Direkt zum Inhalt
Mit Esel geht's leichter: Wandern
Standpunkte

Sperrgepäck

  • Pauline Krätzig
  • 17. Juni 2019
Credits Titelbild: Christian Topp

Zum Wandern packen wir Brotzeit und Sonnenmilch in den Rucksack. Für die Trekkingtour kommen Stöcke und Kocher dazu. Beim Animal Trekking zieht man noch ein Tier mit sich herum. OutDoor Society-Autorin Pauline Krätzig fragt sich: Haben wir das wirklich nötig? 


Der schottische „Schatzinsel“-Schriftsteller Robert Louis Stevenson war 28 Jahre alt und litt unter höllischem Liebeskummer, als er im Herbst 1878 die Cévennen durchwanderte. Wie so viele suchte er Ablenkung und Ruhe in der Natur. Seinen seelischen Ballast musste er alleine tragen, für das übrige Gepäck mietete sich Stevenson eine Eselin. In seinem Tagebuch „Travels with a Donkey in the Cévennes” beschreibt er die zwölf Tage dauernde Reise – 140 Jahre später ist der „Stevensonweg GR70“ einer der beliebtesten Weitwanderwege Frankreichs. Auf dem mittlerweile fast so viele Esel wie Menschen unterwegs sind. 

Der Trend nennt sich Animal Trekking. Der Esel kann auch ein Lama oder Alpaka sein. Mit diesen „exotischen Tieren“, die zu hundert Prozent von der eher gemütlichen, komplizierten Sorte sind, geht man auf Tour – zum Beispiel im Burgund oder Baskenland, in den Westkarpaten oder an der Algarve. Reiten kann man Esel und Co. nicht, denn pro Tier sind nur etwa zwei 15-Kilo-Rucksäcke erlaubt. Man solle sich von der Gelassenheit der Tiere anstecken lassen, zur ultimativen „Ruhe und Gemütlichkeit“ finden, lautet die Heilsbotschaft der Anbieter. 

Warum will der Esel nicht mehr vorwärts?

Es ist richtig, dass sich mehr als zwei Drittel von uns mehr Erholung vom Alltagsstress wünscht. Die weltweit größte Studie zum Thema Entspannung – der „Rest Test“ – ergab aber auch: Das Wichtigste beim Entspannen ist uns, alleine zu sein, Kraft in der Stille zu tanken. Welche Funktion hat also ein zusätzlicher Esel? Dessen Rufe zwischen 80 und 120 Dezibel mal ganz nebenbei an die Schmerzgrenze gehen?

Schritt für Schritt, Pause um Pause: Für das Wandern mit Tieren, auch Animal Trekking genannt, braucht es vor allem eins: Geduld
Schritt für Schritt, Pause um Pause: Für das Wandern mit Tieren, auch Animal Trekking genannt, braucht es vor allem eins: Geduld 
Bildcredit: Christian Topp / Christian Topp

„Das Naturerlebnis mit einem zusätzlichen Erlebnis zu verbinden“ sei der Reiz am Esel-Trekking, erklärt ein Anbieter aus Brandenburg. Offenbar reicht dem modernen multioptionalen Menschen ein Erlebnis alleine nicht mehr. Und offenbar haben Hunde und Kinder als Wegbegleiter ausgedient. Von einer Esel-Wanderung zu sprechen ist schon gewagt, denn mehr als Spazierengehen ist mit einem Esel im Schlepptau nicht drin. Zumal auch unklar ist, wer wen führt: Der Esel läuft moderat, aber nur dann, wenn er will. Im Gegensatz zum Pferd, das wir führen, führt der Esel uns. Er führt uns aus wie einen Hund, lässt uns Sitz machen und warten. Die ziemlich häufig gestellte Frage: „Warum will der Esel nicht mehr vorwärts?“, kann sich der französische Nationalverein für Eselwanderungen auch nicht anders erklären als: „Da gibt es immer einen Grund: Fehlt da vielleicht jemand? Ein anderer Esel? Was glitzert denn da so?“

Mit Trekking, dem Weitwandern abseits markierter Routen, kann nur die Querfeldein-Suche nach dem auf Futtersuche ausgerissenen Esel gemeint sein. Im Alten Testament wurde Saul zum König gesalbt, als er die entlaufenen Eselinnen seines Vaters suchte. Beim Esel-Trekking kann man froh sein, wenn der Ausgangspunkt noch in Sichtweite liegt.

Das Wesentliche beim Wandern sind der Wanderer und die Natur. Ein Esel steht da nur im Weg

Beim Animal Trekking braucht man viel Geduld

Der Fairness halber muss man sagen: Den Teilnehmern scheint es zu gefallen. Die Online-Bewertungen lesen sich durchweg positiv. Und die Tiere sind ja flauschig und süß. Aber nirgendwo ist die Rede von zitrisch duftenden Fichtennadeltrieben, unheimlichem Knacken im schweigenden Wald oder der berauschenden Erschöpfung, die einen beim Wandern erfüllt. Dabei macht doch genau das eine Wanderung aus: Natur erleben und sich bewegen. Das menschliche Gehirn kann sich immer nur auf eine Sache konzentrieren, weiß der österreichische Psychologe Werner Stangl. Wie genau bestaunt und genießt man Flora und Fauna, wenn Don Camillo, Trude, oder Hans-Dieter leicht popogeklapst, gekrault oder animiert werden wollen? Wenn man sie – nicht zu laut, nicht zu hektisch – permanent davon abhalten muss, ständig zu fressen, weil sie von alleine nicht damit aufhören? Lamas und Alpakas sind nicht die gefälligere Alternative. Sie fressen acht bis zehn Stunden am Tag. Ja, auch sie sind flauschig. Aber ich plädiere dringend für mehr Klarheit in der Sprache. So wie auf Booking-Portalen „in Strandnähe“ grundsätzlich mit „mindestens 2 Kilometer vom Strand entfernt“ ersetzt werden soll, sollte Esel-Trekking besser Esel-Petting heißen.

Das kann ziemlich anstrengend sein: Wandern mit Tieren
Alles so schön ruhig hier? Kleiner Reminder: Bis zu 120 Dezibel laut können Esel rufen
Bildcredit: Christian Topp / Christian Topp

Robert Louis Stevenson nannte seine Eselin Modestine, die Bescheidene, und erfuhr schnell, wie wenig bescheiden Esel sind, wenn es um ihre eigenen Bedürfnisse geht. In bescheidenem Tempo schlug Stevenson seine Modestine Schritt für Schritt voran. Er brauchte zwölf Tage für 225 Kilometer. Schon am ersten Abend konnte er den rechten Arm nicht mehr heben, weil er sich beim Prügeln überanstrengt hatte. Tierliebhaber sollten dieses Buch wirklich nicht lesen. Um Leute wie Robert Stevenson kümmert sich mittlerweile zum Glück der Tierschutz.

Das Wesentliche beim Wandern sind der Wanderer und die Natur. Ein Esel steht da nur im Weg. Esel sind absolut reizende Geschöpfe. Nicht dumm und mutwillig störrisch, sondern klug und extrem vorsichtig. Ihre afrikanischen Urahnen lebten in steinigen Gegenden, da musste jeder Schritt sitzen. Unsichere Esel bleiben deshalb stehen, wenn ihnen etwas bedrohlich erscheint – etwa ein Sack Äpfel, der da zuletzt nicht stand. Das kann uns durchaus eine Lehre sein. Die mit Abstand häufigsten Unfälle beim Wandern passieren durch Stolpern und Ausrutschen. 

Fotos – Christian Topp