Er erzählt, dass er damals probiert habe, am Gipfel ohne zusätzlichen Sauerstoff zu atmen. Zehn Minuten hielt er es aus. „Das war schon komisch. So als würde dir jemand eine Jacke ausziehen“, erklärt er sein Gefühl.
Der entscheidende Unterschied zwischen Andy Holzer und anderen Bergsteigern liegt auf der Hand: Holzer ist auf seine Begleiter angewiesen. Er hört beim Gehen die Steigeisen vor ihm und folgt so den Schritten seiner Vorderleute. Dabei darf er maximal fünf Meter von ihnen entfernt sein. Ansonsten verzieht sich die Akustik. Insbesondere bei extremen Bergtouren ist es von enormer Wichtigkeit, dass seine Begleiter und er im selben Takt gehen, denselben Rhythmus haben. Außerdem müssen die Wanderer stetig ein zügiges Tempo beibehalten, ohne sich dabei zu überanstrengen. Holzer erklärt: „Du musst schon schnell gehen, damit du nicht erfrierst. Aber eben auch nicht zu flott, sonst gehst du KO.“
Holzer lebt einen ausgeprägten Pragmatismus. Was er sagen will, sagt er direkt, ohne Umschweife. Mit dieser rationalen Denkweise trifft er auch persönliche Entscheidungen. 2009 stand er vor einem Wendepunkt in seinem Leben: „Was kann ich denn noch für Berufe ausüben, ohne dabei zu sehen, habe ich mich gefragt.“ Telefonist, Bürstenbinder, Korbflechter, das sind die typischen Berufe für Blinde. Obwohl ihn damals viele Leute für verrückt erklärt haben, schmiss er seinen Job als Heilmasseur nach 26 Jahren hin und begann Vorträge zu halten: „Den sehenden die Augen öffnen.“ Das ist sein Credo.
Für die einen mag es ironisch, gar makaber oder überheblich klingen, für die anderen vollkommen logisch. Blinde Menschen kompensieren die fehlende Sehkraft häufig mit einem ausgeprägten Gehör. Natürlich „sehen“ sie die Dinge auch vollkommen anders, haben ein anderes Gespür für bestimmte Situationen. Andy Holzer spürte, dass da mehr sein muss in seinem Leben, dass er mit seiner Zeit mehr anfangen kann und ein einzigartiges Potenzial in ihm schlummert.