Angriff ist die beste Verteidigung. Eine Phrase, die vor allem im Sport oft verwendet wird. Gerade, wenn Underdogs die großen Gegner in ihre Schranken verweisen. Wie dieses Motto in modernen Zeiten auch interpretiert werden kann, beweist der Fußball-Kreisligist TC Freisenbruch.
Der Essener Klub stand finanziell mit dem Rücken zur Wand und drohte, den Betrieb einstellen zu müssen. Doch statt „den Laden dicht zu machen“ entschieden sich Gerrit Kremer, Peter Schäfer und Peter Wingen, den Verein „mit einer verrückten Geschichte am eigenen Schopf wieder aus dem Dreck heraus zu ziehen“.
Das Trio beschloss, dass der TC Freisenbruch der erste digitale Klub in Deutschland werden soll, bei dem die Anhänger alle Entscheidungen treffen – von Transfers über die Aufstellung bis zum Budget. Und das nicht auf Mitgliederversammlungen, sondern online – jederzeit!
Wie diese digitale Demokratie in der Realität umgesetzt wird, welche Lernprozesse durchlaufen wurden und wie der Kreisligist am Ende auf der ISPO Beijing 2019 landete, erklärt das Trio im ISPO.com Interview.
ISPO.com: Herr Kremer, Sie sind der Geschäftsführer der Agentur Doppelpass und damit auch einer der drei geschäftsführenden Gesellschafter des TC Freisenbruch. Den Wandel zum „ersten digitalen Verein in Deutschland“ bezeichnen Sie selbst als verrückte Geschichte. Wie kam es zu der Entscheidung und welche Alternativen hätte es gegeben?
Gerrit Kremer (Vorstand): Um ehrlich zu sein, es lagen nicht wirklich viel mehr Ideen auf dem Tisch. Die Überlegung der Digitalisierung gab es hingegen schon länger, und zu diesem Zeitpunkt, schien uns der gewagte Schritt tatsächlich der Richtige zu sein.
Gab es – gerade zu Beginn – auch Missverständnisse bezüglich des neuen Konzepts in Freisenbruch?
Kremer: Das kam ab und zu schon mal vor. Wir hatten auch Journalisten vor Ort, die dachten, das wäre ein einmaliger Marketing-Gag. Vielleicht wurden wir anfangs etwas belächelt, für ein Managerspiel gehalten, aber mit einem gewissen Erfolg und der Aufmerksamkeit dreht sich der Wind schnell. Letztlich sind wir in Zeiten der Kommerzialisierung im Fußball das gelebte Gegenstück zu dieser Entwicklung.
War Ihnen bewusst, welchen Hype die Umstrukturierung des TC Freisenbruch auslösen würde?
Peter Wingen (Beirat): Wir haben zumindest ein wenig darauf spekuliert. Aber das wir irgendwann mit dem TC Freisenbruch nach Peking auf die ISPO Beijing eingeladen werden, das hätten wir uns nicht vorstellen können.
Kremer: International nahm die Geschichte Fahrt auf, als der Chefredakteur von ESPN Europa aus London nach Freisenbruch kam, um eine Geschichte über unseren Verein zu machen. So bekamen wir auf einen Schlag viele internationale Manager, von West Hollywood bis nach Australien.
Wie kam es dazu, dass der TC Freisenbruch seine Fühler nach China ausstreckt?
Wingen: Den entscheidenden Impuls gab ein Artikel über den Verein im chinesischen Online-Pendant zum Kicker - „All Football“. Letztlich fanden sich unter dem Artikel fünf- bis sechstausend Kommentare, die wir dann mit Google-Translator übersetzt haben. Das Feedback war überwiegend positiv. Es gab aber auch den Hinweis, dass der Bezahl-Prozess über PayPal in China nicht funktioniert und eine englische Version der Seite sehr hilfreich wäre. Im Anschluss waren wir auf dem China-Forum der NRW Bank, wo das Feedback ebenfalls sehr gut war, und dann kam letztlich die Einladung durch die Messe München und der Entschluss: Jetzt erobern wir als Kreisligist den chinesischen Markt!
Im Hinblick auf Ihren Messeauftritt eine der drängendsten Fragen: Hat der TC Freisenbruch überhaupt den Segen seiner Teammanager bekommen, diesen strapaziösen Trip nach China zu machen?
Peter Schäfer (Trainer): Ich muss zugeben, wir haben unsere Teammanager in dieser Angelegenheit nicht befragt, haben Ihnen aber das Angebot von ISPO im Vorfeld mitgeteilt. Aus Reihen der Teammanager kam dann aber der Aufruf, dass noch Geld im Marketingbudget vorhanden sei und wir diese Mittel für den Trip verwenden sollen. Darüber wurde dann auch abgestimmt. Insofern denke ich, wir haben den Segen unserer Anhänger (lacht).
Herr Schäfer, aus Ihrer Sicht als Coach, wie verlief der Start des TC Freisenbruch ins „digitale Zeitalter“?
Schäfer: Ich war von Anfang an bei allen Planungen dabei. Bevor es wirklich losging, musste ja viel programmiert und getestet werden. Das waren locker eineinhalb Jahre. Und dann haben die Mechanismen des Vereins bei mir gegriffen. Ich war am Anfang sportlicher Leiter in Freisenbruch, aber nachdem wir den Trainer wechseln mussten, habe ich als Interim übernommen. Das lief direkt so gut, dass abgestimmt wurde, ob ich als Cheftrainer weitermachen soll. Das war vor rund 18 Monaten.
Für gewöhnlich laufen Spieler-Transfers so: Verein A verhandelt mit Verein B, Spieler XY wechselt im Idealfall. Wie laufen Neuverpflichtungen in Freisenbruch ab?
Schäfer: Zunächst mal gibt es deutlich mehr zu erklären, gerade gegenüber der potenziellen Neuverpflichtung. Wir sind zwar im Essener Raum schon recht bekannt, aber das Prinzip „Aufstellung und auch Transfers werden durch die Fans bestimmt“ muss jedem nochmal verdeutlicht werden. Das Feedback ist aber überwiegend positiv, und die Neugier ist groß. Es hat sich rumgesprochen, dass man bei uns vor mehr Fans spielt und einiges mehr erlebt, als in anderen Vereinen.
Abstimmungen, gerade im Internet, können auch nach hinten losgehen. Haben Sie in Freisenbruch mit Ihrem digital-demokratischen Ansatz schon mal negative Erfahrungen gemacht?
Wingen: Zu Beginn hatten wir schon ein paar Befürchtungen, doch letztlich wurde das bislang alles sehr ernst genommen. Zum einen sicher begünstigt durch den Mitgliedsbeitrag und zum anderen durch die Masse an Teammanagern. Klar gibt es auch mal Leute von anderen Vereinen, die dann Quatsch bei der Mannschaftsaufstellung auswählen, aber das sind wirklich nur ein, zwei Personen.
Kremer: Am Thema Aufstellung lässt es sich ganz gut darstellen, finde ich. Peter vergibt nach jedem Training Noten und vor einer Partie eine Aufstellungsempfehlung. Dieser können die Teammanager folgen oder eben auch nicht. Viele unserer Spieler halten den Abstimmungsprozess aber für deutlich fairer, da eben nicht eine Person, sprich der Trainer, sondern die über 600 Manager abstimmen und so individuelle Vorlieben ausgeglichen werden. Und sogar beim Bier-Preis wurde ein nicht zu niedriger Betrag eingefordert, damit der Verein genug Geld verdienen kann.
Wie würden Sie Ihre Ziele für die Tage in China definieren?
Schäfer: Uns geht es grundsätzlich darum, Aufmerksamkeit für unser Projekt zu bekommen. Ein paar neue Teammanager zu gewinnen, und zu verstehen, wie die Fußballfans ins China unterwegs sind. Letztlich können wir aber auf dieser Reise nur gewinnen.
Wingen: Die Chinesen sind sehr fasziniert von unserem Projekt.
Neben dem TC Freisenbruch waren auch Vereine aus der Fußball-Bundesliga auf der ISPO Beijing zu Gast. Wie ist das Verhältnis zu den großen deutschen Klubs?
Wingen: Die Vereinsmaskottchen verstehen sich bereits ganz gut, aber ich glaube, etwas exotisch finden es die Bundesliga-Klubs schon, was wir hier so treiben.
Schäfer: Das läuft alles sehr kollegial ab. Wir haben ein paar Gespräche geführt, teilweise kannten wir uns auch schon von Veranstaltungen in Deutschland, und die Vereine finden das ziemlich gut, was wir mit Freisenbruch auf die Beine gestellt haben.
Was können Sie von den Bundesligisten in China lernen? Und gibt es etwas, dass die Profi-Klubs von einem Kreisligisten lernen können?
Wingen: Gerade im Bereich Social Media, zum Beispiel WeChat, haben wir von den Kollegen viel hilfreichen Input bekommen. Ich denke umgekehrt können die Bundesligisten von uns gerade bei der Einbindung der Fans noch einiges mitnehmen.
Kremer: Bei uns drückt der Fan eben nicht nur einen Mitgliedsbeitrag ab und das war's. Wir bieten einen extremen Mehrwert, eine Verbindung zum Verein und ich denke, genau das macht unser Projekt so attraktiv.
Abschließend vielleicht noch ein kleines Fazit im Hinblick auf Ihre Planungen im Vorfeld der Messe. Was lief gut, wo hätten Sie vielleicht etwas mehr Zeit und Ressourcen investieren können?
Kremer: Wir haben extra Flyer auf Chinesisch drucken lassen, auch die Banner hier am Stand wurden für das chinesische Publikum übersetzt. Und zum Glück haben uns schon mehrere Personen bestätigt, dass die Texte korrekt übersetzt sind. Ein Fehler war, den URL-Code auf die Flyer zu drucken. Hier wäre der WeChat-QR-Code die sinnvollere Lösung gewesen. Generell: Als Learning nehmen wir mit – WeChat, WeChat, WeChat. Alles muss mit WeChat vernetzt sein, alles wurde an unserem Stand mit WeChat gescannt – nur vielleicht mein Gesicht noch nicht. Dennoch muss ich sagen, für unsere bescheidenen Möglichkeiten ist bisher fast alles reibungslos gelaufen, und wir können sehr zufrieden sein.
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