Wie hält man ein Traditionsunternehmen wie Deuter mit schmaler Produktpalette und klarem Fachhandelsfokus in Zeiten der Digitalisierung auf Kurs? Wie behauptet man sich gegen Player wie Amazon, die Deuter ausdrücklich nicht beliefern will?
Wir haben Martin Riebel gefragt. Er ist seit 2013 Geschäftsführer von Deuter und der Schwan Stabilo Outdoor Gruppe, zu der das Unternehmen seit 2006 gehört.
ISPO.com: Herr Riebel, gerade hat der Europäische Gerichtshof über die Zulässigkeit des Weiterverkaufs über Plattformen und Marktplätze entschieden – ein Streit, den unter anderem Deuter vor Jahren mit initiiert hat. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage?
Martin Riebel: Das Thema ist sehr komplex. Selektive Vertriebsvereinbarungen sind sehr unterschiedlich – einmal zwischen den Branchen und natürlich auch untereinander. Hier können wir nur unsere eigene Situation beurteilen, wo uns das Oberlandesgericht Frankfurt im Rechtsstreit gegen Cortex Power in zweiter Instanz recht gab, den Verkauf über die Amazon Plattform gemäß unserer selektiven Vertriebsvereinbarung zu unterbinden. Wir wollen den Verkauf über Amazon nach wie vor nicht und haben das auch in unseren Verträgen geregelt.
Verkaufen Sie an reine Online-Händler?
Nein, wir verkaufen nicht an reine Online-Händler. Rucksäcke sind beratungsintensive Produkte. Deshalb haben wir eine selektive Vertriebsstrategie, welche es dem Endverbraucher erlaubt, das Produkt über unsere stationären Händler anpassen zu lassen, aber auch online über diese zu bestellen.
Was halten Sie von den neuen Marktplätzen, wie sie inzwischen auch im Handel neu entstehen? Wie sieht Ihre Online-Strategie aus?
Wenn es irgendwann einmal so weit ist, dass wir unsere Produkte auf Marktplätze guter Händler stellen, habe ich damit kein Problem. Es geht dabei ja darum, dem Kunden ein größeres Angebot bieten zu können, mehr in die Tiefe zu gehen. Wir wollen bloß keinen Basar wie zum Beispiel Amazon.
Wir selbst haben die Strategie gewählt, dass wir keinen eigenen Webshop betreiben. Unser Shop läuft über unseren Partner Commerce Connector , das heißt, dass alle Produkte in unserem Shop über ausgewählte Händler verkauft werden. Das läuft sehr gut, und wir haben hier überproportionale Steigerungsraten. Aber: Das Geschäft macht der Händler – sonst würden wir uns widersprechen. Wir sehen den Handel nach wie vor als den verlängerten Arm zum Kunden.
Welche Herausforderungen stehen derzeit an vorderster Stelle für Handel und Industrie? Wie hat sich der Handel verändert in jüngster Zeit?
Beide – Handel und Industrie – müssen sich klar profilieren. Bezogen auf den noch recht jungen Outdoor-Markt ist das durchaus eine Herausforderung, weil sich heute immer mehr vermischt, auch Sport und Mode. Wir denken aber, Innovation ist der Schlüssel. Wir wollen bei jedem Produkt einen klaren Anwendungsbereich im Sport sehen, und das bedeutet, dass die Funktion immer im Vordergrund steht.
Wenn unsere Rucksäcke dann auch von Studenten in der Stadt getragen werden, verhindern wir das nicht. Aber wir machen keine Retro-Kollektionen mit veralteten Tragesystemen, wie sie derzeit in der Mode gefragt sind, obwohl wir das mit unserer Historie leicht könnten.
Wir gehen nicht den opportunistischen Weg und müssen das als Familienbetrieb auch nicht. Wir sind nicht getrieben von unseren Quartalsumsätzen. Grundsätzlich glaube ich stark an die Zukunft von Outdoor: Mit unserer Bürositzerei und den wachsenden Städten werden Outdoor und Draußensein immer wichtiger.
Mit welchen Veränderungen rechnen Sie in den nächsten Jahren?
Im Vergleich zur einen oder anderen sehr großen Sportmarke sehen wir den Handel auch in Zukunft als unseren Weg zum Endverbraucher. Ich habe meine Diplomarbeit 1988 geschrieben und danach hätte es ab 1995 den Fachhandel nicht mehr geben dürfen. Das heißt, alles verändert sich gar nicht so stark wie es derzeit gehypt wird. Dennoch wird sich der Handel weiterentwickeln, und Probleme bereiten ihm nicht nur die Digitalisierung sondern zum Beispiel auch die Nachfolge.
Aber das digitale Element wird stark zunehmen, und hier investiert der Handel gerade massiv. Vor allem unsere großen Partner werden immer besser. Es wird hier allerdings zu einer massiven Konsolidierung auf die Schnellsten und Besten zulaufen. Die Zukunft ist die nahtlose Kombination aus Erlebnis und guter Beratung auf der Fläche, Information und einfachem Zugang über das Internet und einem hohen, logistischen Servicegrad. Darauf müssen wir uns als Marke einstellen.
Wie wirkt sich die digitale Transformation auf Ihr Business aus?
Wir investieren bereits einen großen Teil unseres Marketingbudgets digital. Wir bieten dem Endverbraucher in Kooperation mit ausgewählten Händlern über Commerce Connector das digitale Einkaufen über unsere Website, und wir bieten unseren Händlern über unsere B2B-Plattform eine Bestellmöglichkeit rund um die Uhr.
Welche Herausforderungen sehen Sie in Bezug auf die Digitalisierung?
Die Digitalisierung stellt Handel und Industrie gleichermaßen vor Herausforderungen. Sicher wird es Händler geben, die Probleme haben, wenn sie sich nicht weiter entwickeln. Natürlich ist der Verkauf über das Internet nicht mehr wegzudenken, was aber nicht bedeutet, dass der stationäre Handel dadurch bedroht ist.
Der Endverbraucher wird auch in Zukunft das Einkaufserlebnis auf den Flächen suchen, sich gerne beraten lassen – aber eben auch zunehmend mobil bestellen. Das heißt, die Digitalisierung bietet auch Chancen. Gerade durch die sozialen Medien kann heute der Endverbraucher wesentlich direkter angesprochen werden. Wir experimentieren dort sehr viel und haben ein eigenes Online-Marketing-Team aufgebaut.
Der Endverbraucher ist heute durch das Internet wesentlich besser vorinformiert, und das stellt sowohl den Verkäufer auf der Fläche als auch den Verkauf über das Internet vor neue Herausforderungen. Deshalb nehmen wir unseren Schulungsauftrag so ernst wie nie – stationär und digital.
Betrifft die Digitalisierung auch die Produktion?
Wir tauschen mit unserer Produktion schon lange Daten aus, in Zukunft arbeiten wir jedoch auf einer gemeinsamen Plattform und investieren stark in eine noch bessere Vernetzung. Der Informationsaustausch wird immer digitaler bis hin zum 3D-Design. Dabei geht es letztlich auch darum, effizienter zu werden.
Wir haben die besondere Situation, dass wir seit über 20 Jahren einen Zulieferer für unsere Rucksäcke haben. Der sitzt in Vietnam und arbeitet exklusiv nur für uns. Die Lohnsteigerung in Vietnam beträgt aber etwa 12 bis 13 Prozent im Jahr, und diese Kosten können wir nicht weitergeben sondern müssen versuchen, sie durch mehr Effizienz aufzufangen.
Um das zu erreichen haben wir mit unserem Produktionsbetrieb in Vietnam und dem Fraunhofer Institut ein Projekt gestartet. Gerade wird eine neue Produktionshalle gebaut.
Wie nahe sind Sie am Kunden – integrieren Sie Feedback Ihrer Kunden in die Produktentwicklung?
Einer unserer wichtigsten Grundsätze ist es, innerhalb der Abteilung für Produktentwicklung begeisterte Outdoorsportlerinnen und -sportler zu haben, die ihre persönlichen Erfahrungen innerhalb der Community direkt ins Produkt miteinfließen lassen.
Zusätzlich arbeiten wir sehr eng mit Bergführern und Athleten zusammen, die regelmäßig im Haus sind, um Verbesserungsvorschläge zu machen. Darüber hinaus nehmen wir auch Rückmeldungen über Einkäufer und Verkäufer aus dem Fachhandel sehr ernst. Und wir erhalten auch direktes Feedback von Endverbrauchern. Aus diesem Mix an Informationen versuchen wir uns ständig weiter zu entwickeln.
Welche Veränderungen erwarten Sie in den nächsten Jahren in der Industrie?
Es kommt auf den Bereich an. Im Gegensatz zum klassischen Sportmarkt mit dominierenden, großen Playern gibt es im Outdoor-Bereich noch viele kleine Marken. Allein in Italien haben wir mehr als 200 Outdoor-Marken, die sich aber nicht mehr wesentlich unterscheiden. Das heißt, die Industrie muss in Zukunft verstärkt auf sinnvolle Produktinnovationen achten, auf Serviceinnovationen und auf Lieferfähigkeit. Es wird ohne Zweifel eine Konsolidierung geben, womöglich noch stärker als im Handel.
Sie haben insgesamt nur zwei Zulieferer. Einen für Rucksäcke in Vietnam, der andere produziert die Schlafsäcke und sitzt in China. Das ist ungewöhnlich! Geht es dabei auch um Nachhaltigkeit?
Bei Nachhaltigkeit geht es ja um den Dreiklang zwischen Ökonomie, Ökologie und sozialer Nachhaltigkeit. Hier spielen wir seit Jahren in der Champions League, wenn es um die sozialen Standards unserer Produktion in Vietnam geht. Wir sind seit vielen Jahren Mitglied der Fair Wear Foundation, seit dem ersten Audit in der höchsten Kategorie „Leader Status“ und erhielten den „Best Practice Award“ für die praktische Umsetzung der Reduzierung von Überstunden.
Daneben sind wir Bluesign Partner und Mitglied im deutschen Textilbündnis für Nachhaltigkeit. Klar ist, dass man bei dieser Lieferkette auf gegenseitiges Vertrauen angewiesen ist. Wenn einer Fehler macht, spürt das der andere. Wir haben deshalb auch keine Preisverhandlungen in dem Sinne – wir müssen uns immer irgendwie einigen. Wie in einer guten Ehe.
Was erwarten Sie von den Messen hinsichtlich Digitalisierung?
Gute Frage. Gerade die ISPO Munich ist ja sehr aktiv, dem Handel und der Industrie ein Angebot zu stricken, welches weit über die Zurverfügungstellung von Messe-Quadratmetern hinausgeht. Diese digitalen Anstrengungen werden auch notwendig sein, damit die Messen auch in Zukunft eines sind: eine internationale Kommunikationsplattform zum sinnvollen Dialog zwischen Industrie, Handel und zunehmend auch Endverbrauchern.
Wie läuft die aktuelle Saison bisher? Wie ist das Feedback Ihrer Kunden?
Wir sind mit dem aktuellen Saisonverlauf sehr zufrieden. Die Frühjahr-Sommer 18 Kollektion steht kurz vor der Auslieferung und wurde vom Handel sehr gut vorgeordert – vor allem international mit einem gut zweistelligen Plus. Wir haben an neuen Farbkonzepten gearbeitet – weg von den typisch deutschen Blockdesigns hin zu mehr monochromen Farbstellungen.
Auch die Kommunikation ist emotionaler geworden, und all das hat uns besonders in den USA und den skandinavischen Ländern sehr gutes Feedback eingebracht. Darauf sind wir stolz. Was den aktuellen Rausverkauf im Handel angeht, liegen wir bei plus-minus Null. Wir erwarten uns im nächsten Jahr mehr Schub, vorangetrieben vor allem durch Innovationen im Produkt wie dem noch komfortableren Futura Sensic Tragesystem.
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