Seilriss, Sturz in eine Gletscherspalte, Lawinenabgang – das alles hat der junge Profisportler Jost Kobusch aus Borgholzhausen auf seinen Expeditionen bereits erfahren müssen.
Als 2015 ein gewaltiges Erdbeben Nepal erschüttert, befindet sich der damals 22-Jährige im Everest-Basislager und filmt das Geschehen mit seinem Smartphone.
Über YouTube verbreitet sich der Clip viral und konfrontiert den jungen Alpinisten mit Kritik. Kürzlich ist sein Buch „Ich oben allein“ im Riva-Verlag erschienen. Im Oktober 2017 schaffte Kobusch die Erstbesteigung des 7296 Meter hohen Nangpai Gosum II zwischen Nepal und China.
Im Interview mit ISPO.com spricht Kobusch über den Reiz von Solobesteigungen, den tragischen Tod von Ueli Steck, wie er als junger Bergsteiger Expeditionen finanziert und das Gefühl von Einsamkeit überlistet.
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ISPO.com: Herr Kobusch, Sie haben kürzlich Ihr erstes Buch veröffentlicht. Haben Sie als junger Bergsteiger der Welt schon so viel zu sagen?
Jost Kobusch: Es war nicht meine Absicht ein Buch zu schreiben. Nach den Vorfällen im Everest Basecamp 2015 hatte ich unzählige Interviews gegeben. Freunden, welche mir rieten ein Buch zu schreiben, entgegnete ich natürlich, dass ich noch keine nennenswerten bergsteigerischen Leistungen aufweisen kann.
Als mich eine Verlagsagentin kontaktierte, begann ich dennoch mit einigen Aufzeichnungen. Wer hätte gedacht, dass ich mit der Besteigung der Annapurna im Mai 2016 meinen ersten Achttausender besteigen würde? So kam eins zum anderen.
2015 wird das Everest Basecamp von einer Lawine erfasst und zu großen Teilen zerstört. Sie sind vor Ort, filmen das Geschehen und stellen das Video ins Netz. Ihr Clip verbreitet sich viral. Der Traum eines jeden YouTubers, oder?
Das Video ist ein Zufallsprodukt. Als ich die ersten Erschütterungen spürte, dachte ich: Wow! Ein Erdbeben. Das filme ich mal. Mir war zu diesem Zeitpunkt das Ausmaß der Katastrophe nicht klar. Später habe ich Kritik dafür geerntet.
Jost Kobusch spendete Einnahmen
Was hat man Ihnen vorgeworfen?
Dass ich mit dem Leid anderer Menschen Geld verdiene. Der Clip wurde bis heute über 23 Millionen Mal auf YouTube geklickt. Wobei ich richtigstellen möchte: Über YouTube habe ich keinerlei Einnahmen generiert, da mir während des Filmens mehrmals das Wort „Fuck“ über die Lippen kam und der Clip daher als unangemessener Inhalt gemeldet wurde.
Allerdings wurde mein Video auch von allen relevanten TV Sendern weltweit gezeigt. Über Lizenzierung hatte ich tatsächlich Einnahmen. Darüber hinaus gab es Vorwürfe, dass mein Clip dem Tourismus in Nepal schadet. Ein weiterer Vorwurf war, dass ich filme anstatt Hilfe zu leisten. Dabei rannte ich doch selbst ab einem bestimmten Zeitpunkt um mein Leben und hielt eher instinktiv, nicht mehr bewusst, an meinem Handy fest.
Das spätere Hochladen des Videos war aber eine bewusste Entscheidung.
Im Basecamp hatte es sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen, dass es ein Video gibt. Immer mehr Leute kamen zu mir, um es zu sehen. Für mich lag es nahe, den Clip auf YouTube hochzuladen. Also bin ich ins nächste Dorf gelaufen. Dort übergab ich es einem befreundeten Bergsteiger und bin zurück ins Basecamp.
Am nächsten Morgen erreichte mich der Anruf einer Lizensierungsagentur. Innerhalb weniger Stunden hatten bereits über vier Millionen Menschen mein Video gesehen. Einen Großteil der Lizenz-Einnahmen habe ich später für die Nepalhilfe gespendet bzw. in die Neuanschaffung meines Equipments investiert.
In Ihrem Buch liest man über dramatisches Scheitern am Berg und Fehlentscheidungen, die Sie Gott sei Dank glimpflich überstehen. Sind Sie mutig oder übermütig?
Ich sammle in erster Linie Erfahrungen. Irgendwo muss man als junger Bergsteiger doch anfangen. Mag sein, dass ich Projekte angegangen bin, die noch eine Schuhnummer zu groß für mich waren. Scheitert eine Expedition ist das aber nicht schlimm, solange ich heil zu Hause ankomme. Ich lerne viel daraus und mache es beim nächsten Mal besser.
Kletterhalle als Höhenangst-Killer
Wie kommt ein junger Mann, der in der Nähe vom Bielefeld geboren ist, zum Bergsport?
In der Schule musste ich mich für eine Arbeitsgemeinschaft entscheiden: Volleyball, Computer, Malen etc. Die Kletter-AG hat mich gereizt, weil sie eine Mischung aus physischer und psychischer Komponente darstellte.
Ich konnte als Kind wegen Höhenangst nicht vom Dreimeter-Brett springen. Das Klettern hat mir geholfen, diese Angst abzulegen. Mit den Eltern meines besten Freundes fuhr ich später regelmäßig in die nächstgelegene Kletterhalle.
Ihre erste Felserfahrung?
Ein DAV-Trainer hat mich erst im späten Alter von 16 Jahren in einer kleinen Gruppe mitgenommen. Erstmals am Felsen zu klettern, war ein echtes Aha-Erlebnis, das mich geflasht hat. Bis dahin war ich ja nur als Plastikgriffen in der Halle unterwegs. Mir war gleich klar: draußen zu klettern ist eine andere Liga.
Dafür brachten Sie eine beachtliche Kletter-Fitness aus der Halle mit.
Das stimmt. Ich gehöre zur „neuen“ Generation, die mit Kletter- und Boulderhallen aufgewachsen ist. Die erlauben einem bei Dunkelheit, Wind und Wetter zu trainieren. Beim Sportklettern war ich gleich zu Beginn vergleichsweise stark.
Warum sind Sie meist solo unterwegs?
Weil ich es gewohnt bin. Ist man im Norden Deutschlands aufgewachsen, findet man kaum Gleichgesinnte, die mal eben für ein Wochenende z.B. in die Schweiz zum Bergsteigen fahren.
Außerdem bin ich gerne alleine unterwegs, weil ich mich dann ausschließlich auf mich konzentrieren kann, mein Tempo selbst bestimme und Entscheidungen für mich alleine treffe. Ich muss keine Verantwortung für andere übernehmen.
Jost Kobusch: Lieber allein auf dem Berg
Sind Sie dieser noch nicht gewachsen?
Wenn es einem Partner gesundheitlich schlecht ginge oder er Zweifel hat, müsste ich entscheiden, ob ich allein zum Gipfel aufsteige um nachher wieder zu ihm aufzuschließen oder mit ihm gemeinsam absteige. Das ist eine Entscheidung, der ich mich nicht stellen möchte.
Warum?
Egal wie sie ausfällt, ich würde immer etwas bereuen.
Sie gehen mit Ihren 24 Jahren also davon aus, alleine in der Bergwelt klar zu kommen. Noch nie Hilfe gebraucht?
Da haben Sie mich missverstanden. Ich bin weder ein Egoist, noch ein Übermensch. Mein Partner könnte ja auch viel stärker und meinetwegen schneller sein. Dann müsste ich permanent versuchen, das Tempo zu halten. Solo trage ich ausschließlich für meine Person die Verantwortung und schätze selbst ein, wo meine Grenzen liegen.
Haben Sie Vorbilder?
Ich habe früher kaum Bücher von Bergsteigern, sehr wohl aber diverse Kletter- und Alpinmagazine studiert. Dabei blieben bei mir vor allem Bilder hängen: Zelte, die über den Wolken stehen, beeindruckende Fotos von Expeditionen an Achttausendern – diese Momentaufnahmen haben mich inspiriert.
Sie weckten den Wunsch, zu ähnlichen Abenteuern aufzubrechen. Die Personen hinter den Abenteuern waren vorerst unwichtig. Was für mich als Vorbild wirkt, ist eher eine Idealvorstellung, eine unerreichbare Mischung aus den besten Eigenschaften von Mitmenschen und Alpinisten.
Mit Black Yak auf der ISPO MUNICH
Können Sie vom Bergsteigen leben?
Ja, da meine Kosten gering sind. Ich lebe in einer günstigen WG in Chemnitz, wo ich seit letztem Jahr Sports Engineering studiere. Geringe Fixkosten bedeuten Freiheit.
Wie wurden Sie Black-Yak-Athlet und welche Aufgaben übernehmen Sie als Bergsportler?
Als ich seinerzeit ein Interview auf 1LIVE gegeben hatte, verfolgte ein Mitarbeiter von Black Yak global dieses Gespräch und kontaktierte mich. Nach einem persönlichen Treffen starteten wir die Zusammenarbeit.
Ich arbeite aktiv in der Produktentwicklung mit, teste Prototypen und werbe als Testimonial für die Marke. Selbstverständlich bin ich auf Messen wie der ISPO MUNICH anwesend.
Ihre E-Mail Adresse lautet „Jost go for it“. Ihre Lebensmaxime?
Von Bedenken oder Zweifeln habe ich mich tatsächlich nie stoppen lassen. Man kann sich jeden Lebenstraum erfüllen, sofern man wirklich dafür arbeitet. Mich reizen hohe Berge. Dafür trainiere ich nicht nur hart. Um Geld für meine kostspieligen Expeditionen zu verdienen, habe ich anfangs als Guide auf Spitzbergen gearbeitet. Auch als junger Bergsportler kann man sich Expeditionen „leisten“.
Was sagt ein junger, ambitionierter Solo-Bergsteiger zum Tod von Ueli Steck?
Die Nachricht hat mich erschüttert. Das Bild, das ich von Ueli Steck aus den Medien hatte, war: er ist extrem sicher und kompetent unterwegs und daher – übertrieben gesagt – unsterblich. Für mich selbst verstehe ich den tragischen Tod als weitere Warnung, noch besser aufzupassen.
Was ich tue, ist gefährlich, auch wenn ich diese Tatsache vielleicht manchmal leichtfertig beiseite schiebe. Wenn ein Ueli Steck, der ja um ein Vielfaches mehr Erfahrung als ich hat, ein viel besserer Athlet ist, in den Bergen umkommen kann, dann kann mir das auch passieren.
„Facebook Kanal für schnelle, knappe Infos“
Besuchen Sie Vorträge anderer Bergsteiger? Verfolgen Sie die Szene?
Kürzlich war ich beim Vortrag von Reinhold Messner in Chemnitz. Auch Hansjörg Auer oder Simone Moro – beide imponieren mir als Bergsteiger und Menschen – hab’ ich mir angeschaut. Was die Szene betrifft: natürlich kriegt man einiges mit, aber ich folge nicht jedem Bergsteiger über Facebook auf Schritt und Tritt.
Wie halten Sie es mit Social Media?
Man braucht Kanäle, um mit seinen Leuten zu kommunizieren. Ich bin zwar auf YouTube, Facebook, Instagram und Twitter aktiv, lege aber aktuell einen stärkeren Fokus auf eine gute Webseite mit mehr Infos von mir. Facebook und Co sind Kanäle für schnelle, knappe Infos. Ein Bild, zwei Sätze – mehr liest doch dort kein Mensch.
Wie sieht Ihr Trainingsalltag aus?
Ich wechsle tageweise zwischen Grundlagentraining und Klettern. Manchmal gehe ich auch zwei, drei Tage hintereinander zum Klettern. Gestern war ich in München abends noch schnell in Thalkirchen in der Halle.
Was ist Ihr nächstes großes Ziel?
Ich möchte im Winter nach Alaska und den Denali besteigen. Im Sommer reizt mich dieser Berg weniger. Ich mag Kälte und bin – wie gesagt – gerne solo unterwegs. Im Winter ist man dort alleine.
Fühlen Sie sich nie einsam in der Isolation?
Natürlich kenne ich das Gefühl von Angst oder Einsamkeit. In der Abgeschiedenheit spreche ich oft mit mir selbst: „So, Jost, jetzt gehen wir noch 50 Meter, dann machen wir eine Pause ....“ Wenn die Kraft reicht, singe ich auch laut. Damit überliste ich wohl meinen Kopf ein wenig.
Jost Kobusch in Basecamps „fast immer der Jüngste“
Was genau reizt Sie an Sieben- und Achttausendern?
In den Bergen fasziniert mich die Begegnung mit mir selbst. Gerade wenn eine Situation ein wenig aus dem Ruder läuft, wachse ich oft über mich hinaus. Das Gefühl, die eigenen Fähigkeiten immer weiter auszubauen und sich als Mensch zu entwickeln, spielt sicherlich eine große Rolle. Zum anderen finde ich fernab der Zivilisation an den hohen Bergen für mich noch so etwas wie „echtes Abenteuer“.
All das wäre nichts ohne die Verbindung zur Natur. Wird es allerdings etwas extremer, fokussiere ich mich nur noch auf die Herausforderung an sich. Da ist man dann schon in einem Art Tunnel. Manchmal staune ich bei der Durchsicht der Fotos, wie schön es an manchen Stellen im Auf- oder Abstieg war.
Wie legen Sie den Schalter auf „Tunnel“ um?
Das passiert automatisch. Um Fehler zu vermeiden, blendet man alles Unwichtige aus. Man verliert das Zeitgefühl ein wenig. Alles kommt einem kürzer vor.
Sind Sie eigentlich Deutschlands jüngster Achttausender-Bergsteiger bzw. Bergprofi?
In den Basecamps bin ich jedenfalls fast immer der jüngste. Michi Wohlleben ist zwei Jahre älter als ich, stand aber meines Wissens noch auf keinem Achttausender. Dafür hat Michi technisch viel mehr drauf als ich.
Video: „Gerry Fiegls Tod hat mich verändert“
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