Viele Athleten leben nicht nur für und von ihrem Sport. Nicht wenige finden erst durch ihre Leidenschaft zu sich selber; sie leben durch den Sport - so wie Open-Water-Schwimmerin Kim Chambers und Mountainbiker Lukas Kaufmann.
Viele Athleten leben nicht nur für und von ihrem Sport. Nicht wenige finden erst durch ihre Leidenschaft zu sich selber; sie leben durch den Sport - so wie Open-Water-Schwimmerin Kim Chambers und Mountainbiker Lukas Kaufmann.
Kim schwimmt. Wobei – das ist nicht einmal ein Bruchteil der Geschichte. Die Neuseeländerin Kim Chambers trifft man nicht in einem Pool, wo sie immer wieder hin und her ihre Bahnen zieht. Kim ist eine der besten Marathonschwimmerinnen der Welt, daheim in den haiverseuchten, eiskalten Gewässern vor der Küste Nordkaliforniens. Ihr tägliches Trainingsrevier ist die Bay von San Francisco, meist morgens gegen halb sieben Uhr.
Das Wasser hat hier selten mehr als robuste 53 Grad Fahrenheit, etwa 11,5 Grad Celsius. Keine große Sache für Kim. Die 46-jährige Neuseeländerin zählt zu den nicht ganz zwei Hand voll Menschen, die die legendäre Oceans Seven Challenge (äquivalent zu den „Seven Summits“, hier geht es um das Durchschwimmen von sieben Meerengen) bewältigt haben. Dabei ist sie unter anderem durch den North Channel in der Irischen See geschwommen, den Ärmelkanal, die Tsugarustraße und den Kanal von Catalina. Immer ohne Neoprenanzug.
Wie sich das anfühlt, einen normalen Tag früh am Morgen in der Bay zu beginnen? „Dein ganzer Körper sagt dir mit jeder Faser, wie idiotisch das ist“, gibt Kim unumwunden zu. Aber es sei doch etwas ungemein Befriedigendes, sich selbst zu fordern. „Und wenn das Härteste, das dir an einem normalen Tag passieren kann, morgens um halb sieben passiert, ist der Rest doch ein Kinderspiel“, sagt sie mit einem Lachen. Und es macht den Kopf frei. Mehr als zehn Jahre arbeitete Kim bei Adobe in San Francisco, war zuletzt Sprecherin für die weltweiten Nachhaltigkeits- und Social-Impact-Initiativen des Unternehmens. Mittlerweile ist sie als Rednerin, und Autorin erfolgreich. Aber dazu später mehr.
Lachen muss auch Lukas Kaufmann, als sich beim Race around Austria (RAA) nach den ersten 1369 Kilometern der Gerlospass vor ihm auftürmt. In dieser regnerischen Augustnacht ist es ungewohnt kalt im Oberpinzgau – und die 22 Kehren auf dem Weg von Salzburg nach Tirol liegen noch vor ihm. Aber am Straßenrand stehen ein paar befreundete Nachtschwärmer und feuern ihn an, aus dem Begleitfahrzeug schallt laute Musik. „Das war ein irre harter Moment“, wird er später erzählen, so müde, kalt und nass im Dunkeln unterwegs. „Und trotzdem war ich dankbar, dass ich genau das machen darf, was ich machen möchte, das hat mir Kraft gegeben“.
Lukas Kaufmann ist Mountainbike-Profi. Und seit sechs Jahren ganz bewusst ohne Team. Als Ein-Mann-Equipe tingelt der 26-Jährige zu den größten Marathonrennen Europas, landete in der letzten Saison vor Corona bei der legendären Salzkammergut Trophy auf dem dritten Platz. Schon früh habe er gemerkt, dass es ihn auf die Langstrecke zieht, auch wenn ihn viele noch für zu jung hielten. Das Problem: „Es gibt in Österreich kein Team, das wirklich professionelle Bedingungen bieten kann“.
Also startete er, kaum 20 Jahre alt, seine Solo-Mission. Das hieß damals: 25 bis 30 Stunden die Woche arbeiten, um sich Training, Reisen und Wettkämpfe überhaupt leisten zu können. Erst beim österreichischen Bundesheer, später in der Logistik und im Lebensmittelgroßhandel. Nicht besonders anspruchsvoll, manchmal stumpfsinnig; nur zu schaffen mit dem großen Ziel vor Augen: Radprofi zu sein.
Seit der Saison 2019 kann er von seinem Sport leben. Und lebt dabei auf. Denn seit er sein eigener Teamchef, PR-Mann, Reiseplaner, Manager und Vermarkter ist, geht es stetig bergauf. Auch Corona konnte ihn dabei nicht ausbremsen. Die Absage aller Rennen sei natürlich erst einmal hart gewesen, erzählt er. „Da habe ich erst gemerkt, wie süchtig ich nach Rennen bin“. Das sei immer ein großer Spaß, „Ich treffe Gleichgesinnte und wir toben uns gemeinsam aus“. Für ihn: der beste Job der Welt.
Doch es sind nicht die großen Erfolge, die Lukas antreiben. Es ist die Leidenschaft für den Sport an sich. Keine Rennen wegen der Pandemie? Lukas sucht sich eigene Herausforderungen. Startet bei Multisport-Challenges wie dem Dachstein RUSH, sammelt bei 24-Stunden-Läufen Spenden und sucht sich komplett neue Herausforderungen.
Womit wir wieder beim Race around Austria wären. „Drei Monate vor dem Event hatte ich nicht einmal ein Rennrad, geschweige denn ein Team“, erzählt Lukas. Also trommelte er zwölf Begleiter aus dem Freundes- und Bekanntenkreis zusammen und wagte das Abenteuer, 2200 Kilometer non-stop, einmal rund um die Alpenrepublik. Am Ende landete er nach vier Tagen und sechs Stunden im Sattel auf dem vierten Platz.
Langstreckenschwimmen im Eiswasser, Tage pausenlos im Sattel – warum tut man sich das an? Die Frage wird Kim häufiger gestellt. Und wundert sie immer wieder. Das Schwimmen, sagt sie, sei einfach ein wichtiger Teil dessen, was sie ausmacht. Dabei hat sie nie bewusst entschieden, Schwimmerin zu werden. Sport sei immer wichtig gewesen, ihr früheres Leben aber eher oberflächlich. „Ich war besessen davon, besonders schlank zu sein und in irgendwelche Designeroutfits zu passen“, erzählt Kim.
Bis sie sich kurz nach ihrem 30. Geburtstag schwer verletzte. Sie stürzte von einer Treppe und erlitt ein sogenanntes Compartment Syndrom – nur eine OP rettete ihr Bein vor der Amputation. Ob sie es jemals wieder würde voll belasten können, stand damals in den Sternen. „Aber Leute wie ich lieben es, herausgefordert zu werden. Ich wollte beweisen, dass die Ärzte falsch liegen“.
Zwei Jahre lang dauerte die Reha. Das Schwimmen gehörte dazu. Im November 2009 stieg sie dann zum ersten Mal am Pier des Southend Rowing Club in die Bay. Furchtbar kalt sei es gewesen, „aber ich konnte einfach nicht aufhören zu lächeln“, erinnert sie sich heute. Und, viel wichtiger: „In diesem Moment wusste ich, dass ich die Reha geschafft hatte, dass ich wieder nach vorne schauen konnte“.
Seitdem schwimmt sie. Manchmal, wie im Ärmelkanal, bis zur Besinnungslosigkeit. Oder auf dem Weg von den Farallon-Islands nach San Francisco ohne Haikäfig und 17 Stunden lang immer an der Grenze zur Unterkühlung, oft darüber hinaus. „Solche Schwimm-Marathons sind zu 90 Prozent eine mentale Frage“, sagt Kim. Der Trick sei es, sich mit Menschen zu umgeben . „Wenn ich unterwegs bin, singe ich, bitte das Meer um die Erlaubnis, weitergehen zu dürfen“. Es klingt wie ein Gebet im Wasser.
Und die Person, die im Ziel an den Strand klettert, ist immer eine andere als diejenige, die an den Start gegangen ist. Eine Erfahrung, die auch Mountainbike-Pro Lukas Kaufmann auf seinem Weg rund um Österreich gemacht hat. „Ich habe einfach nicht gewusst, was passiert, ich war aufgeregt wie ein kleiner Bub vor seinem ersten Rennen, erinnert er sich. „Das Race around Austria war dann so hart …“.
Trotzdem habe er kein einziges Mal ans Aufgeben gedacht. „Was mir sicher hilft, ist, dass ich meine Jobs gemacht habe, um mir den Sport zu finanzieren. Die harte Zeit damals hat mir unheimlich geholfen, das heute alles zu genießen“. Was Leidenschaft für ihn bedeutet? Alles mit Liebe und Begeisterung zu machen. Und vor allem: dankbar zu sein für die guten Momente und die Erlebnisse. „Denn nichts ist selbstverständlich“, sagt Lukas.
Für die Kim Chambers von heute ist die Leidenschaft fürs Schwimmen nur Teil eines Gesamtpakets. Sie nutzt ihre Bekanntheit, um mit Mädchen und jungen Frauen über ihre Erfahrungen im Meer zu sprechen. Nicht jede müsse deshalb mit Haien schwimmen, sagt sie. Ihr geht es vielmehr darum, mit ihren Zuhörerinnen über Körperbildprobleme zu sprechen, über Motivation, Durchhaltevermögen, den Umgang mit den eigenen Ängsten, über das große Potenzial, das in den Menschen steckt
Und über die Freiheit, die Freiwasserschwimmer erleben und die sich Kim auch im echten Leben wünscht: „Im offenen Meer gibt es keine getrennten Wertungen für Männer und Frauen, wir bewegen uns gemeinsam auf dem gleichen Spielfeld, messen uns auf Augenhöhe. Das liebe ich.“