ISPO.com präsentiert exklusiv die Rede von Roland Auschel auf dem Symposium von Adidas und ISPO zum Thema „Digitalisierung als Wachstumsimpuls für Industrie und Handel“.
Die Rede von Roland Auschel im Wortlaut:
Meine Damen und Herren,
haben Sie einmal darüber nachgedacht, was „früher“ für Sie bedeutet? Ein Zeitraum von 10, 50 oder 100 Jahren?
Ihre Antwort ist natürlich abhängig von persönlichen Erlebnissen, aber im Zeitalter der digitalen Revolution bedeutet „früher“ eigentlich gestern. Dabei glauben wir, dass wir mit dem Internet in einer sagenhaften Modernität leben.
Tatsächlich aber steckt das Internet noch in seinen Kinderschuhen. Unsere Fantasie reicht nicht aus, um die digitale Wirklichkeit der Zukunft zu erfassen. Das Wörtchen „bahnbrechend“ wirkt vor diesem Hintergrund etwas abgedroschen, wir müssen für diese Entwicklung ein neues Wort erfinden.
Für uns, für adidas, steht jedenfalls fest, dass alles, was digitalisiert werden kann, auch digitalisiert wird. Da bleibt nichts zurück, aber alles kommt auf uns zu – und zwar weit hinaus über unser bisheriges Denkspektrum von Smartphones über Big Data bis zur Cloud-Infrastruktur.
Ich verspreche Ihnen, dass wir jede neue Technologie als Chance begreifen, um mit den Kunden noch besser zu kommunizieren und deren Wünschen noch schneller gerecht zu werden.
„adidas muss alle Trends beherrschen“
Mit unserem E-Commerce Business sind wir schon jetzt näher am Kunden dran. Wir kennen ihn, sein Kaufverhalten, sein Budget und seinen Kauf- Rhythmus. Es ist ja völlig klar, dass wir mit diesen Daten unsere kurzfristige Bedarfs- und Produktionsplanung absichern.
Entscheidend ist aber, dass wir durch die digitale Vernetzung selbst kleinste Veränderungen im Stimmungsbild der jungen Konsumenten rasch erkennen und darauf reagieren. Unsere Kern-Zielgruppe der 14- bis 19-Jährigen erneuert sich alle fünf Jahre. In diesen fünf Jahren müssen wir alle Trends beherrschen und gleichzeitig die nachwachsende Kernzielgruppe verstehen.
Wir müssen dort sein, wo diese Menschen sich vernetzen, Freunde finden, konsumieren, sich unterhalten und mitteilen. Hier kommunizieren wir mit ihnen und erwecken unsere Kampagnen zum Leben. Hier zeigen wir, was Sport bedeutet und wie Sport wirkt, hier erleben die jungen Menschen die adidas-Welt aus verschiedenen Kulturen und Lifestyles.
„adidas dort positionieren, wo die Marke wirkt“
Vor 15 Jahren hatte kaum ein Jugendlicher ein Handy. Vor zehn Jahren begannen immer mehr Jugendliche Handys zu haben. Seit fünf Jahren hatte jeder eins. Heute sind Handys out. 85% aller 12-jährigen nutzen ein Smartphone. Snapchat und Instagram laufen Facebook den Rang ab, als gäbe es diese Plattform schon ewig. Dabei gibt es Facebook in Europa erst seit 2006.
Nun höre ich immer wieder: „adidas mit seinen vielen jungen Käufern, die hocken doch viel lieber vor dem Computer als ins Geschäft zu gehen.“ Wenn es so ist, dann ist es so. Unser Marketing hat nicht die Aufgabe, einen Vertriebsweg zu präferieren, sondern die Marke dort zu positionieren, wo sie die bestmögliche Wirkung entfaltet.
Es geht nicht darum, den lokalen Einzelhandel durch das Smartphone zu ersetzen. Es ist auch falsch, dass das Schaufenster gegen den Computer kämpft. Wir managen Wirklichkeiten, keine Vorlieben.
Viele Einzelhandelgeschäfte als Basis
Egal, wo und wie unsere Kunden einkaufen, immer und überall wollen wir sie begeistern. Wir haben mehr Einzelhandelsgeschäfte als jeder Mitbewerber, wir sind ein Marktführer im E-Commerce und wir verwirklichen sogar Franchising- Modelle in anspruchsvollen Märkten wie China oder Lateinamerika.
Mit mehr als 2700 eigenen Einzelhandelsgeschäften (in Deutschland 12 Concept Stores inkl. Running Store und neuer OCS in Berlin sowie 12 Outlet Stores), über 11.000 Mono Branded Franchise Stores (in Deutschland 13), über 116.000 Geschäften unserer Großhandelspartner und rund 50 eigenen E-Commerce-Plattformen verfügen wir innerhalb unserer Branche über ein einmaliges Netzwerk an Kontaktpunkten für unsere Kunden.
Diese Kunden erleben adidas also über alle Vertriebskanäle hinweg und zwar mit einem einheitlichen Auftritt. adidas wird nicht geteilt oder geviertelt, adidas behält ein Gesicht für unsere Kunden.
Pilotprojekt mit Zalando in Berlin
Wir wollen unseren Kunden, unabhängig von Ort und Zeit, das beste Markenerlebnis bieten. Sie wollen das aktuellste und neueste Produkt – und zwar sofort. Wir können diesem Wunsch gerecht werden, indem wir ihnen die Produkte direkt aus unseren Geschäften liefern. Wir haben uns daher sehr über das Pilotprojekt mit Zalando in Berlin gefreut und sind gespannt, wie wir diese Erfahrungen auch in anderen Geschäftsbereichen anwenden können.
Das Internet bringt einen neuen Kundentyp hervor, ich nenne ihn mal den rasanten Konsumenten, der nichts verpassen will: Die richtige Marke mit der richtigen Idee zum richtigen Preis und alles natürlich sofort verfügbar. Ständig muss dieser Kunde bei Laune gehalten werden.
Hier darf sich der Handel nicht beirren lassen, sondern muss stark bleiben. Oder anders ausgedrückt: Weil die digitalen Märkte so stark sind, sollte sich ein starker Handel mit starken Marken in Szene setzen. Jeder Kompromiss zerstört zuerst das Image des Händlers, und dann auch noch seinen Gewinn.
Rückläufiger Umsatz im stationären Handel
Der Markt von Sportschuhen und -Textilien wächst in Deutschland immer langsamer, zuletzt nur noch mit 2,5% im Jahr. Zudem findet eine starke Verlagerung zwischen den Absatzkanälen statt. In Deutschland werden heute schon über 30% in diesem Segment über com-Plattformen abgewickelt, ein Spitzenwert in Europa, der nur noch von den USA getoppt wird. Und das führt natürlich zu weiter rückläufigen Umsätzen im stationären Handel.
Vor diesem Hintergrund muss ich ständig Geschichten von leeren Geschäften und verlassenen Fußgängerzonen lesen, als würden die Menschen gerade vor einem Orkan fliehen. Aber offenbar sitzen diese Menschen zu Hause, um mit ein paar Mausklicks ihre Produkte zu bestellen.
Ich glaube das nicht, zumal eine Konsumentenbefragung der ISPO belegt, dass das traditionelle Sportfachgeschäft nach wie vor eine dominante Rolle einnimmt, und von einer Bedrohung durch den Onlinehandel nicht die Rede sein kann.
„Die Schnellen überholen die Langsamen“
Richtig ist: Die Schnellen überholen die Langsamen. Wer lamentiert oder sich wegduckt, stößt auf massive Probleme. Nur wer sich dieser Herausforderung intelligent und willensstark stellt, wird weiterhin eine erfolgreiche Rolle im Wettbewerb spielen.
Um das auch ganz deutlich zu sagen: Omni-Channel ist kein Zusatznutzen mehr, ohne Omni-Channel wird man nicht überleben. Das ist unumstößlich.
In jeder Branche gibt es Konzentrationsprozesse, davon bleibt auch der Sportfachhandel nicht verschont, nur kommt es darauf an, dass Sport in den Innenstädten, in den frequentierten Einkaufslagen, sichtbar bleibt. Es halten sich nur die Händler in bevorzugten Lagen, die mit Emotion, Originalität und permanenter Aktualität auf sich aufmerksam machen.
„adidas setzt auf neugierige Händler“
Statt passiv auf den Kunden zu warten, müssen Handel und Industrie den Kunden aktiv mit Innovationskraft begeistern. Altbackenes hat tatsächlich keine Chance mehr, und das ist auch gut so. adidas braucht ein Umfeld, das die Marke trägt.
Wir setzen auf neugierige und begeisterungsfähige Händler, die Lust auf das 21. Jahrhundert haben und bereit sind, mit uns nach vorne zu gehen.
Der Händler hat die elementare Aufgabe, den rasanten Konsumenten einzufangen – mit einer Produktpräsentation, die Maßstäbe setzt, mit Serviceleistungen wie zum Beispiel kostenfreier Rücksendung des gekauften Produktes oder einem Concierge-Service und mit digitalen Angeboten. Ja, mit digitalen Angeboten!
„Digitaler stationärer Handel ist kein Widerspruch“
Vielleicht fragen Sie sich jetzt, ob die Digitalisierung des stationären Handelns nicht ein Widerspruch in sich ist. Wie kann etwas digital sein, was stationär ist? Im 21. Jahrhundert ist diese Frage unsinnig.
Der Erfolg ergibt sich für den stationären Handel auch über die konsequente Nutzung aller digitalen Plattformen und Netzwerke. Der Point of Sale ist das, was die Kunden sehen und fühlen, das Internet ist das, was die Kunden weltweit bekommen können. Der Händler vor Ort sollte diese Welten zusammenführen.
Sollte? Ich glaube, es ist mehr ein Müssen. Der Handel hat sich in den vergangenen 100 Jahren radikal verändert, von Tante-Emma-Läden über Discountmärkte bis hin zu hochspezialisierten Fachgeschäften mit Erlebniskauf-Charakter. Es wäre sehr merkwürdig, wenn sich der Handel ausgerechnet im Zeitalter der digitalen Revolution nicht weiterentwickeln würde.
„Das Internet ist ein Existenzgut“
Das Web ist für den Handel kein Gegner, sondern ein Werkzeug, um die neue Kommunikation, die neue Mobilität und die neuen Netzwerke proaktiv für seine Kundenansprache einzusetzen. Für den Kunden von heute ist das Internet weder Luxus- noch Kulturgut, sondern ein Existenzgut. Es gehört einfach zu seinem Leben, und der Handel wird schlau genug sein, ihm sein Leben noch einfacher zu machen.
Und ja, der Handel hat hier sogar eine echte Chance, zu einem Sieger zu werden. Ganz gewiss steht er noch am Anfang mit seinem Online- Engagement, aber der Handel sollte sich aus seiner Denkfalle befreien, dass es zwischen Internet und Ladentheke keine Synergien gibt.
Der Online-Handel strotzt vor Selbstbewusstsein, die stationären Händler sollten es mit geschmeidigem Engagement und mit Gespür für gesellschaftliche Themen probieren, die Einfühlungsvermögen und Beratungskompetenz erfordern. Dies auch vor dem Hintergrund, dass eine große Erfolgs-Welle bereits jetzt auf den Handel zukommt. Ausgelöst von dem fulminanten Bewusstseinswandel in unserer Gesellschaft in puncto gesunder Lebenstil.
Der stationäre Handel ist geradezu dafür prädestiniert, Gesundheit, Sport und digitale Technik zusammen zu führen.
„Sportfachhändler verkauft auch Leidenschaft“
Schauen wir einmal näher hin: Sport ist ohne die digitale Technik nicht mehr denkbar. Der Sportler erfährt über einen Chip, der alle persönlichen Bewegungs- und Cardio-Daten speichert, wie er optimal trainieren muss, um seinem Ziel näher zu kommen. Auf diese Weise kann sich jeder Freizeitsportler seinen – digitalen – Profi-Trainer leisten.
Es ist nicht mehr damit getan, für die Kunden mehrere Größen heraus zu suchen und zu schauen, ob der Schuh passt: Der Sportfachhändler ist kein Schuhverkäufer, er verkauft Sport, Gesundheit, Kommunikation und Leidenschaft.
Handel und Industrie müssen zusammenrücken, um die Komplexität der Kunden-Erwartungen zu beherrschen. Wir kommen nur dann in eine gemeinsame Vorwärtsbewegung, wenn wir relevantes Wissen miteinander teilen. So müssen Daten im digitalen Zeitalter über beispielsweise den Abverkauf unserer Produkte selbstverständlich ausgetauscht werden.
Sie haben das schon 1000 Mal gehört, aber es bleibt richtig, dass außergewöhnliche Situationen nur mit Verständnis für das große gemeinsame Ziel gemeistert werden können.
„Wollen Konzerngewinn jährlich steigern“
Ich sage Ihnen klipp und klar, wohin wir wollen: Wir wollen unsere Marken noch begehrlicher machen und wir wollen mit unseren Konsumenten, Sportlern, Partnern und nicht zuletzt dem Handel noch effizienter zusammenarbeiten.
Und ja, natürlich wollen wir unseren Konzerngewinn bis zum Jahre 2020 jährlich steigern. Um diese Ziele zu erreichen, konzentrieren wir uns in unserem strategischen Geschäftsplan „Creating the New“ auf die Faktoren „Städte“, „Schnelligkeit“ und „Open Source“.
„Mega-Key-Cities machen die Trends“
Städte! Warum Städte? Meine These lautet zunächst einmal, dass in einer digitalen Welt jeder Ort gleich relevant für den Konsumenten ist. Der Standort spielt also in einer digitalen Welt eine viel kleinere Rolle als in der Vergangenheit.
Wir können deshalb auch von Deutschland aus den globalen Wettbewerb gewinnen – und in den letzten Jahren haben wir uns ja nicht so schlecht geschlagen. adidas ist in Deutschland mit einem Marktanteil von 19% deutlicher Marktführer vor seinem amerikanischen Mitbewerber.
Erfolgsentscheidend ist für uns allerdings die Frage, wo die Trends gemacht werden? Antwort: In den sogenannten Mega-Key-Cities. Los Angeles, New York, Rio, Paris, London, Berlin, Moskau, Shanghai und Tokio prägen den Lifestyle zukünftiger Generationen, ihren Sinn für Mode und Sport. An diesen Orten wird die Wahrnehmung von Marken geprägt. Von dort aus verbreiten sie sich in alle Welt.
„adidas muss dort sein, wo trendige Menschen sind“
Die Menschen in den Metropolen sind kreativer und mutiger, sie machen ihr Ding und sehnen sich nach Verwirklichung. adidas muss also nicht nur digital, sondern auch physisch dort sein, wo die trendigen Menschen sind.
Und adidas ist dort. Wir investieren viel in diesen Metropolen, allein in New York haben wir in den vergangenen Monaten für zwei Mega-Stores mehr als 50 Millionen Euro investiert, und wir transportieren den „New York adidas Spirit“ über unsere digitalen Plattformen in alle Welt.
Mein zweiter Punkt aus unserem strategischen Geschäftsplan lautet: Geschwindigkeit.
Der wesentliche Unterschied zwischen heute und morgen wird die Geschwindigkeit sein, mit der Trends und Innovationen von A nach B gelangen.
Vor 10 Jahren konnten wir mit einer gewissen Gelassenheit die Trends in den USA beobachten, und es dauerte dann noch gut und gerne zwei Jahre, bevor die neuen Ideen Europa erreichten. Wir hatten also recht viel Zeit, um dafür die Ware einzukaufen und den Verkauf darauf auszurichten.
Heute haben wir dafür gerade mal ein paar Wochen Zeit, bald werden es nur noch Tage sein und auch diese Zeitspanne wird sich weiter reduzieren – vielleicht auf einen Tag oder Stunden. An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass wir es ausdrücklich begrüßen, dass die Verbände mehr Verantwortung für die Kollektionen ihrer Mitglieder übernehmen, wenn das die Geschwindigkeit erhöht und die Komplexität damit abnimmt.
„Mehr Gestaltungsspielraum für Kunden“
Die eben beschriebene Beschleunigung wird durch die zunehmende Digitalisierung unserer Konsumenten ausgelöst. Wir haben darauf mit neuen, branchenverändernden Geschäftsmodellen und Technologien reagiert.
Ein gutes Beispiel in diesem Zusammenhang ist das Projekt Speedfactory.
Mit Speedfactory überdenken und hinterfragen wir, wie und für welchen Zweck Produkte hergestellt werden. Damit beginnt ein neues Zeitalter in der Entwicklung von Schuhen und Textilien – mit mehr Gestaltungsspielraum für den Kunden, einzigartigen Designmöglichkeiten und höchster Funktionalität.
Speedfactory hat das Potential, sich zum Role Model für Synergien zwischen digitaler Vernetzung und stationärem Handel zu entwickeln.
Open Source bedeutet unbegrenzte Kreativität
Ein weiteres aktuelles Beispiel ist unser Pop-Up Store „Knit for you“ in Berlin. Hier können kreative Konsumenten ihren ganz persönlichen Pullover im Laden selbst gestalten und innerhalb weniger Stunden noch vor Ort stricken lassen – der „Lieblings-Pulli to go“ sozusagen.
Solche innovativen Konzepte passen zu unserer dritten strategischen Säule „Open Source“. Wir verstehen das als eine Art „Entdeckungsreise ohne festes Ziel“, bei der man seine Kreativität möglichst frei ausleben kann. Wir laden dazu ein, mit uns unkonventionelle Wege zu bestreiten und sich mit uns auf Neuland vorzuwagen.
Wir befinden uns in einem munteren Jahrzehnt. Munter verträgt sich nicht mit Schwarz-Weiß-Denken. Wir fordern den Handel auf, sich mit dieser schnell wandelnden Welt gemeinsam mit uns auseinanderzusetzen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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