Ladenschließung am 18. März 2020, wenige Tage später Wiedereröffnung der Werkstätten, dann Re-Opening der Verkaufsflächen am 20. April – die Corona-Pandemie hat die Radsportfachhändler in ein Wechselbad der Gefühle geschickt.
„Der Shutdown war ein kompletter Schock“, berichtet Markus Blust, der mit seiner Frau Tanja das Fahrradcenter Singer in Villingen-Schwenningen betreibt. „Anfangs war es sehr ruhig, nur die Werkstatt hatte offen – bis die ersten Kunden anriefen und fragten, ob Beratung auch telefonisch möglich sei.“
Ausgerechnet im Frühjahr, wenn sich die Kunden neue Mountainbikes, E-Bikes oder Rennräder zulegen, mussten die Radsportfachgeschäfte die Schotten dicht machen. Doch nach wenigen Tagen reifte bei der Bundesregierung die Erkenntnis, dass die Fahrradwerkstätten offenzuhalten seien, um die Mobilität der Bevölkerung sicherzustellen.
Zugleich herrschte Traumwetter und die Deutschen durften außer Joggen und Radfahren keine anderen Sportarten mehr betreiben. Das erhöhte die Nachfrage: „Wir haben draußen auf dem Gelände mit dem notwendigen Abstand private Termine mit den Kunden gemacht“, berichtet Blust. „So haben wir ein paar Räder verkauft.“ Zusätzlich nutzte er Onlinekanäle – ein Tropfen auf dem heißen Stein. Das Ostergeschäft fiel aus, Helme oder Bekleidung konnten nicht verkauft werden.
Eine spezielle Erfahrung machte Rainer Künzler, Inhaber des 100-qm-Ladens Der Rad Künzler in Mannheim: Er hatte sein Fachgeschäft für hochwertige Mountainbikes und E-Bikes erst am 20. Januar 2020 eröffnet. Zwei Monate später war es wieder zu. „Dennoch kamen viele Nachfragen“, resümiert er, berichtet aber auch von Kunden, die auf Corona-Rabatte hofften. „Einige wollten einen Sonderschnapper machen. Aber das gibt es natürlich nicht.“
Christian Morgenroth, Geschäftsführer des Filialisten und Online-Versenders Lucky Bike, beschreibt die letzten Wochen als „Achterbahnfahrt“: „Nach dem Shutdown haben wir auf Kurzarbeit umgestellt. Dann kam die Information, dass wir die Werkstätten offenhalten dürfen. Die Nachfrage war immens. Wir haben die auf Kurzarbeit gesetzten Werkstattmitarbeiter schnell wieder zurückgeholt.“
Während des Shutdowns zog bei Lucky Bike auch der Versand massiv an. „Das hat bei weitem nicht die Umsatzausfälle kompensiert“, berichtet Morgenroth. „Aber wir haben die Filialen als Abholplätze für Versandumsätze mobilisiert und über sie ausgeliefert.“
Dann die Wiedereröffnung: „Wir sind so überrannt worden, dass wir momentan einzelne Sortimente nicht mehr online verfügbar machen, weil wir nicht hinterherkommen“, so Morgenroth. „Seit 20. April ist jeder Tag ein Samstag! So eine verrückte Zeit haben wir alle noch nicht erlebt.“
Markus Blust schlägt in die gleiche Kerbe: „Seit 20. April herrscht bei uns Ausnahmezustand. Wir müssen mit Türsteher arbeiten, damit nicht alle gleichzeitig in den Laden stürmen. Man weiß nicht mehr, was vorne und hinten ist – natürlich alles positiv gesehen.“ Diesen Aspekt betont auch Christian Morgenroth: „Ich möchte nicht jammern, im Gegenteil. Unsere Branche kommt mit einem schönen blauen Auge aus der Sache raus. Ich habe viel Mitleid mit anderen Branchen, denen es dreckig geht. Wir sind froh, dass wir Umsätze machen dürfen.“
Die Menschen reißen den Shops die Rädern aus den Händen. Dazu passt auch eine Erhebung des Online-Vergleichsportals Idealo für den Business Insider: Die Suchanfragen für Fahrräder lagen im April um rund 180 Prozent höher als im Vorjahresmonat. Im Mai 2020 gab es bei den Suchanfragen im Vergleich zum Mai 2019 sogar einen Anstieg um 190 Prozent.
Auch der Blick nach Großbritannien bestätigt den Bike-Boom: Seit dem Ausbruch des Corona-Virus haben dort bereits 1,3 Millionen Kunden ein neues Fahrrad gekauft.
Vor der Zukunft ist Morgenroth daher nicht bange: „Es macht Sinn, Fahrradläden offen zu halten, weil es im Frühjahr und Sommer keine bessere individuelle Mobilität als auf dem Fahrrad gibt.“ Zudem hätten die Deutschen realisiert, dass sie nicht in Urlaub fahren könnten. Viele würden daher den Sommer auf dem Rad verbringen.
Das Problem am Boom sind Lieferschwierigkeiten, denn die Lieferketten zu den wichtigsten Herstellungsländern in Asien sind unterbrochen. „Ich glaube, das wird immens werden. Momentan herrscht Goldgräberstimmung – die Lieferanten, die noch etwas hatten, sind inzwischen ausverkauft“, so Morgenroth.
Markus Blust bestätigt: „Es gibt massive Lieferschwierigkeiten. Wir zehren von unserem großen Lager, aber wir haben keine Chance, spezielle Kundenwünsche zu bestellen.“ Die Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft (ZEG) habe aber schon angekündigt, dass die Räder 2021 gleich bleiben wie 2020. „Das ist ein gutes Signal an uns, das rechtzeitig kam. Von daher sind wir beruhigt.“
Aufgrund dieser „Sonderkonjunktur“ beabsichtigt keiner der Händler in naher Zukunft besondere Aktionen. „In der derzeitigen Lage mit den Kontaktbeschränkungen machen Events keinen Sinn“, findet Rainer Künzler. Markus Blust ergänzt: „Wir schalten in den nächsten Wochen keine Werbung, die verpufft nur.“ Aber er warnt auch: „Man weiß nicht, wie es weitergeht, falls die Infizierten-Zahlen wieder hochgehen. Wir nehmen jeden Tag mit, an dem wir aufhaben dürfen.“
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