefühl hält sicher zwei, drei Wochen an.
„Da habe ich wirklich ans Aufgeben gedacht”
Wie war das nach Ihrem Speed-Rekord am Matterhorn?
Das Projekt war aus Sicht der Psyche nicht so tragisch, da es nicht übermäßig anspruchsvoll war. Aber körperlich habe ich den Rekord noch gut drei Wochen gespürt. Die Verhältnisse waren nicht ideal, gerade mit sehr weichem Schnee am Anfang. Im ersten Anstieg bin ich immer wieder weggerutscht und kam irgendwann auf dem Zahnfleisch daher. Da habe ich wirklich ans Aufgeben gedacht.
Wie motivieren Sie sich in solchen Situationen, wenn es schon direkt zu Beginn so schlecht läuft?
Speziell am Matterhorn habe ich mir immer den Teil mit der steilen Wand und dem fertigen Schnee vorgestellt. Also nicht mehr der Gipfel als großes Ziel, sondern die Aufgabe heruntergebrochen auf Teilziele.
Versuchen Sie sich durch den steten Wechsel der Projekte auch ein Stück weit davor zu schützen, zum Rekordgetriebenen zu werden?
Ich hoffe zumindest, dass es funktioniert. Nachdem Ueli Steck Ende November meinen Rekord an der Eiger Nordwand um sechs Minuten (2:22 Stunden) unterboten hat, kommen natürlich die Fragen: Was macht der Arnold jetzt? Da spüre ich dann schon diesen Druck, in eine Richtung getrieben zu werden, in die ich gar nicht will. Auf der anderen Seite verstehe ich auch die Sponsoren, für die solche Projekte natürlich wichtig fürs Image sind.
Komplett kalt gelassen hat Sie der Steck-Rekord doch aber auch nicht...
Natürlich hat es mich gewurmt, aber ich bin nicht so fanatisch, dass ich mir diesen Rekord um jeden Preis zurückholen will. Gerade in so einem gefährlichen Bereich ist das unheimlich wichtig. Die Garantie, es nie mehr zu versuchen, kann ich aber auch nicht geben (lacht).
Wie sieht denn der Terminplan eines Berufsalpinisten aus?
Ende Herbst, Anfang Winter versuche ich die großen Expeditionen fix einzuplanen. Die finden meistens im Sommer statt. Dazu noch eine kleinere Tour im März oder April. Für Mitte Januar ist ein kleineres Projekt in Schottland geplant. Und zwischendrin arbeite ich ja noch als Bergführer und Vortragsredner. Mein konkreter Horizont geht gerade so bis Ende Februar, wenn ich den Fokus auf Projekte mit seriösem Bergsteigen lege.
Dani Arnold erklärt seriöses Bergsteigen
Seriöses Bergsteigen? Gibt es auch unseriöses Bergsteigen? Und wenn ja, wie sieht das aus?
Also mit seriösem Bergsteigen meine ich zum Beispiel Eisklettern. Unseriös wären alle Speedkletter-Geschichten. Das bezieht sich für mich auf den bergsteigerischen Aspekt, das Niveau ist einfach niedriger. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ich gerade viel Kraft und Technik trainiere. Das geht bis in den Frühling, dann wird wieder mehr Ausdauer trainiert, und ich verliere ziemlich schnell wieder mein Kletterniveau.
Nervt es Sie, wenn Sie Ihre Fähigkeiten über den Sommer wieder verlieren?
Selbstverständlich. Du investierst viel, trainierst für 8B- oder 8C-Schwierigkeitsgrade und am Ende des Sommers reicht es gerade mal zu Standard-Niveau und einer 7A. Ich kann dann grundsätzlich schon noch klettern, aber es sieht halt nicht gut aus. Das einzig Gute ist: Ich brauche nicht lange, um mein altes Niveau wieder zu erreichen.
Warum setzen Sie sich diesem anstrengenden Rhythmus zwischen Technik im Winter und Ausdauer im Sommer überhaupt aus?
Das reine Sportklettern, über mehrere Monate auf höchstem Niveau – das bin ich nicht. Ich habe ein Projekt über zwei Monate, und dafür gebe ich dann alles. Aber länger reicht dann meistens meine Motivation nicht.
Brauchen Sie auch wirtschaftlich diesen Wechsel zwischen kommerziellen und anspruchsvollen Aufträgen?
Nein, es würde auch nur mit schwerem Bergsteigen reichen. Ich bin aber prinzipiell der Meinung, dass man die schweren, gefährlichen Sachen nicht zu oft machen sollte. Die Wahrscheinlichkeit, dass es dich irgendwann erwischt, ist einfach viel höher. Außerdem bin ich nach einer kleinen Auszeit einfach wieder motivierter.
Das Limit ist noch längst nicht erreicht
Wer koordiniert eigentlich all Ihre Projekte, wer regelt das Business hinter dem Athleten Dani Arnold?
Ich mache das alles alleine. Das ist vielleicht ein bisschen speziell, aber ich mag das total. Es hat überhaupt nichts mit Klettern zu tun, ein ganz anderer Aspekt. Das Verhandeln, der Kontakt zu den Leuten, ich genieße das. Mir ist schon klar, dass ein Manager vielleicht etwas mehr für mich herausholen könnte, aber mir ist der persönliche Kontakt einfach wichtiger. Und am Ende ist es doch so: Wenn etwas schlecht läuft, dann habe ich Mist gebaut. Nur ich bin verantwortlich.
Ihre Vortragsreihe heißt „Der Grenzgänger“. Wann sind alle Grenzen erkundet?
Ich glaube, das wird nie der Fall sein. Nach der Erstbesteigung des Mont Blanc (Anm. d. Red.: 7. August 1786 durch Jacques Balmat und Michel-Gabriel Paccard) hieß es auch, der Alpinismus ist tot. Auch wenn wir immer wieder glauben, jetzt ist die absolute Schwierigkeit erreicht - es stimmt nicht.
Dani Arnolds persönliche Top-5-Besteigungen
- Crack Baby, Speedrekord, Zeit: 27 Minuten 13 Sekunden
- Mooses Tooth, Bird of Prey, Alaska
- Matterhorn, Speed Rekord, Zeit: 1 Stunde 46 Minuten
- The Hurting, Mixed-Route, Schottland
- Torre Egger, erste Winterbesteigung, Patagonien
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