Tag für Tag fällen wir etwa 10.000 Entscheidungen, viele davon betreffen unseren Konsum. Was geht dabei in uns vor? Was löst den Das-will-ich-haben-Knopf aus? Martin Lindstrom beschäftigt sich seit Teenagertagen mit Marketing.
Der Marketing-Guru untersuchte in einer der weltweit größten Studien, wie unser Unterbewusstsein das Kaufverhalten beeinflusst. „Um einen Blick in die Köpfe der Konsumenten zu werfen“, nutzte er das MRT-Verfahren, eine starke Magnetröhre, die sonst in der Medizin angewendet wird.
Fokus auf Neuromarketing
Sein Fazit: Um einschätzen zu können, welche Produkte die besten Erfolgsaussichten am Markt haben, sollten Firmen besser auf Neuromarketing setzen, nicht auf die Befragung von Konsumenten.
Das sei umso dringlicher, da acht von zehn neuen Produkten bereits drei Monate nach der Markteinführung floppten. Gehirnscans aber zeigten verlässlich, warum ein Produkt auf Konsumenten anziehend oder abstoßend wirkt. Doch der Reihe nach.
Immer die Gefühle ansprechen
"Der größte Teil unseres Gehirns ist mit automatischen Prozessen beschäftigt, nicht mit bewusstem Denken. Es geschieht viel Emotionales, weniger Kognitives“, sagt der Verhaltensökonom George Loewenstein.
Die meiste Zeit schaltet unser Gehirn auf Autopilot, während wir glauben, wir wüssten, was wir tun. Daher erklärt auch das Unterbewusstsein unser Kaufverhalten besser als das Bewusstsein.
90 Prozent aller Kaufentscheidungen werden nicht bewusst getroffen, meinen Experten. Oder: Marken und Produkte, die unsere Gefühle ansprechen, wie etwa Apple, Coca-Cola oder Nivea, gewinnen immer.
Ohne Emotionen nicht lebensfähig
Ein Beispiel: Elliot war ein erfolgreicher Anwalt, bis man bei ihm einem Gehirntumor entfernte. Dabei wurden offenbar auch Teile seiner Persönlichkeit zerstört. Aus dem ehemals tatkräftigen Mann wurde jemand, der sich für nichts entscheiden konnte:
Er brachte keinen Buchstaben aufs Papier, weil er an der Auswahl des Stiftes scheiterte. Er drehte stundenlang am Radio und fand kein Programm, er wollte seinen Schreibtisch aufräumen und wusste nicht wie. Elliots IQ war unverändert, aber er konnte seinen Alltag nicht mehr bewältigen.
Als er dem berühmten Psychiater António Rosa Damásio vorgestellt wurde, diagnostizierte dieser, Elliot sei emotional völlig verkümmert. Er war weder traurig, frustriert noch glücklich, alles fühlte sich für Elliot gleich an; daher konnte er sich auch nicht mehr entscheiden, vermutete Damásio.
Fernsehwerbung ist wenig effektiv
Bis Mitte 30 hat man gut zwei Millionen Werbespots gesehen. Wissen Sie noch, was gestern über den TV-Bildschirm flimmerte? Wahrscheinlich nicht. 1965 erinnerten sich noch 34 Prozent der Verbraucher an die Fernsehwerbung, 1990 nur acht und 2007 lediglich 2,2 Prozent.
„Grund für den Gedächtnisschwund ist der Mangel an Originalität“, vermutet Lindstrom. Die Fernsehzuschauer sehen zahllose Werbespots, die alle irgendwie ähnlich sind, und können am Ende keine Marke mehr von den anderen unterscheiden.
Ähnlich trübe sieht die Bilanz bei der Platzierung von Produkten in Filmen aus. Sie funktioniert nur, wenn sie in einen thematischen Kontext eingebettet ist.
E.T. verdreifacht den Absatz von Schokolinsen
Der Außerirdische E.T. zum Beispiel wurde mit Süßigkeiten von Hershey’s aus seinem Versteck gelockt. Nachdem der Film in die Kinos kam, verdreifachte sich der Umsatz der Schokolinsen.
Heute jedoch werden Filme in Kino und TV mit Produkten geradezu überschwemmt. Manch ein Film kommt pro Minute auf ein Produkt. Mit dem Ergebnis, dass die Zuschauer blind für die Werbung werden.
Lindstrom: „Werbe- und Marketingleute, die uns lawinenartig mit Werbung überrollen, können sich genauso gut ihre Zigaretten mit den Millionen anstecken, die sie dabei verbrennen.“
Weitverzweigtes Nervensystem
Stürzt ein Kind, leiden die Eltern mit. Vergibt unser Lieblingsfußballer eine Torchance, ärgern wir uns. Sehen wir einer Tänzerin zu, fühlen wir uns beschwingt. Dafür verantwortlich sind Spiegelneurone, ein weitverzweigtes Nervensystem in unserem Gehirn.
Die Gegenwart anderer Menschen aktiviert diese Nervenzellen und ruft spiegelbildlich die Körperzustände oder Gefühle des anderen in uns wach. Das heißt, wenn wir jemanden beobachten, reagiert unser Gehirn so, als ob wir selbst aktiv wären. Spiegelneurone sind auch dafür verantwortlich, dass wir das Verhalten anderer Menschen nachahmen wollen.
Der iPod von Apple und seine weißen Kopfhörer sind ein perfektes Beispiel für den Einfluss von Spiegelneuronen auf unser Einkaufsverhalten, erläutert Lindstrom.
Männer greifen zu Autorennen
In den Vor-iPod-Zeiten gab es Kopfhörer und Kabel nur in Schwarz. „Sehen wir eine Person, die ungewöhnliche Kopfhörer trägt, dann wecken unsere Spiegelneurone in uns den Wunsch, die gleichen schicken Kopfhörer zu besitzen.“
Frauen entdecken beim Einkaufsbummel knallrote Stilettos und stellen sich unbewusst vor: „Wenn ich mir diese High Heels kaufe, sehe ich sexy aus.“ Männer greifen in der Spieleabteilung zum Autorennen und fühlen sich wie ein Formel-1-Pilot.
Selbst wenn man ursprünglich etwas uninteressant oder gar hässlich fand, möchte man es plötzlich haben, sobald man es überall sieht. Mode liefert dafür viele Beispiele. Die Stiefel von UGG haben den Weltmarkt im Sturm erobert, obwohl man in den klobigen Boots watschelt wie eine Ente.
Kaufentscheidungen braucht nur Sekunden
Häufig agieren Spiegelneurone im Zusammenspiel mit Dopamin. Dabei löst nicht der Besitz der Sache den Hormonschub aus, sondern das Kaufen selbst. Schon der Anblick der Kultjeans reicht aus.
In freudiger Erwartung wird das Gehirn mit dem Glückshormon geflutet, und man zückt die Kreditkarte. Gerade mal 2,5 Sekunden brauchen die meisten Kaufentscheidungen.
Wer glaubt, er habe die sündhaft teure Kultjeans wegen ihrer perfekten Passform gekauft, irrt. Das Kleidungsstück soll vielmehr dazu dienen, den sozialen Status zu erhöhen, und das wiederum geht auf Urinstinkte (Chance auf Fortpflanzung) zurück.
Wirkung von Logos wird überschätzt
Lindstrom wies in fMRT-Bildern nach, dass das Brodmann-Areal 10 im frontalen Kortex des menschlichen Gehirns aktiviert wird, wenn man „Produkte echt cool findet“. Das Areal ist mit Selbstwahrnehmung und Emotionen verknüpft. Mit der Hose kauft man Selbstbewusstsein; logisch ist das nicht.
Wissenschaftler können über die Messung von Hirnströmen voraussagen, für welches Produkt sich jemand entscheidet. Marketingstrategen machen sich das zunutze und setzen auf unterschwellige Botschaften, die wenig mit dem eigentlichen Produkt zu tun haben.
Markenlogos sind dabei eher unwichtig, sie brauchen gar nicht zu sehen sein; effektiver wirken mit der Marke verbundene Bilder, so Lindstrom. Raucher etwa fühlten sich von Fotos von Kamelen in der Wüste oder Cowboys eher animiert, zur Schachtel zu greifen, als von den Logos der Zigarettenfirmen.
Die Testpersonen waren für die verdeckten Botschaften empfänglicher, weil ihnen nicht klar waren, „dass sie Werbebotschaften ausgesetzt waren. Sahen sie hingegen irgendwo das Logo, waren sie sofort gewarnt“, stellte Lindstrom fest.
Assoziationen mit Marken
Eine Welt ohne Logos und Werbeslogans? In der man nur unterschwellig ein Bild sieht und sofort weiß, welche Marke dahintersteckt? Für Lindstrom ist das die Zukunft, viele Unternehmen arbeiten schon so.
Manche Tabakhersteller etwa entwickelten am Werbeverbot vorbei neue Möglichkeiten, um im Geschäft zu bleiben. Sie bezahlen Barbetreiber dafür, dass sie Etablissements mit Möbeln und Accessoires in entsprechenden Farben ausstatten, oder sie fungieren als Sponsoren bei Autorennen.
Lindstrom: „Sieht ein Verbraucher einen roten Ferrari, verbindet er das Auto in seinem Unterbewusstsein mit der Marke. Mehr noch: Alles, wofür die Formel 1 steht, wird in einer einzigen Sekunde mit der Marke verbunden.“
Vanilleduft erinnert an Muttermilch
Auch mit Gerüchen lassen sich Produkte unters Volk bringen. Erinnert uns ein Duft an etwas, wird jede rationale Barriere ausgeschaltet. Vanilleduft fördert den Verkauf immer, weil wir dessen Aroma mit Muttermilch assoziieren.
Am Eingang von Supermärkten steht nicht zufällig ein Bäcker: Der Geruch von frischen Backwaren macht hungrig und verführt zum ungeplanten Kauf weiterer Lebensmittel. In Baumärkten versprühte man künstliche Grassprays, und die Kunden schilderten, dass sie das Personal als kompetenter empfanden.
In Schuhläden duftet es nach Leder (aus Spraydosen) und in Kaufhäusern nach Parfüm. Ein Putzmittel mit einem beißenden Geruch verkauft sich besser als eines, das nach Blumen duftet: Der Verbraucher glaubt eher, dass das Mittel hilft. Und mit nach Babyhaut duftenden Pflegeprodukten fühlen viele sich jünger.
Einzelhandel forscht akribisch
Auch Geräusche sind für die Markenbildung wichtig. Den brüllenden Löwen der Metro-Goldwyn-Mayer-Studios, der den Kinoabend einläutet, kennt jeder, das Knuspergeräusch von Kellogg’s ebenso.
In Weinhandlungen verkauft sich französischer Champagner besser, wenn Klassik statt Pop gespielt wird. Lindstrom: „Entscheidend ist, dass Geräusche starke Gefühle auslösen und unser Verhalten deutlich beeinflussen können.“ Viele Verbraucher prüfen zudem, wie eine Ware sich anfühlt.
Das ist besonders bei Kleidung wichtig. Ehe ein Konsument sich für ein Stück entscheidet, fasst er es an und streichelt über den Stoff, ein Verhalten, das Einzelhandelsexperte Paco Underhill untersuchte.
Welches Paar Laufschuhe wird es?
Haben Sie sich mal gefragt, warum es Ihnen schwerfällt, sich für ein neues Betriebssystem oder für eine andere Laufschuhfirma zu entscheiden? Aus Gewohnheit wahrscheinlich, und weil Sie zu wissen glauben, was Sie beim Altbewährten erwartet.
Rituale helfen, die Kontrolle zu bewahren und eine Marke von der anderen zu unterscheiden. Erfolgreiche Marken kreieren Geschichten. Man kauft nicht nur ein Produkt, sondern eine Welt und die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Das beste Beispiel ist Apple.
„Apple ist die ultimative Form einer neuen Religion“, sagt Lindstrom, „Gründer Steve Jobs war ein Prophet. Und er benahm sich auch wie einer.“
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