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Hier geht’s zum Campingplatz: Outdoor muss nicht extrem sein
Standpunkte

Gardasee statt Arktis

  • Birgit Lutz
  • 17. Juni 2019
Credits Titelbild: Graham Burrows @logospotting

Muss es immer extrem sein? Als Expeditionsleiterin zeltet Birgit Lutz normalerweise in lebensfeindlichen Umgebungen. Für OutDoor Society entdeckt sie die Gemütlichkeit italienischer Campingplätze


Warum, sagt er, können wir nicht einfach mal zum Zelten fahren, so wie andere Leute auch. Auf einen Campingplatz im Sommer, wo keine Eisblumen am Zelthimmel wachsen und wo es ein festes Gebäude gibt mit Keramik drin und nicht nur Wind und einen Spaten. Er sagt es mit mehr Ausrufe- als Fragezeichen; in diesem einen Satz schwingt unsere ganze Outdoorbeziehung mit und auf dieser Schaukel wippt mein letztes Projekt hin und her, das ihm die Zelt-Durchquerung der Finnmark bei 30 Grad minus bescherte. Zelten ist für mich Nebensache, ein Zelt hilft mir, an meine Lieblingsorte zu kommen, nämlich dahin, wo es nichts gibt - und trotzdem ein Haus zu haben. Zelten als Hauptsache finde ich fragwürdig, warum soll ich mich auf eine Parzelle auf den Boden legen, nebendran noch hundert andere Parzellen und noch viel mehr Geräusche?

Wenige Tage später sitzen wir im Auto, haben ein Zelt im Kofferraum und Utensilien von Kühlbox bis Klappstuhl, er ist selig, ich bin, äh, verhalten.

Wir machen fünf Schritte über den knisternden Kies bis unsere Füße in das Seewasser plitschen und unsere Gläser aneinander klirren. Die ganze Welt ist ein Campingplatz

Wir brausen über den Brenner und bremsen erst bei Riva, kurz nach der Stelle, an der man zum ersten Mal über die Pinien zum See sieht und einem mit Plopp das Herz aufgeht, Italien, gelobtes Land, vielleicht ist die Idee doch nicht so schlecht, mit Sonne und so, mit Pizza und Planschen, so wie das damals war, mit fünf, in den Siebzigern.

Irgendwo ein kleiner Ort mit engen Gassen, daneben ein Campingplatz mit Zaun und Tor, jetzt muss ich kurz ganz stark sein. Am Ufer gibt es eine kleine Landzunge. Ganz vorne der Zeltplatz ist leer. Wir steigen aus und dann geht es schnell: Das Zelt wird aufgebaut, die Stühle aufgeklappt, die Kühlbox geöffnet – und dann bleibt das Bild stehen. Weil ein Getränk in ein Camping-Weinglas gluckert und mir mein Strohhut auf den Kopf gesetzt wird. Wir machen fünf Schritte über den knisternden Kies, bis unsere Füße in das Seewasser plitschen und unsere Gläser aneinander klirren. Die ganze Welt ist ein Campingplatz. Bald sinkt die Sonne auf der anderen Seite in den See, wir sitzen neben den Klappstühlen im Kies und schauen dem Blau zu, wie es erst gold wird und dann orange und dunkelrot, dazu zirpen die Zikaden und die Seele hat Ruh.

Am dritten Abend, mit den klirrenden Gläsern vorm Zelt im Orange der Sonne sagt er, jetzt können wir dann auch wieder was mit Ski und Schnee und Einsamkeit machen, wenn Du willst 

Am nächsten Morgen ist es heiß im Sonnenzelt. Dass es heiß sein kann in einem Zelt! Wir tapsen hinaus in den See hinein, der noch kühl und glatt daliegt wie ein frisches Laken, wir tauchen unter und wieder auf und schauen ans Ufer, wo unser kleines Zuhause in der Sonne schimmert und die Zelteingangsplanen sanft im Wind rascheln.

In den nächsten drei Tagen schlappen wir morgens in die kleine Open-air-Campingbar und trinken Cappuccino, wir pumpen mit der Pumpe unserer Zeltnachbarn unsere Stand up Paddleboards auf und dümpeln stundenlang auf dem See dahin, wir kaufen frischen Fisch an dem kleinen Auto, das über den Platz hupt und grillen ihn im Sonnenuntergang. Die Sonne färbt uns ein und der Wind flicht uns Knoten in die Haare, Häuser betreten wir nie.

Am dritten Abend, mit den klirrenden Gläsern vorm Zelt im Orange der Sonne sagt er, jetzt können wir dann auch wieder was mit Ski und Schnee und Einsamkeit machen, wenn du willst. Ich hänge einen Fuß ins Wasser und die Wellen glitzern um mich herum, und ich sage ihm, vielleicht muss das ja gar nicht so unbedingt.

Foto: Graham Burrows / logospotting