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Stefan Ager

Was passiert, wenn man beim Anschnallen nicht aufpasst

  • 26. November 2019
Credits Titelbild: Hans Herbig

Freerider Stefan Ager lebt davon, spektakuläre Filme zu produzieren. Zum Video-Star wurde er allerdings unfreiwillig. Durch eine Tölpelei, die ihn seit zwölf Jahren verfolgt und ihm fast das Leben gekostet hätte.


Man kann sagen, dass ich ein gefragter Experte bin, wenn es ums Freeriden geht. Darum, wie man sich am Berg verhält, was man tun kann, um Unfälle, Verletzungen oder Schlimmeres zu vermeiden. Das Wichtigste ist natürlich immer eine gute Vorbereitung.  Ich kann da grundsätzlich gut Auskunft geben. Zum einen mache ich das selber so. Zum anderen weiß ich, wie schnell selbst eine vermeintlich einfache Abfahrt im Fiasko enden kann, wenn man sich nicht vorbereitet. 

Im Winter 2008 war ich mit einem Freund spontan im Stubaital unterwegs. Wir wollten einfach gemütlich ein wenig Skifahren und die alten Zeiten hochleben lassen. Bis wir dieses eine Face sahen. Neuschnee, unberührt, von der Bergstation mit einem kurzen Aufstieg gut zu erreichen – sehr verlockend. Vorbereitung? Null. 

Das Panorama auf dem schmalen Grat war irre, das Wetter ein Traum, der Schnee griffig. Und ich war übermütig. Natürlich weiß ich, dass man die Ski nicht am höchsten Punkt anschnallt, sondern sich einen schönen Save Spot sucht. An dem Tag habe ich mich stattdessen auf eine Windlip gestellt, eine harte vom Wind geformte kleine Wächte. Und genau da stellt man sich halt nicht hin.

Wer meint, man habe da Zeit für Gedanken wie »Okay, jetzt ist es vorbei«, der ist auf dem Holzweg

Die Windlip bricht und ich falle nach hinten weg, in die falsche Richtung. Ab da ging es 400 Meter bergab. Ich werde oft gefragt, was einem da im Kopf herumschwirrt. Verblüffend wenig. Ich hab gewusst, ich falle. Viel mehr war da nicht. Wer meint, man habe da Zeit für Gedanken wie „Okay, jetzt ist es vorbei“, der ist auf dem Holzweg. Es ist alles ganz normal schnell abgelaufen, gerade so, als wäre ich die Line abgefahren. Nur leider auf der anderen Seite des Grats. 

Nach zwei, drei oder vier Überschlägen ist ein kleines Schneefeld gekommen. Ich habe mit aller Kraft in den Schnee gegriffen, um zu bremsen und die Füße nach unten zu bekommen. Als ich die Ski wieder unter mir hatte, habe ich gesehen, dass es noch 50 oder 60 Meter so weitergeht – dass danach eine riesige Felsstufe kommt und dann erst einmal nichts. Ich bin abgesprungen mit allem, was ich noch hatte und unten im Auslaufschnee gelandet, wie ein Wunder weit weg von den nächsten Felsen. Zum Glück bin ich mit meinen Beinen zuerst aufgekommen. Ich habe sogar die Ski noch angehabt.  

Ich war vollkommen perplex und musste erst einmal kapieren, was passiert war. Bewegen konnte ich alles – und im Schock hat auch nichts wehgetan. Dann habe ich mir überlegt, wo ich überhaupt bin und was ich als nächstes mache. Den Gletscher kenne ich ja. Ich hatte also die Wahl: Entweder ewig rausfahren – und das ohne Gletscher-Ausrüstung. Oder den Hubschrauber rufen. Aber das wäre mir zu peinlich gewesen. Ich stand ja da und konnte alles bewegen. Also bin ich die Flanke wieder hochgeklettert.  

Das Originalvideo hatte nach wenigen Tagen hunderttausende Klicks. Daraufhin löschte es Stefan Ager, aber das Internet vergisst nicht

Warum der Absturz im Internet gelandet ist? Das war 2011, also doch schon eine Zeit her. Mein Kumpel hat das natürlich sofort allen weitererzählt. Und als klar war, dass ich die GoPro auf dem Helm hatte, hieß es schnell „Zeig her das Video, will ich sehen“. Ich hatte keine Idee, wie ich das zeigen soll. Ein Freund sagte, ich solle das auf Vimeo hochladen und ihm einen Link schicken. Ich hatte keine Ahnung, was das ist und wie das geht. Das war tatsächlich meine erste Anmeldung auf Vimeo – und ich habe den Clip nicht auf „privat“ gestellt. 

Nach drei Tagen habe ich wieder mal auf die Seite geschaut, da hatte das Video schon 400.000 Klicks. Das habe ich ganz schnell gelöscht, aber es war schon in der Welt, auf Youtube und überall. Irgendwann hatte der Clip ein paar Millionen Klicks und ich habe die Lizenz verkauft. Man kann sagen, dass ich da unfreiwillig mein erfolgreichstes Youtube-Video produziert habe. Wobei ich damit nicht hausieren gehe. Es wäre ein ziemlicher Quatsch, sich damit zu vermarkten, dass man zufälligerweise überlebt hat. Das wäre keine gute Strategie fürs Karma. 

Wie man es in den Bergen besser macht, sogar viel besser, zeigt Stefan Ager derzeit in seinem neuesten Film. Statt Heli-Skiing setzt er er auf Zeppelin-Skiing, wie man auf der aktuellen European Outdoor Film Tour sehen kann.