Campen mit dem Van mitten im Winter – eine gute Idee? Unsere Autorin möchte es wissen und verbringt ein verlängertes Wochenende im Januar mit Freunden auf dem höchsten Camping-Platz Europas
Campen mit dem Van mitten im Winter – eine gute Idee? Unsere Autorin möchte es wissen und verbringt ein verlängertes Wochenende im Januar mit Freunden auf dem höchsten Camping-Platz Europas
Eine sterbende Standheizung klingt wie ein altersschwacher Laubbläser. Kurz bevor sie den Geist aufgibt, röhrt sie noch einmal auf Vollgas. Dann herrscht Stille. Zuerst fällt es uns nicht auf, weil wir damit beschäftigt sind, unsere Sachen im Bus zu verstauen. Hier noch ein Paar Skischuhe in den Laderaum packen, da noch einige Einkäufe in den Schubladen verschwinden lassen – und wo ist eigentlich der extra dicke Daunenschlafsack abgeblieben? Doch irgendwann lässt sich das fröstelige Gefühl nicht mehr ignorieren, das langsam von den Füßen hinauf in den Körper kriecht. Unsere Befürchtung bestätigt sich schnell: Das Gebläse unter der Sitzbank gibt keinen Hauch mehr von sich. Und auf dem Display der Heizung blinkt die unheilvollste Botschaft, die ich mir in diesem Moment vorstellen kann: Error.
Es ist kurz nach Mitternacht, das Thermometer zeigt -18 Grad und wir befinden uns mitten in den Schweizer Alpen auf knapp 2000 Metern Höhe. Nicht unbedingt die Umstände, unter denen man eine ausgefallene Heizung mit einem Schulterzucken quittiert. Mein Reisepartner Johannes aber tut genau das. „Habe ich mir schon gedacht“, murmelt er und hantiert halbherzig an den Reglern der Heizung herum. „Liegt an der Höhe“, erklärt er knapp und erzählt etwas von Sauerstoff, Diesel und Verrußung. Augenblicklich sinkt meine Laune in einen Bereich, der problemlos mit der Außentemperatur konkurriert. „Du hast damit gerechnet?“, frage ich fassungslos und ziehe den Reißverschluss meiner Daunenjacke demonstrativ bis unters Kinn hoch. „Klar!“ Er zieht den verschollenen Schlafsack unter dem Bett hervor und drückt ihn mir in die Arme. „Bitteschön. Soll ja schließlich ein Abenteuer werden.“
Ein Abenteuer. Als wir vor ein paar Wochen zum ersten Mal übers Wintercampen gesprochen haben, klang das noch wunderbar. Schnee und Eis entgegenfahren, statt wie sonst Anfang des Jahres die Klettersachen zu packen und in den Süden abzuhauen. Als Ziel stand schnell Pontresina im Engadin fest. Dort liegt auf 1860 Metern der höchste Campingplatz Europas, angeblich ein Ort mit Winterwunderland-Garantie. Dort wollen wir ein langes Wochenende verbringen. Wir, das sind Johannes, der das Snowkiten liebt. Frank, der dem Freeriden verfallen ist. Und ich, deren größte Winterkompetenz das Frieren ist. Trotzdem gefiel mir die Idee. Also sagte ich irgendwann jenen Satz, der in meinem Leben schon oft aus Schnapsideen beschlossene Sachen gemacht hat: Warum eigentlich nicht?
Einen Moment lang stehen wir andächtig herum, genießen die Ruhe, die eisige Luft und das Gefühl, Staubkörner im Universum zu sein
Kaum drei Wochen später ist es soweit. Mitten in der Nacht kommen wir auf dem Campingplatz Morteratsch an, der seinen Namen von dem nahegelegenen Gletscher hat. Ein Schild am Straßenrand lotst uns von der Passstraße auf einen Waldweg und ich bilde mir ein, dass Pebbles Motor nach dem stundenlangen Bergauf-Gegurke erleichtert klingt. Pebble – so heißt unser Bus, ein liebevoll selbst ausgebauter Peugeot Boxer, Baujahr 2013. Er ist sechs Meter lang, 150 PS stark und wiegt samt Krempel, Massivholz und Erinnerungen drei Tonnen. Auf der plattgefahrenen Schneedecke ist dieses Gewicht nicht gerade hilfreich. Halb fahren, halb rutschen wir in die erstbeste Lücke.
Still und friedlich liegt der Campingplatz da, wach ist niemand mehr. Abgesehen von den beleuchteten Hauptgebäuden versinkt alles in Dunkelheit. Einen Moment lang stehen wir andächtig herum, genießen die Ruhe, die eisige Luft und das Gefühl, Staubkörner im Universum zu sein. Über uns glitzern die Sterne, unter uns der Schnee. Die Kälte treibt uns zurück in den Bus.
Eine Viertelstunde lang macht die Heizung das, was sie soll, dann folgt der Exodus. Was für ein Start! Fluchend und mit klammen Fingern richte ich meinen Schlafplatz her. Weil ich keine Ahnung habe, wie kalt es in einem Bus mit höhenkranker Heizung werden kann, gehe ich auf Nummer sicher. Meinen eigenen Schlafsack stopfe in einen geliehenen, dazwischen schiebe ich eine Wärmeflasche. Dann hülle ich mich in so viele Schichten Merinowolle, dass mich wohl jedes Schaf als Artgenossen anerkennen würde. Amüsiert beobachten meine Begleiter, wie ich mich in meine Schlafsackkonstruktion zwänge. Sollen sie sich nur lustig machen. Ich bin wild entschlossen, nicht zu frieren und träume mich zum Einschlafen nach Spanien.
Am nächsten Morgen sind wir zwar immer noch in der Schweiz, aber zumindest in meinem Schlafsack herrscht Sommer. Ich glühe förmlich, obwohl die Temperatur im Bus auf minus drei Grad gefallen ist. Draußen sind es nochmal acht weniger. Ich hechte vom Schlafsack in meine dickste Daunenjacke, doch die ist klamm und kalt. Zwischen gemütlich und grausam liegt beim Wintercampen manchmal nur ein Wimpernschlag. Ich nehme mir vor, meine Klamotten morgen vor dem Aufstehen im Bett zu wärmen. Fürs Erste aber hilft nur noch Bewegung. Während Johannes und Frank sich Kaffee brühen, gehe ich uns anmelden.
Durch den Schnee stapfe ich zurück zum Bus. Das satte Knirschen unter den Sohlen macht mich auf eine kindliche Art glücklich
Peter Käch weiß schon Bescheid. „Der weiße Transporter?“, fragt er, als ich den Laden betrete. Seit acht Jahren haben er und seine Frau Kathrin den Campingplatz gepachtet. Käch ist ein drahtiger Typ mit eisblauen Augen, der immer alle Hände voll zu tun und trotzdem die Ruhe weg hat. Während er Croissants für unser Frühstück in eine Papiertüte packt, erzählt er. Früher war er Lehrer, Sport und Informatik. Doch mit Anfang 50 wollte er nochmal etwas anderes mit seinem Leben anfangen. „Hat ganz gut geklappt“, sagt er und lacht. Statt Lehrplänen bestimmen nun die Jahreszeiten seine Arbeit. Im Sommer erfordert der Campingplatz vor allem Verwaltungsarbeit. Der Winter hingegen bringt andere Aufgaben mit sich: Den Schnee von den Dächern der Dauercamper schippen, die Gasflaschen der Gäste befüllen, mit der Schneefräse die Wege freihalten. Das klingt nach Bergromantik, ist aber viel Arbeit. Abends fährt Käch hinunter in den Ort, wo er mit seiner Familie wohnt. „Man braucht auch mal Abstand.“
Der Campingplatz der Kächs großzügig und modern, die 150 Winterstellplätze sind lose über verschiedene Ebenen verteilt. Zwischen Schneebergen, Bäumen und Bächen findet hier jeder ein ruhiges Plätzchen. Schneisen im Schnee führen von überall zu den drei Hauptgebäuden, in denen ein Restaurant, die Sanitäranlagen, eine Sauna, ein Trockenraum für Skier und der kleine Laden untergebracht sind, in dem wir gerade stehen. Hier schauen die meisten Gäste morgens vorbei, um Semmeln zu holen, zu plauschen oder einzukaufen. Wie hartgesottene Campingfreaks oder verkappte Polarforscher sehen sie nicht aus. Rentner, Familien mit Kindern, junge Paare, kleine Gruppen. „Hier kommen alle her und die meisten kommen wieder“, sagt Käch und muss ein bisschen über meine falschen Erwartungen lachen. Dann unterbricht Gaddafi unser Gespräch. Die schwarzweiße Katze lebt seit vielen Jahren auf dem Campingplatz und drückt nun wohlig schnurrend ihren Kopf in meine Hand.
Um uns herum tupft die Morgensonne ihr Licht auf die Gipfel, der Himmel leuchtet stahlblau
Durch den Schnee stapfe ich zurück zum Bus. Das satte Knirschen unter den Sohlen macht mich auf eine kindliche Art glücklich. Frank und Johannes haben bereits ihre Skier aus Pebbles Bauch gekramt und nehmen ungeduldig ihre Croissants entgegen. Sie wollen auf den Berg. Kein Wunder: Um uns herum tupft die Morgensonne ihr Licht auf die Gipfel, der Himmel leuchtet stahlblau. Wir haben keine Lust, Schneeketten zu montieren und nehmen stattdessen die Rhätische Bahn. Gemächlich gleitet ihr roter Stahlkörper durch die weiße Welt, bis zur Bergstation Diavolezza sind es nur zwei Stationen.
Keine Viertelstunde später schaukeln wir in der Gondel aufwärts – und wundern uns über die leeren Pisten. Liegt das an den stattlichen Preisen für die Skipässe? An den betonharten Pisten, weil es schon eine Weile nicht richtig geschneit hat? Oder daran, dass viele Besucher der Region doch lieber Champagner in St. Moritz trinken? Warum auch immer, das Skigebiet haben wir fast für uns allein.
Sehnsüchtig schaue ich meinen Freunden hinterher, bis sie nur noch zwei kleine Punkte sind. Mich zwingt eine Bänderverletzung vom letzten Bouldertrip, auf der Sonnenterrasse der Hütte zu bleiben. Doch heiße Schokolade, ein gutes Buch und die Aussicht machen es mir leicht, mich mit meinem Schicksal abzufinden. Vor mir ragt die berühmte Berninagruppe in den Himmel. Ich weiß, dass sie den einzigen Viertausender der Ostalpen beherbergt, aber wie so oft gelingt es mir nicht, zwischen all den Zacken den höchsten Gipfel auszumachen.
Als Frank und Johannes zurückkommen, habe ich bereits einen leichten Sonnenbrand auf der Nase. Die beiden beschließen, noch ein paar Varianten zu fahren. Wenn die Bedingungen passen, sollten sie es mit den Skiern bis zurück auf den Campingplatz schaffen.
Den Abend verbringen wir mit einer Partie Schach, Schneegeschichten und viel zu kaltem Rotwein. Die Heizung gibt wieder Lebenszeichen von sich. Wir haben herausgefunden, dass sie zumindest ein bisschen durchhält, wenn man sie auf niedrige Temperaturen statt volle Power einstellt. Bei etwa zehn Grad sind wir zwar weit von einer kuscheligen Pyjamaparty entfernt. Aber hey, Plusgrade sind Plusgrade. Johannes, der erfahrene Wildcamper, erzählt uns von vergangenen Ausflügen zum Snowkiten. Von so hart gefrorenen Tomaten, dass sie nur ein Hammer ins Abendessen befördern konnte. Von Tee aus geschmolzenem Schnee, frostüberzogenen Schlafsäcken, streikenden Motoren und steifen Klamotten.
Fließendes Wasser, Strom aus der Steckdose, Duschen, Toiletten. Bei Klettertrips im Sommer kann ich darauf gut verzichten, hier im Schnee wollte ich es nicht
Zugegeben, ein Campingplatz schrumpft solche Abenteuer ein wenig. Weniger schön macht er die Erfahrung aber nicht. Ich empfinde den Ort als guten Kompromiss aus echtem Outdoor-Feeling und den Annehmlichkeiten der Zivilisation: Fließendes Wasser, Strom aus der Steckdose, Duschen, Toiletten. Bei Klettertrips im Sommer kann ich darauf gut verzichten, hier im Schnee wollte ich es nicht. Wenn banalste Dinge zum Problem werden, artet so ein Trip schnell in Stress aus. Unsere Tanks zum Beispiel sind leer, weil das Wasser einfrieren und die Leitungen sprengen würde. Könnten wir nicht einfach welches zapfen gehen, müssten wir uns was einfallen lassen. Auch die Solaranlage auf dem Dach ist im Winter alles andere als verlässlich.
Der nächste Morgen bringt neuen Schnee. Die Bäume sehen aus wie gezuckert, die Pinkelstellen der Hunde sind ausradiert. Durch die Fenster beobachten wir die Flocken und überlegen, was wir mit dem Tag anstellen sollen. Winterwanderwege und Loipen starten direkt am Campingplatz, aber auch ein Ausflug in die Käserei oder ein Spaziergang auf einem zugefrorenen See wäre nett. Oder doch lieber in die Sauna? Erst mal Tee. Ich bin angekommen, die Kälte schüchtert mich nicht mehr ein. Schade, dass wir nur drei Tage bleiben. Aber eines weiß ich genau: Genau wie Peter Käch es prophezeit hat, will ich bald wiederkommen. Und wenn das nächste Mal jemand mit einer schrägen Idee um die Ecke kommt, werde ich auf jeden Fall wieder sagen: Warum eigentlich nicht?