Spontan im Urlaub auf den höchsten Berg Kenias: Kann das gut gehen? Unser Autor erlebte eine Gipfeltour, die von vornherein zum Scheitern verurteilt war – und eine Erfahrung, die er nie wieder vergessen wird
Spontan im Urlaub auf den höchsten Berg Kenias: Kann das gut gehen? Unser Autor erlebte eine Gipfeltour, die von vornherein zum Scheitern verurteilt war – und eine Erfahrung, die er nie wieder vergessen wird
Der Plan war: Kenia. Quer durchs Land, an die Seen, an den Rand der Serengeti und dann mit dem Nachtzug aus Nairobi ans Meer. Mit zwei alten Schulfreunden, zehn Jahre nach unserem Abitur. Am zweiten Tag wollten wir zumindest kurz von einer Lodge einen Blick auf den Mount Kenia mitnehmen. Für mehr war leider keine Zeit. Als Bergsteiger schmerzlich, aber uns war klar, dass ein seriöser Versuch am zweithöchsten Berg Afrikas einiges erfordert hätte. Einige Tage, um uns zu akklimatisieren, gute Ausrüstung, eine ernsthafte Vorbereitung.
Aus dem Garten der Lodge war nichts von dem 5000er zu sehen. Irgendwo über dem Dunst der tropisch heißen Dämmerung mussten sie sein: die drei Hauptgipfel des Kinyaa, nicht einmal 30 Kilometer entfernt. Keiner von uns konnte schlafen. Vor unserem inneren Auge: rotschwarze Felszacken, Schnee und Gletscher, praktisch unmittelbar am Äquator.
Wir waren auf 3700 Metern, als Sebastian plötzlich über massive Kopfschmerzen klagte
Nachts um drei war klar: Wir können nicht nicht rauf. Um sechs Uhr klopften wir an die benachbarte Hütte der Bergführer: „Please: We need equipment, and a guide. Yes, now!“ Wir hatten Glück. Paul war unser Mann. Profi-Guide mit roten Gamaschen, Cord-Kniebundhosen, weißer Schiebermütze und einer der ersten Fleece-Jacken der Welt. Alles Geschenke seiner Gäste der letzten 30 Jahre. Von ihm bekamen wir Schlafsäcke, abgerockte Bergschuhe (die aber erstaunlich gut passten) und bunte Gamaschen. In der aufkommenden Hitze des Morgens ging es über schlammige Pisten in den Nationalpark. Auf einer Höhe von 2700 Metern blieb der Landrover stecken und wir mussten zu Fuß weiter. Der Irrsinn unserer spontanen Idee wurde uns hier das erste Mal klar: 30 Grad, die Wälder vor uns dampften, wir waren voll bepackt, mit Verpflegung, Wasser, Kocher und Material, und hatten keine Ahnung, was auf uns zukommen würde. Spätestens übermorgen mussten wir weiter. Der Aufstieg zu unserem Basecamp auf etwas über 3000 Metern war zäh. Wir schwitzten und kämpften schon nach den ersten Metern. Paul drängte uns sofort weiter, um gleich am Nachmittag noch 500 Meter höher zu kommen, sodass wir uns zumindest ein wenig an die Höhe gewöhnten.
Wir staunten über die unglaublich unterschiedliche Vegetation am Berg plötzlich wie ein skandinavischer Bergwald, nachdem wir gerade erst tropische Sümpfe hinter uns gelassen hatten. Abends in unserem Verschlag waren wir erstmals zuversichtlich, dass unser Versuch klappen könnte. Noch vor Sonnenaufgang ging es los. Paul warnte uns eindringlich vor den Mountain Lyon Mamas, die hier ab und an Bergsteiger angreifen würden, um ihren Nachwuchs zu beschützen. Trotzdem: Wir wollten unbedingt rauf. In der ersten Morgensonne eine karge Landschaft voller Kakteen. Wir waren auf 3700 Metern, als Sebastian plötzlich über massive Kopfschmerzen klagte. Klares Zeichen für Höhenkrankheit. Michael, der Arzt in unserer Runde, riet zu trinken und einfach Pause zu machen. Wir schliefen eine Runde und als ich aufwachte, kletterte Sebastian schon wieder auf einem kleinen Felsblock. Weiter ging es. Und auf einmal eröffnete sich ein unglaubliches Panorama. Vor uns: die wilden Gipfelzacken, die Gletscher und ein gigantisches Hochtal, dahinter der Mount Kenya, zum Greifen nah. Surreal schön. Unser Ziel nur noch knapp tausend Meter über uns.
Trotz Abbruch, Kopfschmerzen und völliger Erschöpfung war es einer der schönsten Abstiege meines Bergsteigerlebens
Die Euphorie wurde hart unterbrochen: Michael und ich fühlten, wie ein Schraubstock unsere Gehirnschale zusammenpresste. Extreme Kopfschmerzen. Paul meinte, das wäre normal und bot uns Schmerztabletten an. Wir entschieden uns aber, sofort umzudrehen. Unser Ziel für die Nacht wäre noch deutlich höher gelegen, und wir mussten einsehen, einfach zu schlecht vorbereitet zu sein. Trotz Abbruch, Kopfschmerzen und völliger Erschöpfung war es einer der schönsten Abstiege meines Bergsteigerlebens. Nach 12 Stunden kamen wir im Dunkeln an. In der Hütte: drei Schotten, komplett abgekämpft, sie waren am Vortag, als wir noch unten im Garten der Lodge saßen, im Schneesturm auf dem Gipfel, ohne Sicht, und sind nur mit Mühe im dichten Nebel wieder heil herunter gekommen. Gemeinsam staunen wir, wie unterschiedlich und unberechenbar unsere beiden Bergerlebnisse doch waren. Wir sind bis heute dankbar, damals so pittoresk gescheitert zu sein.
Fotos – Alex Voets