Wie schmal der Grat zwischen Lob und Spott ist, musste mit Ralph Lauren in diesem Jahr ausgerechnet eine der bekanntesten Modemarken der Welt erleben. Schon zum wiederholten Male durfte Ralph Lauren die US-Sportler für den Einzug in die Olympischen Spiele einkleiden. Doch geht es nach vielen Fans in den USA, war es auch das letzte Mal. Ein blaues Jacket mit dem Markenzeichen des Unternehmens – einem Polospieler -, darunter ein gestreiftes Shirt in navy-blau und blaue Hosen in Slim-Fit regten die Fans vor dem Fernseher auf. An einen Country Club fühlten sich Zuschauer erinnert, auf jeden Fall nicht repräsentativ für die Vielfalt der Athlet*innen sei die Kleidung, schrieb eine Nutzerin. Damit traf sie ganz den Nerv vieler anderer. Ralph Lauren muss gekündigt werden, lautete der Tenor der beißenden Fan-Kritik. Dabei hatte Lauren versucht, mit der Kollektion den Zeitgeist zu treffen – ökologisch und nachhaltig soll die Kleidung sein, nur das große Thema Diversity vergaß das Unternehmen.
Andere Unternehmen verkniffen sich Häme über die Konkurrenz, wohlwissend, dass auch auf sie leicht die Attacken in den sozialen Netzen herabrollen können. Die italienische Designlegende Armani etwa bekam von einigen Zuschauern den Titel des hässlichsten Outfits der Eröffnungszeremonie, über die Bekleidung der italienischen Sportler spottete das Internet.
Deutschland blieb immerhin ein Platz in den Top 10 der hässlichsten Outfits erspart, aber für adidas war es dennoch keine einfache Zeit nach der Eröffnungszeremonie. So hatte adidas sich bei seiner Kollektion für den Einzug der deutschen Sportler im Vorfeld einen wirklichen Kopf gemacht. Unity und Diversity, Einheit und Vielfalt, wollte der Konzern mit seinen Wurzeln in Herzogenaurach abbilden und machte das über eine heterogene Kollektion mit stark unterschiedlichen Ausführungen. Ökologisch wie nie war die obendrein. Und trotzdem ergoss sich der Spott in Kübeln über adidas. Von „Geschmacklosigkeit“ schrieben Fans, doch auch Sportler waren unzufrieden. „Wer ist verantwortlich für dieses Outfit?“; lästerte Basketball-Nationalspieler Maodo Lo Adidas verteidigte sich und tatsächlich gab es im Vorfeld bei der Präsentation der Kleidung sogar Lob – aber das war schnell wieder vergessen nach der vielen Kritik.
Die Sticheleien und Boshaftigkeiten von der Eröffnungsfeier blieben aber quasi ein Sturm im Wasserglas zu dem, was rund um den Beachhandball passierte.
Die Damen-Mannschaft Norwegens verstieß gegen die Auflage, in knappen Bikinishorts anzutreten und spielte das Spiel um Platz drei in Radlerhosen. Schon vor Olympia hatten die Norwegerinnen beantragt, nicht mehr in den knappen Shorts spielen zu müssen. Das wurde abgelehnt, weshalb die Frauen in der Erwartung einer Strafe mit Radlerhosen in das Spiel gingen. Als sie die Bestrafung öffentlich machten, empörten sich weltweit Menschen über den Sexismus im Beachhandball. US-Superstar Pink bot sich sogar an, die 1500 Euro Geldstrafe zu übernehmen.
Pink musste dann allerdings doch nicht einspringen, der norwegische Verband zahlt das Geld und lässt es einem Projekt zur Gleichstellung im Sport zukommen.
Ob Deutschlands Turnerinnen wohl auch eine ähnliche Reaktion ausgelöst hätten, wenn sie nur besser geturnt hätten? Die Frauen trugen statt der üblichen knappen Höschen und Oberteile lange Outfits. Deutschlands beste Turnerin Elisabeth Seitz sagte, „die Botschaft soll sein: Jeder soll tragen, was er will, je nach Lust und Laune.“ So hatte es ihre Teamkollegin Sarah Voss auch schon bei der Europameisterschaft gehalten und so für Aufsehen gesorgt.
Unter den deutschen Konkurrentinnen sorgte das für Anerkennung. Der wegen psychischer Probleme aus dem Team-Wettbewerb vorzeitig ausgestiegene US-Superstar Simone Biles sagte zu ihren Kolleginnen aus Deutschland, „ich stehe zu ihrer Entscheidung, dass sie tragen, was sie wollen und worauf sie Lust haben“. Vielleicht hätte die deutsche Entscheidung auch in anderen Ländern noch für Interesse gesorgt jenseits des Turnens – aber die deutsche Mannschaft schied schon in der Qualifikation aus, ihre politische Entscheidung bekam damit fast kein Publikum.
Damit blieben die deutschen Turnerinnen weit hinter US-Sprintlegende Allyson Felix zurück, was die öffentliche Aufmerksamkeit angeht. Allyson Felix läuft in Tokio in Schuhen, die sie selbst auf den Markt gebracht hat. Das ist nicht irgendeine gute Geldidee eines Superstars, sondern der Höhepunkt eines knallharten Kampfs mit ihrem langjährigen Partner Nike. Die Manager des US-Konzerns wollten Felix nämlich 70 Prozent weniger Sponsorengelder wegen ihrer Schwangerschaft zahlen. Die erfolgreichste Leichtathletin der Olympischen Spiele machte dies skandalöse Verhalten mit anderen Sportlerinnen öffentlich. Felix erreichte damit Zweierlei – sie kann nun gute Geschäfte mit ihrer Botschaft „Know your place“ verbundenen eigenen Marke machen. Und Nike hat sein skandalöses Verhalten inzwischen geändert.
Bei so viel Spott, Sexismus und politischen Debatten fragen wir uns allerdings etwas ganz anderes – wo sind die Stilikonen? Die Kleidungsstücke, die auch in zwanzig Jahren im Kopf bleiben, die eine Bereicherung für das Auge sind? Vielleicht gelang ja einem bisher eher wenig bekannten Designer aus Brooklyn dieses Kunststück. Telfar stattete nicht eine der großen Nationen aus, sondern Liberia. Der als Sohn liberischer Eltern in den USA geborene Designer Telfar Clemens entwickelte für das zu den ärmsten Ländern der Welt zählende Liberia eine der spektakulärsten Kollektionen überhaupt.
Ob Telfar das Zeug dafür hat, auch noch in zehn, zwanzig oder gar fünfzig Jahren Gesprächsthema zu sein? Das entscheidet ihr am einfachsten selbst nach dem eigenen Geschmackempfinden. Eine schöne Übersicht der eindrucksvollsten Kollektionen der vergangenen Jahrzehnte Olympische Spiele findet ihr hier. Vielleicht wird die Klickstrecke ja irgendwann um Telfar erweitert.
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