Es wurde direkt klar, dass diese Saison nicht mit neuen, hochmodernen Entwicklungen glänzen wird. Stattdessen zeigte sich, dass die Branche das Thema Nachhaltigkeit beherzigt hat, da alle Produkte in irgendeiner Form auf nachhaltige Inhaltsstoffe oder Verfahren setzen.
„Das ist etwas Positives: Konsument*innen fordern weiterhin nachhaltige Lösungen; das ist ein sehr positiver Punkt. Alle Produkte haben einen Bezug zur Nachhaltigkeit, das ist jetzt eine Kultur“, sagt Braz Costa, General Manager von CITEVE.
Nachhaltige Prozesse sind in der gesamten Lieferkette zu finden: Von den Fasern über die Stoffe bis hin zu den Veredelungen wurde jedes Produkt mit einer nachhaltigen Quelle in Verbindung gebracht. Das reicht hin von Unternehmen, die erneuerbare Energien und wassersparende Prozesse nutzen, bis hin zu innovativen Fasern, die eine neue Richtung einschlagen, da neue synthetische Stoffe durch recycelte oder biologische Alternativen aufgewertet wurden. Bei Membranen und Beschichtungen setzte sich der Trend zur saubereren Chemie fort, wobei PFAS- und PFC-freie Materialien weiterhin den erforderlichen Schutz bieten.
Es wurden Abfälle verwertet, nicht nur aus dem Textilbereich, sondern auch beim Soft Equipment, mit Stoffabfällen, die in Vliesstoffe mit einem Laminat getaucht wurden. Zudem wurden Abfallprodukte aus der Lebensmittelindustrie verwendet, zum Beispiel aus Äpfeln, Bananen, Ananas oder Kirschen. Sie alle bieten eine einzigartige Performance, etwa bei der Geruchsbekämpfung.
Naturfasern, sowohl etablierte (vor allem Baumwolle) als auch neue Highlights, unterstrichen die Leistungsstärke, die auch sie in einem Markt bieten können, in dem die Funktion über Mode steht.
Das Jurymeeting ist die ideale Gelegenheit, um über Entwicklungen im Textilbereich zu diskutieren – ob im Zusammenhang mit ISPO Textrends oder ganz allgemein. Dies taten Sophie Bramel – Technical Editor, World Sports Activewear (WSA), Braz Costa – General Manager von CITEVE, Louisa Smith – Textile Trend Consultant, Giusy Bettoni – CEO und Gründer, CLASS, Kutay Saritosun – Director of Brand Services and Partnerships Bluesign, Thomas Håkansson – Creative Director und Senior Designer (siehe Titelbild, v. l.).
„Ich habe das Gefühl, dass sich die Innovation in den letzten Jahren verlangsamt hat, und die Auswahl der Stoffe in dieser Saison bestätigt das meiner Meinung nach. Innovation ist nicht der Höhepunkt, aber es gibt einige sehr schöne Stoffe. Sie sehen toll aus, und sie sind alle nachhaltig. Man kann sagen, dass das mittlerweile zum Standard geworden ist. Natürlich wird das auch erwartet, aber es ist gut zu sehen, dass es auch wirklich so ist“, sagt Sophie Bramel, Technische Redakteurin bei World Sports Activewear (WSA).
„Ich glaube, dass wir in dieser Saison weiter nach echten Innovationen suchen müssen. Sie sind da, aber man muss sie suchen. Es ist eine Saison, die mehr auf Sicherheit setzt, mit Klassikern, die beruhigend wirken und funktionieren, und die jetzt aus recyceltem Nylon und recyceltem Polyester hergestellt werden.“
Bei den synthetischen Stoffen steht Polyester im Mittelpunkt, mit einer breiten Palette von Variationen aus recyceltem Material. Die Verwendung dieser robusten Faser ist vor allem unter Betrachtung der Kosten ein Zeichen der Zeit. Polyester ist wie ein Chamäleon: Es kann seine Eigenschaften und seine Performance ändern und stammt aus einer Vielzahl von Quellen. Bald wird es aber nicht mehr von recycelten Plastikflaschen kommen können, da diese nicht mehr als nachhaltiger Rohstoff gelten. Polyester wird dann wieder neu erfunden werden, neue Funktionen haben und auf biobasierte Rohstoffe setzen. Es wird eine gewaltige Innovation nötig sein, um diese Kunstfaser von der Spitzenposition zu verdrängen.
Mono-Gewebe bieten jetzt mechanische Dehnbarkeit und sind die einfachere Lösung im Hinblick auf die Kreislaufwirtschaft. Neue Ingredients wie Apfel-, Bananen- und Kirschfasern sorgen für einen Hauch von Exotik, während Baumwolle mit neuem Elan versucht, im Performance-Bereich mehr Boden zu gewinnen – durchweg gute Stoffe. Die Umstellung von konventionellen auf recycelte und biologische Inhaltsstoffe für synthetische Stoffe haben zu dem konstanten Leistungsniveau beigetragen, das unsere Branche benötigt.
Der allgemeine Konsens des Jurymeetings ist, dass die Textilindustrie in ihrem Angebot etwas stagniert hat. Damit ist nicht die Qualität der Stoffe gemeint, sondern dass der Fokus nicht auf Innovation lag. Das liegt vor allem an der Konzentration der Brands auf die Gewinnspannen, da sie jede Saison wieder unter Druck geraten.
„Was die Innovation angeht, so geht es vor allem um das Engagement der Marken für diese Materialien, damit sie wirklich kommerziell sein können, wenn man sie unterstützt. Das ist es, woran es mangelt. Das könnte der Grund sein, warum wir weniger Innovationen haben, denn diese Unternehmen werden nicht so stark unterstützt, wie sie es bräuchte, damit sie sich vergrößern und kommerziell tätig werden können. Hoffentlich werden wir in den nächsten Jahren mehr Neues sehen“, sagt Kutay Saritosun, Director of Brand Services and Partnerships Bluesign.
Wo ist also die Innovation? Sie ist da, aber man muss tief eintauchen, um zu sehen, wo sie stattgefunden hat. Sie liegt nicht in neuen Fasern, sondern in der nächsten Stufe des Spinnens, in neuen, leichteren Stoffen und in der sauberen Chemie, die immer mehr schädliche Chemikalien ersetzt und die negativen Auswirkungen auf die Umwelt reduziert.
Das Problem ist, wie bereits beschrieben, die fehlende Unterstützung durch die Marken. Dies verdeutlicht der jüngste Konkurs von Renewcell, dem schwedischen Anbieter der weltweit ersten Textile-to-Textile-Verarbeitung, der nach einem Jahr Geschäftstätigkeit Konkurs anmeldete. Dafür kann es noch mehrere Gründe geben: die Belastung der Marken durch ihre Gewinnspanne, das zu schnelle Wachstum von Renewcell und vieles mehr. Angesichts der Tatsache, dass Textile-to-Textile-Recycling als Herzstück der Kreislaufwirtschaft gepriesen wird, war der Konkurs von Renewcell jedoch ein Schlag für die Branche weltweit.
„Wenn wir über eine neue Generation von Materialien sprechen, müssen wir zuerst über eine neue Generation von Unternehmen sprechen. Ich denke, dass wir uns auf ein neues Format zubewegen, bei dem die Werte in Richtung Ethik und Fußabdruck gehen. Diese müssen wir auch hervorheben, da man sie physisch nicht sieht, aber die Auswirkungen auf Wasser sowie die eingesetzten Chemikalien geringer sind. Es gibt die positiven Beispiele, und wir müssen sie erkennen“, sagt Giusy Bettoni, CEO und Gründer von CLASS.
Forschung und Entwicklung haben jedoch ihren Preis, und die Marken müssen eine gewisse Verantwortung übernehmen, indem sie Innovationen unterstützen und ihre Verbraucher*innen darüber aufklären, warum ein Produkt einen höheren Preis hat.
„Es geht nicht nur um Gewinnspannen, sondern auch darum, dass wir eine neue Art der Kommunikation einführen. Das bedeutet nicht, dass wir alles auf einer halben Seite beschreiben müssen. Aber es gibt Möglichkeiten zu erklären, warum dieses Kleidungsstück anders ist als andere, wenn nicht sogar teurer, und warum es andere Werte hat, die die Verbraucher*innen zum Kauf motivieren. Leider sind diese Werte beim Tragen eines nachhaltigen Kleidungsstücks manchmal nicht offensichtlich. Wir sind so vernetzt, dass wir die Dinge adressieren müssen, um sie zu verstehen – das ist eine Herausforderung.“
Fazit der Jury: Es gibt innovative, neue Entwicklungen und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie sich durchsetzen. Traditionell ist die Frühjahr/Sommer-Saison weniger groß als die Herbst/Winter-Saison, und das Interesse an der nächsten Saison beginnt bereits, in der Hoffnung, dass die Branche auf allen Ebenen an einem Strang zieht, um neue Ideen zu verwirklichen.
„Was die Nachhaltigkeit betrifft, so befinden wir uns in einer schwierigen Lage: Es gibt Herausforderungen und Möglichkeiten, aber es gibt keine Ergebnisse. Die Innovation ist da, aber sie muss sich ausbreiten. Skalierung, Umsetzung und Technologietransfer brauchen Zeit“, sagt Braz Costa und ergänzt, dass die Einzelhändler sich anpassen müssten. „Wir brauchen eine weitere Möglichkeit, um wirtschaftlich arbeiten zu können, und ohne Bewegung auf beiden Seiten ist das nicht möglich.“
Der Kreativdirektor und Senior Designer Thomas Håkansson bestätigte die Einschätzung, dass es Innovation gibt. „Ich habe den Eindruck, dass sie da ist, wenn man sich damit beschäftigt, und ich denke, es ist wichtig, dass wir ihr Zeit geben. Die Investor*innen sind gezwungen zu sagen, dass wir bereits da sind, dabei ist eine längerfristige Perspektive notwendig.“
Die Textilindustrie ist eine der ältesten Industrien der Welt und reicht Tausende von Jahren zurück. Selbst wenn wir sie bis zur Automatisierung zurückverfolgen, sprechen wir von 200 Jahren. Veränderungen brauchen eben Zeit. Dieses Jurymeeting hat bewiesen, dass die Branche in der Lage ist, sich zu verändern, denn die Juror*innen haben festgestellt, dass Nachhaltigkeit endlich in allen Produkten zu finden ist.
Sophie Bramel erinnert uns alle daran, wie lange es dauern kann, eine neue Faser zu finden und auf den Markt zu bringen. „Die neueste Faser, die wir heute in industriellem Maßstab verwenden, ist Lyocell – die Forschung begann in den späten 1970er-Jahren. Zwei große Unternehmen, Lenzing und Courtaulds, haben daran gearbeitet, diese Faser auf den Markt zu bringen – es hat 30 Jahre gedauert!“
Welche Brands als Gewinner aus diesem Jurymeeting hervorgegangen sind? Das erfahrt ihr in München auf der OutDoor by ISPO vom 3. bis zum 5. Juni 2024 beim ISPO Textrends Forum.
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