Bernd Zangerl aus Flirsch am Arlberg gilt unter Boulderern als „der Professor“ und bezeichnet sich selbst als „natural born freeclimber“ – jetzt hat der 37-Jährige einen spektakulären Film herausgebracht.
Im Film „Shangri La“ nimmt er den Zuschauer mit in ein Dorf in Nordindien, wo er im Angesicht der Himalaya-Achttausender sein Kletterparadies gefunden hat: einen sechs Meter hohen Felsblock.
Bernd Zangerl im Interview
ISPO.com: Herr Zangerl, der Filmtitel ist eine Hommage an den berühmten Roman „Der verlorene Horizont“ von James Hilton, der ein verlorenes Paradies, einen fiktiven Ort im Himalaya beschreibt. Auch Sie halten den Namen des Dorfes, in dem Sie Ihre Erfüllung als Kletterer fanden, geheim.
Bernd Zangerl: Wir kommen den Beschreibungen Hiltons ziemlich nahe. Viele Forscher haben diesen Ort schon gesucht, auch Reinhold Messner ist losgezogen, um Shangri La zu finden, so ziemlich in derselben Region, in der auch wir unterwegs waren. Aber es geht nicht darum, den realen Ort zu finden, sondern darum, eine gewisse Bewusstseinsstufe zu erreichen.
Wenn Expeditionen Richtung Himalaya aufbrechen, geht es meistens um die Achttausender. Ihre Gipfel hatten eine Höhe von sechs und zwölf Metern...
Ich komme ja aus den Bergen, schaue sie gerne an, bin mit schon sieben auf der Eisenspitze gestanden, auf knapp 2900 Metern. Und ich wusste: Im Himalaya muss es was zum Klettern, zum Bouldern geben, bei so viel Granit. Alle gehen dort zum Expeditionsbergsteigen hin, nicht zum Klettern. Aber wenn es tausend Meter hohe Wände gibt, dann müssen Felsblöcke am Boden liegen – genau die habe ich gesucht und mir von Bergsteigern Tipps geben lassen, wo ich suchen könnte.
In einem Buch aus den 60er-Jahren habe ich Schwarz-Weiß-Aufnahmen gesehen, bin dann eigentlich auf gut Glück losgewandert und habe die Wände und Blöcke tatsächlich gefunden: im Distrikt Kinnaur an der Grenze zu Tibet, in einem Hochtal auf 4000 Metern, zwei Tagesreisen von Delhi entfernt. Seit 2010 war ich fünf Mal dort, meistens für zwei, drei Monate.
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„Bouldern – das ist schon gottlos“
Kletter-Touristen sind dort wohl eher die Ausnahme.
Absolut. Ich habe mir vom Dorfältesten die Erlaubnis zum Drehen geholt, wir bewegen uns da schließlich auf heiligem Gebiet. Schräg war, dass sie den Ort, wo ich klettern wollte, Zangor nennen – und ich heiße Zangerl. Wahrscheinlich durfte ich nur deswegen dort hin.
Was Sie da tun, haben die Dorfbewohner wahrscheinlich nicht verstanden, oder?
Nein. Am Anfang saßen sie tagelang da und haben uns zugeschaut, wie wir mit Bürsten Felsen putzen und uns vorbereiten. Für die war das mein Job: Felsen putzen und dann raufklettern.
Stimmt ja auch irgendwo.
Die dachten, ich suche da Gold oder Staub oder dass ich etwas weiß, was sie nicht wissen. Das wird im nächsten Jahr lustig, wenn ich ihnen in ihrem Tempel den Film zeige.
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Lustig sind auch die Namen der Routen, die Sie als Erstbesteiger vergeben dürfen: zum Beispiel „Godlessheavy blanket“. Wie kommt man auf so was?
Das rührt von den Yak-Wolldecken, unter denen wir im Dorf geschlafen haben. Die sind so bleischwer, dass sie dich richtig ins Bett reindrücken. Und einen Gott brauche ich nicht, es gibt eh so viele, gerade bei den Indern. Der Name passt zum Bouldern, weil das eine der schwersten Routen war, die ich je geklettert bin. Drei Bewegungen, bei denen du alles was möglich ist aus deinem Körper raussaugst – das ist schon gottlos.
„Neben mir schlug ein tischgroßer Stein ein – dann bin ich zum Sportklettern“
Sie kommen vom alpinen Klettern, hatten an der Marmolata ein einschneidendes Erlebnis.
Direkt neben mir ist ein tischgroßer Stein eingeschlagen. Ich habe zugesehen, wie er kommt, konnte nicht ausweichen. Deshalb bin ich zum Sportklettern gewechselt, habe Wettkämpfe bestritten, auch im Eisklettern. Im Bouldern habe ich das gefunden, was mich beim Klettern am meisten inspiriert, was ich gesucht habe.
Die großen Höhen interessieren Sie gar nicht?
Noch nicht. Vielleicht komme ich wieder zurück ins Alpine, wenn ich mal älter werde, wenn der Horizont beim Bouldern erreicht ist. Dann könnte ich das, was ich im Bouldern gelernt habe, ins Alpine umsetzen.
Mit 37 gehören Sie in der Szene schon zu den Haudegen.
Ich habe gerade mein bestes Kletter-Jahr hinter mir, habe Routen geklettert, an denen ich mich fünf, sechs Jahre lang versucht hatte. Aber damit bin ich die Ausnahme. Die meisten haben ein paar Jahre früher ihr Top-Niveau erreicht. Ich glaube aber, dass noch ein bisschen was geht. Wobei: Seit mehr als einem halben Jahr bin ich in Reha. Die erste Pause meines Lebens, nach 17 Jahren Klettern.
Was ist passiert?
Ich bin beim Bouldern in der Schweiz auf den Rücken gefallen, aufs Genick abgestürzt. Nur drei Meter hoch, aber das hat schon gereicht. Fünfter/sechster Halswirbel, eine schwere Verletzung. Da gehen die Nerven raus für die Klettermuskulatur. Ich hätte auch gelähmt sein können.
Ausgerechnet jetzt, wo Sie gerade so gut waren.
Genau, vom Höhepunkt zum Tiefpunkt. So spielt das Leben. Aber ich bin ein sehr geduldiger Mensch. Das Bouldern lehrt dir Geduld.
Was tut ein Boulderer, der nicht bouldern kann?
Viel in die Berge gehen, radeln, Berglauf – damit ich nicht ganz durchdrehe. Ich hoffe natürlich, dass das wieder wird, aber im letzten halben Jahr hat sich nicht viel verändert. Es gibt nur zwei therapeutische Wege: Vollgas-Training, aber durch den geschädigten Nerv gehen so wenig Impulse zurück an die Muskeln, dass es fast nichts bringt. Die andere Methode: an einen Ort gehen, wo es mir wirklich gut geht, mich runterfahren, damit sich das System erholen kann. Einen Ort wie Shangri La.
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