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Nachhaltigkeit/09.10.2024

Hanf im Sport: Gamechanger für die Industrie

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Die Sportindustrie steht vor einem grünen Wandel, und Hanf könnte dabei eine Schlüsselrolle spielen. Die Wunderpflanze begeistert nämlich mit herausragenden nachhaltigen Eigenschaften. Warum Hanf für B2B-Akteure zunehmend relevant wird und welche Innovationen und Geschäftsmöglichkeiten sich daraus ergeben – von nachhaltigen Textilien bis hin zu neuen Produktkategorien und Supplements – erfahre, wie Hanf die Zukunft der Sportbranche prägen könnte.

Hanf boomt auf der ganzen Welt

Die Wunderpflanze boomt – denn Hanf ist äußerst hilfreich im Kampf gegen die Klimakrise. Nicht ohne Grund zählt er zu den ältesten Kulturpflanzen der Welt, geriet jedoch viele Jahre aufgrund des Siegeszugs von Kunstfasern in Vergessenheit. Nun erlebt er ein Revival. Kein Wunder, denn die Superfaser eignet sich nicht nur hervorragend für Textilien, sondern dient auch als Verbundstoff, zum Beispiel in Skateboards oder Skiern, und Sportler*innen schwören auf die heilenden Kräfte von Hanf. Gemeint sind dabei Produkte aus Nutzhanf (in Deutschland auch als Industriehanf bezeichnet), die keine berauschende Wirkung haben. Die Nutzhanfpflanze ist eine Sorte mit geringem THC-Gehalt (0,2-0,3 Prozent), ohne berauschende Wirkung, und wird unter anderem in der Textil-, Automobil- und Bauindustrie verwendet. Aufgrund ihres höheren CBD-Gehalts werden daraus auch medizinische Produkte hergestellt. Demgegenüber steht die Cannabispflanze. Sie weist einen hohen THC-Gehalt auf und hat eine berauschende Wirkung – sie wird für medizinische Zwecke oder den Freizeitgebrauch angebaut. Der CBD-Gehalt kann ebenfalls höher sein, insbesondere wenn sie für medizinische Zwecke kultiviert wird.

Asien ist eine der Hauptanbauregionen für Hanf
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Danurwendho Adyakusuma/Unsplash.com

Nachhaltige Naturfaser für viele Zwecke

Hanf ist eine Naturfaser, die im Vergleich zu Baumwolle mit minimalen Umweltauswirkungen angebaut werden kann. Die Pflanze benötigt wenig bis gar keine Bewässerung und kommt mit weniger Düngemitteln aus als andere Nutzpflanzen. Zudem verbessert Hanf den Boden und kommt während seines etwa viermonatigen Wachstumszyklus ohne Kunstdünger aus. Er versorgt den Mutterboden mit wichtigen Nährstoffen, verhindert Erosion und trägt zur Luftreinhaltung bei. In Österreich wird seit 2021 das Projekt ARGE ALP Alpenhanf 360° umgesetzt, das Innovationen rund um den Anbau und die Nutzung von Hanfpflanzen, deren Fasern und Inhaltsstoffen, fördert. Mit dem Fokus auf den gesamten Lebenszyklus von Produkten werden Wertschöpfungsketten im Sinne der Kreislaufwirtschaft neu gestaltet, um ein nachhaltiges Wachstum in der Region Tirol zu unterstützen.

Österreichisches Projekt: Innovationen rund um das Thema Hanf
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Screenshot ARGE ALP Alpenhanf 360°

Immer mehr Länder unterstützen Anbau

Weltweit erkennen immer mehr Regierungen das Potenzial von Nutzhanf und lockern die Regelungen für dessen Anbau. In Deutschland ist der Anbau von Industriehanf zwar bereits seit 1996 legal, allerdings mit zahlreichen Auflagen. Kürzlich beschloss das Bundeskabinett jedoch einen Gesetzentwurf zur Liberalisierung von Nutzhanf, um den Anbau zu erleichtern und den Umgang damit zu liberalisieren. Geplant ist die Streichung der sogenannten Missbrauchsklausel sowie die Zulassung des Indoor-Anbaus von Nutzhanf.

Auch in vielen europäischen Ländern sowie in den USA, Lateinamerika, Asien und Afrika ist der Anbau von Nutzhanf erlaubt, vorausgesetzt, der THC-Gehalt liegt unter 0,2 beziehungsweise 0,3 Prozent. In Russland und einigen arabischen Ländern ist der Anbau hingegen weitgehend verboten.

Volkswagen fährt auf Industriehanf ab

Große Player fahren bereits auf die Wunderpflanze ab: Volkswagen informierte im August 2024 über die Kooperation mit dem deutschen Start-up-Unternehmen Revoltech GmbH aus Darmstadt. Ziel ist nach Unternehmensangaben die Erforschung und Entwicklung nachhaltiger Materialien auf Basis von Industriehanf. Diese könnten ab 2028 als nachhaltiges Oberflächenmaterial in Volkswagen-Modellen zum Einsatz kommen. Das aus 100 Prozent biobasiertem Hanf gewonnene Material nutzt Reststoffe der regionalen Hanfindustrie. Es kann auf bereits bestehenden Industrieanlagen gefertigt und nach seinem Einsatz im Automobil am Ende recycelt oder kompostiert werden. In Kundenbefragungen sei das Material sehr gut angekommen.

Industriehanf – zukünftige, nachhaltige Alternative für Kunstleder im Fahrzeuginnenraum
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Volkswagen

Sportartikelindustrie spielt mit Material

Was Volkswagen kann, können auch Sportartikelhersteller wie Salewa, Patagonia, Maloja, Under Armour, Adidas, Nike und Element. Langlebig, reißfest und robust – diese Eigenschaften machen die Superfaser zu einem perfekten Partner für Outdoor- und Sportbekleidung. Sie ist zudem atmungsaktiv und absorbiert Feuchtigkeit. Ihre antibakteriellen Eigenschaften hemmen Bakterien und reduzieren Gerüche – selbst bei schweißintensiven Sportarten. Ähnlich wie Wolle können Hanffasern sowohl kühlen als auch wärmen, was Bekleidung aus Hanf ideal für unterschiedliche klimatische Bedingungen macht.

Dieter Behrentin, Unternehmensberater für Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft, erklärt: „Hanfbekleidung gibt es schon länger – beispielsweise von Levi’s. Aber bis dato gab es keinen Tragekomfort. Jetzt ist die Entwicklung so weit, dass die T-Shirts eine Weichheit haben, die man so nicht kannte. Wenn Sie ein Hanf- und ein Baumwoll-Shirt vergleichen, merken Sie heute kaum noch einen Unterschied.“

Maloja bezeichnet Hanf als eines seiner Lieblingsmaterialien. Bevor das Unternehmen jedoch Kleidung aus der Naturfaser herstellen konnte, musste erst ein Produzent und Verarbeiter gefunden werden. Denn: „So leicht ist an den Stoff nicht heranzukommen“, heißt es in einem Video. 2019 brachte Maloja seine Hanfkollektion mit Kletterhosen, T-Shirts, Hemden, Blusen und Funktionsjacken auf den Markt.

Patagonia experimentiert mit Nutzpflanze

Das US-amerikanische Sportunternehmen setzt bereits seit über 20 Jahren auf Hanf aufgrund seines Gesamtsystemansatzes. Derzeit experimentiert Patagonia mit der Naturfaser und untersucht das Potenzial von Hanf als Zwischenfrucht. Studien zeigen, dass Hanf die Erträge nachfolgender Ernten, wie Getreide, Kartoffeln und Mais, steigern kann. Die holzigen Fasern der Hanfstängel – das Material, das nicht für die Textilherstellung verwendet wird – bieten laut Patagonia zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten als umweltfreundliche Verbundwerkstoffe, etwa für Hanfsteine im Bauwesen oder Karosserien im Fahrzeugbau.

Der Sportartikelhersteller erklärt stolz: „Es ist uns gelungen, Materialien mit einzigartiger Performance zu entwickeln, indem wir unseren Hanf mit Bio-Baumwolle, Recycling-Polyester und TENCEL™ Lyocell kombinieren.“ Für sein Workwear-Sortiment hat Patagonia Iron Forge Hemp™ Canvas entwickelt, ein 437-g/m²-Canvas-Gemisch aus 55 Prozent Nutzhanf, 27 Prozent Recycling-Polyester und 18 Prozent Bio-Baumwolle, das 25 Prozent abriebfester ist als herkömmliches Baumwoll-Enten-Canvas und zugleich komfortabel sowie atmungsaktiv. Das All Seasons Hemp Canvas ist mit 325 g/m² eine leichtere Version für Arbeitskleidung bei wärmeren Wetterverhältnissen.

„Ein gutes Beispiel für ein Modell, in dem wir Hanfmaterial integrieren, ist unsere Hampi Rock Pants – eine Kletterhose, die besonders robust, atmungsaktiv und bequem sein soll“, erklärt Patagonia. „In der Hampi Rock Pants verwenden wir leichtes, strapazierfähiges Material aus Bio-Hanf, Recycling-Polyester und Elastan. Die Hanffaser überzeugt insbesondere durch ihre hohe Belastbarkeit und ihre Fähigkeit, Feuchtigkeit aufzunehmen und an warmen Tagen kühlend zu wirken.“

Hanf als biologischer Verbundstoff

Auch in der Snowboard-Produktion sieht Berater Behrentin Chancen: „Hanf kann gut als biologischer Verbundstoff eingesetzt werden. Häufig wird Carbon verwendet, doch Hanf könnte meines Erachtens eine echte Alternative zu Carbon werden. Er ist leichter, stabiler und viel günstiger, da Hanf ein schnell nachwachsender Rohstoff ist, der bis zu dreimal im Jahr angebaut werden kann.“

Indische Wissenschaftler bestätigten erst kürzlich in einer Studie die hervorragenden Eigenschaften von Hanf als Verbundstoff. Sie untersuchten die Festigkeit und Haltbarkeit von hanffaserverstärkten Verbundstoffen aus der Moringapflanze und Bioresin (einem auf Basis nachwachsender Rohstoffe entwickelten Kunststoff) für Skateboards. Dabei stellten sie fest, dass die mechanischen und physikalischen Eigenschaften vielversprechend sind.

Dieter Behrentin, Unternehmensberater für Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft
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Dieter Behrentin

Ganzheitliche und nachhaltige Produktion

Patagonia arbeitet gemeinsam mit innovativen Partnern in der Hanfverarbeitung an einem Gesamtsystemansatz, um sicherzustellen, dass die gesamte Hanfverarbeitung in Zukunft noch geringere Auswirkungen auf die Umwelt hat. „Unser Ziel ist es, beim Trennen der Hanffasern vom holzigen Kern sowie beim Entfernen der klebrigen Holzstoffe und Pektine umweltfreundliche Methoden wie Rösten (auch Rotten genannt), Entrinden und das sogenannte Degumming anzuwenden.“

Zudem kooperiert der Sportartikelhersteller nach eigenen Angaben mit Unternehmen, die pflanzliche „Abfälle“ in umweltfreundliche Verbundwerkstoffe umwandeln. Diese werden als Baumaterialien genutzt oder in anderen Produkten verarbeitet – „als sehr gute Alternativen zu Kunststoffen und Glasfasern“.

Vorreiter Patagonia: Gesamtsystemansatz für Hanf
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Dieter Behrentin

Sportler*innen stehen auf Öle und Samen

Ob Proteinpulver, Samen oder Öl: Industriehanf unterstützt die Muskelregeneration, bietet zusätzliche Nährstoffe und bereichert die Ernährung mit essenziellen Fettsäuren. Seine entzündungshemmenden Eigenschaften sind mittlerweile gut erforscht. Da Industriehanf in den meisten Ländern nur einen THC-Gehalt von 0,2 bis 0,3 Prozent aufweisen darf, sind die natürlichen Hanfprodukte unbedenklich.

Problematisch für Hochleistungssportler*innen können jedoch CBD-Produkte sein, die Cannabidiol enthalten, das ebenfalls in der Hanfpflanze vorkommt. Dieser Wirkstoff ist für seine entspannende und entzündungshemmende Wirkung bekannt. Allerdings können CBD-Produkte Spuren von THC enthalten – auch wenn sie als THC-frei verkauft werden. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) hat den Grenzwert im Urin auf 150 Nanogramm pro Milliliter festgelegt – alles darüber wird als Doping eingestuft. Daher sollten Sportler*innen darauf achten, dass die verwendeten CBD-Produkte auf THC getestet sind und von vertrauenswürdigen Herstellern stammen.

Megan Rapinoe ist wohl eine der bekanntesten Sportlerinnen, die sich leidenschaftlich für die Verwendung von CBD zur sportlichen Regeneration einsetzt. Bereits 2021 schrieb die Fußballerin in einem Instagram-Post: „Als langjährige Befürworterin der Verwendung von CBD zur besseren Genesung und als Superfan von Mendi und meiner Zwillingsschwester Rachael bin ich begeistert, mit ihnen zusammenzuarbeiten, um das Gesicht von Cannabis im Sport neu zu gestalten und die Gesundheit von Sportlern zu fördern. Die kleinen, täglichen Gewinne, die ich durch die Verwendung von Mendis natürlichen Hanfprodukten erhalte, um meine Stimmung auszugleichen, Schmerzen zu lindern und besseren Schlaf zu fördern, summieren sich mit der Zeit zu viel größeren Gewinnen.“

Auch der NFL-Spieler Jakob Johnson verrät in einem Podcast, dass er CBD-Cremes liebt, ebenso wie Rob Gronkowski, der sagt, dass er seinen Wiedereinstieg in die NFL der Einnahme von CBD verdanke, da es ihm bei seinen chronischen Schmerzen geholfen habe.

Bis 2030: Starkes Wachstum für Textilindustrie

Die Autor*innen Francesco Mirizzi und Catherine Wilson prognostizieren in einer Studie für den Europäischen Verband für Industriehanf (EIHA) ein starkes Wachstum der hanfbasierten Textilindustrie. Grund dafür sei das deutliche und wachsende Interesse der Verbraucher*innen an natürlichen, nachhaltigen Fasern und Produkten in den kommenden Jahren. Zudem arbeiten neue europäische Forschungsprojekte an der Entwicklung von Hanf-Lyocell, einem umweltfreundlichen, weichen Stoff.

Auch das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Data Bridge Market Research hat analysiert, dass der Markt für Hanfkleidung bis 2030 voraussichtlich 81 Millionen US-Dollar erreichen wird, was einem jährlichen Wachstum von 32,5 Prozent entspricht.

Hanftextilien: Data Bridge Market Research prognostiziert eine jährliche Wachstumsrate von 32,5 Prozent
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Screenshot Data Bridge Market Research

Superfaser: Perspektiven für Sportindustrie

Für die Sportindustrie bietet die Vielzahl positiver und nachhaltiger Eigenschaften von Industriehanf enormes Potenzial. Zielführend wäre es, sich gemeinschaftlich stärker in Projekte auf Länderebene einzubringen. Bisher führt die steigende Nachfrage jedoch nicht zu einer erheblichen Produktionsausweitung. Zudem fehlen weitgehend Produktionsstätten für Hanf und Bio-Hanf sowie weltweite Zertifizierungen. Es gibt nur wenige Betriebe, die Hanffasern verarbeiten können – Investitionen seitens der Sportbranche könnten hier die Entwicklung deutlich vorantreiben. Eine Beteiligung am Aufbau einer nachhaltigen und fairen Hanfproduktion und -verarbeitung wäre ein wichtiger Schritt. Laut Behrentin hat Under Armour bereits sechs Millionen US-Dollar in Australien investiert, um eine Infrastruktur für die Hanfproduktion aufzubauen.

In Europa gibt es aufgrund von Verboten kaum Produktionsstätten, und die Lieferketten müssen komplett neu aufgebaut werden. Behrentin erklärt: „In Europa fehlt uns noch die Infrastruktur. Wir haben das Know-how in den 60er-Jahren nach Asien ausgelagert. Die Europäische Union hat mit dem ,Green Deal‘ nun den Fokus auf Nachhaltigkeit und Bioökonomie gelegt, und somit entdecken die Firmen den Hanf wieder und wollen ihn zurückholen. Hanf ist vielseitig einsetzbar und äußerst nachhaltig, da er den CO₂-Wert reduziert. Das gilt jedoch nur, wenn er keine weiten Transportwege, etwa aus Asien, zurücklegen muss.“ Der Einstieg in den Markt als Textilhersteller sei ebenso anspruchsvoll wie der Einstieg in die eigentliche Produktion von Hanf. „Das ist eine sehr komplexe Angelegenheit.“

Problematisch ist auch, dass die Naturfaser ein erklärungsbedürftiges Produkt ist, gibt Behrentin zu. Er empfiehlt generell einen gut vernetzten Berater, der sich mit Hanf und dessen Vermarktung auskennt und dem jeweiligen Unternehmen helfen kann, das Potenzial im eigenen Portfolio zu ermitteln. Dennoch betont der Experte: „Auch wenn es noch zwei große Herausforderungen gibt – die Komplexität des Themas und den Aufbau der Infrastruktur – passieren derzeit viele kleine, aber sehr schnelle Schritte, die durch zahlreiche Förderprogramme unterstützt werden.“

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