Was ein Abenteuer ist, liegt im Auge des Betrachters. Der Graben vor meinen Füßen ist auf jeden Fall überschaubar. Drei, vielleicht vier Meter breit, an der tiefsten Stelle maximal knietief. Für nasse Schuhe würde es trotzdem reichen. Also platziere ich meine Schritte vorsichtig auf den Steinen, die aus dem unverschämt klaren Wasser herausragen und balanciere mit albern ausgebreiteten Armen über den Bach. Nach drei Tagen ohne Dusche hat der Gedanke an einen Tauchgang auch etwas Verführerisches – dann aber bitte ohne die siebzehn Kilo Klamotten, Schlafsack und Essen auf dem Rücken.
Wo es denn mit dem großen Rucksack hingehen soll, fragte das nette ältere Ehepaar im schönsten norwegischen Singsang auf dem Parkplatz. Richtung Westen, ganz grob, antwortete ich. Irgendwo zwischen dem Bygdin-See und dem Olefjorden durch. Dass ich primär vermeiden will, Menschen im fortgeschrittenen Alter mit Zip-off-Hosen und Trekkingstöcken zu begegnen (auch wenn sie wirklich herzallerliebst sind), erwähnte ich hingegen nicht.
Es ist ja nichts verkehrt am Ruhestand. Und bestimmt auch nicht am Wandern. Doch beides ist nicht gerade der Inbegriff von Abenteuer, und wenn man in deutschsprachigen Tälern aufgewachsen ist und mit dem Gefühl vertraut ist, dass die Schlange zum Hütten-Kaiserschmarrn schon an der Talstation beginnt, kann einem die Lust am Laufen in den Bergen vergehen.