Urs Weber ist Lauf-Profi. Keiner, der jede Woche einen neuen persönlichen Rekord aufstellt. Aber doch jemand, dem keiner etwas vormacht in der Szene.
Der Buch-Autor und Redakteur der deutschen „Runner's World“ ist Spezialist für Ausrüstungsfragen. Auf der ISPO Munich 2017 stand Urs Weber bei den Running-Vorträgen auf der Health-and-Fitness-Bühne und blickte beim Laufschuhsymposium in die Zukunft des Laufsports.
„Es gibt nach wie vor große Zuwächse im Running“, sagt Urs Weber. „Die Sportart wird immer mehr zum Massen-Phänomen, ist extrem breit aufgestellt und findet immer neue Interessenten aus Zielgruppen, die noch vor ein paar Jahren nicht beim Running waren.“ Wen er damit meint? „Studenten, hippe junge Läufer, unter 30-Jährige, die früher allenfalls im Fitnessstudio zu finden waren, und auch unter 20-Jährige. Laufen ist einfach cool geworden.“
Und das gilt vor allem für die weibliche Zielgruppe, deren Anteil an den jüngeren Läufern laut Weber inzwischen „mehr als 50 Prozent“ ausmacht.
„Die Laufszene vernetzt sich immer mehr“, sagt „Runner’s World“-Experte Urs Weber, „Social ist aus dem Running nicht mehr wegzudenken.“ Natürlich joggen manche auch im Jahr 2018 noch alleine vor sich hin – aber der Trend geht ganz klar zum Gemeinschaftserlebnis, für das man sich über das Netz verabredet.
Urs Weber sagt: „Viele Lauftreffs, auch die klassischen, die sich schon lange vor der Digitalisierung zusammengefunden haben, organisieren ihre Läufe inzwischen über Social Groups im Internet.“
Und das nicht nur, um neue Leute kennenzulernen und nicht alleine seine Bahnen zu ziehen – „sondern, weil viele in diesen Gruppen im Netz auch die eigenen Läufe hochladen und dokumentieren“, erklärt Urs Weber. „Das ist wie eine Art Tagebuch.“
Die Industrie hat auf den Trend zur digitalen Lauf-Dokumentation längst reagiert. „Die App-Entwickler haben durch großartige Arbeit ermöglicht, dass alle auf hohem Niveau mitlaufen“, sagt Urs Weber: Es gibt fast keinen Hersteller, der nicht versucht, über Social Media die Lauf-Kundschaft direkt zu erreichen.
Von Runtastic und Strava, den Klassikern unter den Kilometerzählern, über Nike Running, Polar und Garmin bis zu kleinen Start-ups: Es gibt eher zu viele gute Lauf-Apps als zu wenig. „Runner’s World“-Experte Urs Weber: „Es ist eher ein Problem, sich zu orientieren und die eine richtige App zu finden, die auch in deiner Community genutzt wird.“
Die Folge: Schnittstellen werden wichtiger, die Übertragungs-Möglichkeit zu anderen Netzwerken ist ein entscheidendes Kriterium.
Dass Laufen inzwischen zum Social Running wird, stellt auch den Handel vor neue Herausforderungen. Die Verbraucher orientieren sich online – und offline treffen sie sich dann zum Laufen.
Den Weg zum Händler finden viele nicht mehr, also muss der Handel zum Läufer kommen, schlussfolgert Urs Weber: „Die Händler müssen in Kontakt mit der Szene sein. Und immer dort zu finden sein, wo sich auch die Szene gerade aufhält.“
Das kann ein Auftritt in den sozialen Netzwerken sein, ein Stand bei großen Lauf-Events wie den Marathon-Messen oder auch kleinen lokalen Lauf-Wettbewerben sein oder sogar ein Vor-Ort-Besuch bei den Laufgruppen. „Die Händler müssen da auftauchen, wo die Läufer sind“, sagt Weber, „die Leute kommen nicht mehr von alleine ins Geschäft.“
Dass die Ausrüster sich viel stärker um die Community kümmern, bedeutet natürlich auch, dass sie ihre Produkte viel transparenter zur Schau stellen. Und nicht nur auf Trends reagieren, sondern diese setzen müssen. „Laufen ist sehr viel schicker geworden“, sagt Urs Weber. „Die Markenvielfalt hat unglaublich zugenommen.“ Es sind nicht nur die großen Ausrüster, die die Laufrichtung, den Style vorgeben.
Oft werden sie von kleinen Newcomer getrieben oder zumindest inspiriert. „Den kleineren Ausrüstern gelingt es, Produkte zu schaffen, mit denen man sich abgrenzen kann von der Masse“, sagt Urs Weber und nennt die dänische Trend-Marke Say Sky, ISPO Brandnew Winner 2016, oder auch ON, die sich zunächst im Schuhbereich etabliert haben, nun aber auch mit cooler Bekleidung durchstarten.
Urs Weber: „Die Styles werden vielfältiger. Und für jede Laufart unterschiedlich, damit man sich abgrenzt. Die Trailrunner tragen andere Styles als die Urban Runner. Da entwickeln spezielle Marken ihren eigenen Charakter für die jeweilige Zielgruppe.“
Bei Laufschuhen macht Weber niemand etwas vor, für die „Runner’s World“ testet er jede Saison viele Dutzend neuer Modelle. „Die Vielzahl der unterschiedlichen Modelle steigt“, sagt Deutschlands Laufschuh-Experte Nummer 1, „aber auch die Anzahl der Schuhe, die ein Läufer trägt. Statistsch betrachtet, hat jeder Läufer in Deutschland 5,3 Paar Laufschuhe.“
Und dies vor allem, weil sie „für verschiedenen Terrains auch verschiedene Schuhe nehmen“, sagt Weber. „Viele Läufer haben neben dem normalen Trainingsschuh noch spezielle Trailrunning-Schuhe, Winterlaufschuhe, Barfußlaufschuhe und Wettkampfschuhe.“
Doch was heißt das für die Händler? „Dass die Beratung immer wichtiger wird“, anwortet Weber. Er sieht angesichts der großen Vielfalt auch neuer Anbieter Chancen und Risiken auf die Retailer zukommen. Zum einen nimmt der Online-Handel zu, auch die Informations-Möglichkeit im Netz, gleichzeitig aber sucht der Verbraucher persönliche Beratung, die er online nicht bekommt.
„Der Händler muss eine Schnelldiagnose machen können und dann den individuellen Filter anlegen, um aus dem riesigen Angebot im Markt das halbe Dutzend Modelle zu finden, das für den jeweiligen Läufer tatsächlich geeignet ist“, sagt Urs Weber. „Und der Händler muss sehen, wie er die Laufbandanalyse einsetzen kann und wo ihre Grenzen sind, weil sie alleine nicht aussagekräftig ist.“
Urs Weber spricht vom „Paradigmenwechsel in der Laufschuh-Beratung – weil man nicht nur auf das Fuß-Aufsetzverhalten schauen, sondern auf den gesamten Bewegungsablauf achten muss. Der Laufstil ist individuell. Es gibt kein Ideal. Früher dachte man, Pronation sei schädlich. Heute wissen wir, dass das Quatsch ist.“
Die Bereitschaft, Geld auszugeben fürs Running, wächst. Auch 2018 ist nichts anderes als Wachstum zu erwarten. Dies gilt für alle Segmente.
Gerade bei den Produktinnovationen setzt sich dieser Trend durch: Der Markt an Wearables wird immer größer, die Auswahl immer vielfältiger – aber auch immer unübersichtlicher, zumal auch Technikkonzerne wie Apple und Samsung in den Laufmarkt drängen, weil Running zum Lifestyle wird. Auch dies stellt neue Herausforderungen für den Händler dar.
„Man muss auch mal den Mut zu haben, von Produkten abzuraten, die der Kunde nicht braucht oder die nicht ausgereift sind“, findet Urs Weber und erklärt: „Wer viel läuft und schon eine Laufuhr hat, braucht nicht noch einen weiteren Fitnesstracker. Und viele Produkte sind technisch noch nicht wirklich fertig austariert. Da muss man als guter Händler darauf achten, dass der Verbraucher nicht plötzlich zum Produkttester wird.“
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