Klettern ohne Ausrüstung und völlig ungesichert? Was zunächst fast lebensmüde klingt, ist beim Bouldern Alltag. Doch keine Sorge: Es handelt sich nicht um eine neue Kamikaze-Form des Klettersports für todesmutige Adrenalin-Junkies. Bouldern, das ist das Klettern ohne Seil – aber stets auf Absprunghöhe. Über eine Kletterhöhe von circa vier Metern geht es beim Bouldern nicht hinaus. Wer beim Indoor-Bouldern stürzt, wird zudem von Matten, den sogenannten Crashpads, aufgefangen.
Kraft, Fitness, Kreativität und mentale Stärke sind gefragt, um schwierige Passagen wie Überhänge und Dächer, sogenannte „Probleme“, zu bewältigen. Und noch mehr als beim Klettern mit dem Seil spielt beim Bouldern die richtige Technik eine Rolle. Doch seit wann wird eigentlich gebouldert und wer hat das Klettern in Bodennähe erfunden?
Vorläufer des Boulder-Sports gab es bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts. Im von Sandstein geprägten Umland des französischen Kleinstadt Fontainebleau südlich von Paris erklommen die sogenannten „Bleausards“ Findlinge und Felsen von einige Metern Höhe und verzichteten dabei völlig auf Seile oder sonstiges Sicherungsequipment. In den folgenden Jahrzehnten war das Klettern auf Absprunghöhe jedoch noch stark an den herkömmlichen Klettersport gebunden und fristete ein Schattendasein. Erst in den 1950er Jahren gelang es dem US-Amerikaner John Gill, die Eigenständigkeit des Boulderns zu erhöhen und dessen Popularität zu steigern. Gill nutzte als erster Klettersportler Magnesium, um den Handflächen mehr Grip zu verleihen und versuchte gezielt, Boulder-Probleme zu lösen, indem er mit althergebrachten Klettertechniken, wie etwa der Drei-Punkte-Regel, brach. Ende der 1960er Jahre präsentierte der gebürtige Kalifornier schließlich eine Bewertungsskala, mit deren Hilfe sich die Probleme in unterschiedliche Schwierigkeitsstufen einordnen ließen. Diese Bewertungsskala wird heute als Meilenstein auf dem Weg zur Anerkennung des Boulderns als eigenständige Disziplin gehandelt. John Gill erwarb sich so den Ruf als „Urvater des Boulderns“.
Ein weiterer Wegbereiter des Boulder-Sports war der Nürnberger Wolfgang Fietz, der in den 1970er und 1980er Jahren insbesondere in der Fränkischen Schweiz aktiv war und seinerzeit als einer der besten Kletterer der Welt galt. Fietz bezwang im freien Klettern zahlreiche Teilstrecken am Fels, bis dahin als unbezwingbar galten. Er lieferte den Ansporn für alle, die sich ähnlichen Herausforderungen stellen wollten. So wurden nach und nach viele Felsformationen beim Bouldern, die meisten in aller Stille, manche sehr öffentlichkeitswirksam. Mit Schwung ging es in die 1990er Jahre, in denen der Boulder-Sport seinen eigentlichen Siegeszug begann.
Mit der ersten Austragung des Weltcups im Jahr 1999 konnte das Bouldern seine Rolle als Randsport endgültig verlassen und wurde auf internationaler Ebene als eigenständige Disziplin anerkannt. Nach der Jahrtausendwende erfreute sich der ungesicherte Klettersport zunehmender Beliebtheit, die Boulder-Gemeinde wuchs stetig an. Neben herkömmlichen Kletterhallen breiteten sich nun auch Indoor-Hallen speziell für den Boulder-Sport aus. Inzwischen verfügt nahezu jede größere Stadt über eine eigene Boulderhalle.
Nicht nur bei Freizeitsportlern ist Bouldern angesagt, auch in der Wettkampf-Szene hat sich seit dem ersten Boulder-Weltcup einiges getan. So richtet die „International Federation of Sport Climbing“ (IFSC) mittlerweile verschiedene Kontinental-, Weltmeisterschaften und Weltcups in den drei Disziplinen Bouldern, Speedklettern und Schwierigkeitsklettern aus. Insbesondere das Bouldern gewinnt dabei zusehends an Popularität und die Stars der Szene verfügen über riesige Fangemeinden. Für alle, die die Stimmung eines internationalen Boulder-Wettkampfs einmal miterleben wollen: Der Weltcup wird mittlerweile per Live-Stream in alle Welt übertragen.
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