ISPO.com: Herr Capousek, Sie waren von 2005 bis 2008 Cheftrainer des chinesischen Kanu-Verbands. Wie hat sich der Sport in Ihrer Amtszeit entwickelt?
Josef Capousek: Während meiner Zeit als Trainer – und da sind sich alle in China einig – hatte die komplette Mannschaft ein sehr hohes Niveau. Sowohl die Frauen als auch Kajak und Kanadier der Männer.
Und wie ging es weiter, nachdem Sie kurz vor den olympischen Sommerspielen 2008 in Beijing recht unsanft Ihres Amtes enthoben wurden?
Nach meiner Entlassung ging das Niveau leider sehr in den Keller. Für Olympia 2016 in Rio de Janeiro konnte sich zum Beispiel im Kayak keines der Männer-Boote qualifizieren.
Erneut Trainer in China: „Es hat wieder gekribbelt"
Jetzt sind Sie zum zweiten Mal in China als Trainer tätig. Wie kam die Zusammenarbeit trotz der Probleme doch noch einmal zustande?
Das war eigentlich recht lustig. Als meine Zeit als Trainer in Italien beendet war, wollte ich erstmal für zwei Monate Urlaub in China machen – Freunde treffen, mich ein bisschen umsehen. Meine Anwesenheit in China hat sich dann aber ziemlich schnell rumgesprochen, und ich habe sofort Anfragen aus ein paar Provinzen bekommen, ob ich nicht doch wieder arbeiten will. Naja, dann hat es wieder gekribbelt, und ich konnte nicht Nein sagen. Der Verband wollte nach meiner Entlassung 2008 keine Zusammenarbeit mehr, das hätte kein gutes Bild nach außen abgegeben. Punktuell berate ich das Nationalteam zwar noch, aber es ist kein ernsthaftes Engagement.
Der Verband kann Ihnen also nichts mehr vorschreiben...
Ich arbeite direkt für die Sport-Direktion der Provinz. Ich trainiere mit meiner Mannschaft für die China Games 2017, die im Land eine sehr hohe Wertigkeit haben. Mit dem Verband habe ich so gesehen nichts mehr zu tun, wobei ich sagen muss: ich rebelliere auch nicht mehr so viel.
Sind Sie etwa ruhiger geworden?
Ein bisschen ruhiger ja, aber ich habe auch eingesehen, dass der Fehler 2008 auf beiden Seiten lag. Ich muss zugeben, dass ich die chinesische Mentalität damals nicht verstanden habe. Ich wollte mit dem Kopf durch die Wand – und das hat nicht funktioniert. Ich habe eine Sache zu spät begriffen: Um Land und Leute gut zu verstehen, muss man die Geschichte des Landes kennen. Mit den Sportlern kam ich immer exzellent klar, aber mit den Funktionären lief es leider nicht so gut.
Wie würden Sie nach all den Jahren China-Erfahrung die Wertigkeit des Kanu-Sports im Land einschätzen?
Ich habe immer betont, dass China nicht nur durch die Population sondern auch durch seine Möglichkeiten enormes Potenzial hat. Damit meine ich nicht nur Kanu, sondern den gesamten Sport. Das erste Problem ist aber, dass in China alles immer schon möglichst gestern passiert sein muss. Geduld ist oft ein Fremdwort, aber genau das braucht der Leistungssport. Das zweite Problem ist die mangelhafte Trainerausbildung, wodurch keine langfristige Struktur aufgebaut werden kann.
Wie kann die Trainersituation verbessert werden?
Ich arbeite hier auch eng mit der Universität Wuhan zusammen, bei der ich eine Ehrenprofessur habe und Vorträge zur Trainerausbildung halte. So versuche ich meinen Beitrag zu leisten.
So soll die Leistungssteigerung beim Kanu-Sport in China klappen
Tischtennis ist in China zu einem Volkssport geworden, gerade auch weil das Land viele Medaillen bei Olympia geholt hat. Ist so ein Transfer vom Leistungs- zum Breitensport auch bei Kanu möglich?
Ein Blick auf die erfolgreichen Disziplinen hilft hier sehr. Turnen, Wasserspringen oder auch Tischtennis haben eines gemein: die Förderung beginnt schon im Kindesalter. Aber bei Kanu und Rudern fangen die Sichtungen erst bei den 16-Jährigen an. Dann werden große, kräftige Jungs ausgewählt, und in zwei Jahren müssen sie Weltmeister sein. Das kann nicht funktionieren.
Klingt nach einer Kollision von klassischer Trainingslehre und chinesischem Fünf-Jahres-Plan...
Es hat selbstverständlich etwas gedauert, bis die Sportler auf das Training angesprochen haben – und vor allem auch selbstständiger wurden. In China wird immer noch zu viel befohlen, Kommunikation findet nur einseitig statt. Aber für einen Trainer gibt es nichts Schlimmeres, als kein Feedback, zu erhalten. Nur so können aber rechtzeitig Trainingskorrekturen vorgenommen werden. Kritik von unten nach oben ist nicht erlaubt. Zumal es einigen Sportler auch einfach an der Einstellung zum Sport fehlt, da sie von den Funktionären in ihre Rolle delegiert werden. Der Sport wird dann wie ein Job in der Fabrik behandelt: morgens einstempeln, abends ausstempeln. Motivation und Liebe zum Sport? Fehlanzeige. Immerhin tut sich langsam etwas, aber es ist ein sehr mühsamer Weg.
Aber sind die Themen geringe Selbstständigkeit und Gehorsam nicht ein generell kulturelles Merkmal in China?
Definitiv, denn bis zum heutigen Tag wird den Chinesen gesagt, was sie zu tun haben. Es ist immer jemand da, der ihnen die Entscheidung abnimmt. Das setzt sich im Sport natürlich auch fort. Ich fordere sicher keine Verhältnisse wie zum Beispiel in Deutschland, aber wir müssen einen chinesischen Weg der Verbesserung finden. Überall in China bewegt sich was, die Entwicklung ist nicht zu stoppen – nur im Sport bleibt alles wie vor 30 Jahren. Manchmal denke ich, die vielen Funktionäre haben Angst vor der Veränderung, Angst davor ihren Job zu verlieren oder härter arbeiten zu müssen.
Der größte Unterscheid zwischen China und dem Westen
Sie haben ja die anfänglichen Probleme mit der chinesischen Mentalität bereits sanft angedeutet. Was sind für Sie die größten Unterschiede zwischen dem Westen und China?
Zunächst einmal hatte ich vor den olympischen Spielen nur drei Jahre Zeit und musste schnell viel verändern. Damit waren die Funktionäre nicht so glücklich. Hinzu kommt die Angst vor dem Gesichtsverlust. Ein Chinese würden Ihnen nie die Antwort geben: Das weiß ich nicht. Das heißt, sobald ich jemanden mit einer Frage in die Enge getrieben haben – selbst unabsichtlich – muss ich ihm immer sofort eine Brücke bauen, damit er aus dieser Situation wieder herauskommen kann. Das bedeutet Geduld und Zeit. Beides hatte ich nicht!
Über was haben Sie sich in Ihrer ersten Zeit als Trainer des chinesischen Kanuverbands denn am meisten gewundert?
Oh je, das waren so viele Sachen. Beim Frühstück gab es zum Beispiel immer einen sportpolitischen Vortrag, mit Appell und Ausrichten nach links und rechts. Beim Mittagessen dann das gleiche nochmal. Am Abend dann noch gemeinsam Nachrichten schauen und über Innenpolitik reden. Dies habe ich auf Minimum begrenzt und die Zeit sinnvoller für die Regeneration genutzt. Dass ich mir mit diesen Aktionen keine Freunde bei den Funktionären gemacht habe, war natürlich auch klar. Ich versuche solche Prozesse auch jetzt noch voranzutreiben, aber eben etwas langsamer und mit mehr Fingerspitzengefühl.
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