28.10.2016

Anny Cardinahl erklärt die Trends im Retail-Design: Flair statt Masse

Wir benötigen Ihre Zustimmung, um die Bewertungsfunktion zu aktivieren!

Diese Funktion ist nur verfügbar, wenn eine entsprechende Zustimmung erteilt wurde. Bitte lesen Sie die Details und akzeptieren Sie den Service, um die Bewertungsfunktion zu aktivieren.

Bewerten
Merken

Überfrachtete Geschäfte sind Schnee von gestern. Heute sind im Retail-Design vor allem Atmosphäre, Emotionen und mehr Übersichtlichkeit gefragt. Wir haben Branchen-Expertin Anny Cardinahl zu den aktuellen Trends und Anforderungen für Sportgeschäfte befragt.

Eine gute Idee muss nicht immer teuer sein. Ein Beispiel dafür ist Sport Klöpping in Jessen.
Eine gute Idee muss nicht immer teuer sein. Ein Beispiel dafür ist Sport Klöpping in Jessen.

In Zeiten von steigenden Online-Umsätzen werden die stationären Geschäfte zu Bastionen des sinnlichen Erlebens. Hier will der Kunde inspiriert und animiert werden.

Anny Cardinahl, Inhaberin der Consulting Agentur Outdoordeluxe in Hamburg, kennt sich aus mit den  aktuellen Herausforderungen im Bereich Retail Design für Sportfachhändler. Seit mehr als 25 Jahren ist sie für die Outdoor-Industrie tätig, darunter viele Jahre als Marketing-Expertin bei Globetrotter mit dem Schwerpunkt Produktkommunikation. Seit Oktober berät sie die European Outdoor Group (EOG) im Bereich Handel.

 

ISPO.com: Frau Cardinahl, wie sehen die aktuellen Trends im Bereich Retail Design für Sportflächen aus?
Anny Cardinahl: Mehr Variabilität. Der Ladenbau muss sich flexibler an die Sortimente anpassen können. Früher war es so, dass der Laden einmal gebaut wurde und dann blieb er so über Jahre. Aber heute sind die Ansprüche enorm gestiegen. Es müssen andere Vergleichsparameter zu Rate gezogen werden, man muss sich die Trendviertel der Großstädte ansehen, Stores von Urban Outfitters oder Anthropologie.

Auch wenn das Modegeschäfte sind und keine Sportgeschäfte. Ich höre immer, das hat mit uns doch nichts zu tun, aber ich finde, das hat es doch. Denn der Endverbraucher kennt diese Geschäfte und nimmt sie als Maßstab. Ein weiterer Trend ist die Integration der Lagerfläche in den Verkaufsraum und damit die Frage, wie verpacke ich Selbstbedienung optisch gut? Auch die Einbeziehung von Schauwerkstätten und anderen produktbezogenen Aktionsbereichen gibt es bereits in Ansätzen, hat aber noch Entwicklungspotenzial. 

 

Anny Cardinahl unterstützt mit Outdoordeluxe Industrie und Fachhandel
Anny Cardinahl unterstützt mit Outdoordeluxe Industrie und Fachhandel
Bildcredit:
Outdoordeluxe

Was stellen Sie sich da vor?
Norrøna in Oslo hat zum Beispiel eine Reparaturwerkstatt in den Flagship Store integriert und repariert dort seit sieben Jahren Outdoor-Bekleidung ­– auch von anderen Herstellern. Damit wird auch gleich das Thema Nachhaltigkeit umgesetzt. Auch Laufbänder, Kletterecken und Bereiche zum Testen von Wanderschuhen gibt es schon, aber längst noch nicht flächendeckend.  

Welche Materialien sind derzeit sehr gefragt?
Materialien, die den Charakter der Ware widerspiegeln, die die Funktionalität besonders von hochwertigen Produkten unterstreichen und den Kunden durch Atmosphäre erreichen. Das kann Holz sein, Metall, aber auch neue Stoffe aktueller Kollektionen. Es kommt ganz auf die Identität des Stores und den Charakter und die Funktionalität der Ware an.

 

 

Cardinahl: „Es fehlt der Mut“

Was ist Ihrer Meinung nach nicht mehr „in“?
Vollgestopfte Flächen und Ladenbau, der von der Ware ablenkt. Gefragt sind klare Flächen mit mehr Platz. Selbst ein Decathlon zeigt in diesem Punkt gute Ansätze.

Mehr Platz bedeutet weniger Ware und geringere Umsätze pro Quadratmeter. Das ist gerade im Sport, wo die Margen ohnehin niedriger sind als in der Mode, schwer umzusetzen, oder? 
Natürlich ist es auch eine finanzielle Frage, aber diese Quadratmeterumsätze sind in Deutschland wie in Stein gemeißelt. Es fehlt der Mut etwas auszuprobieren! Man muss nicht gleich alles umkrempeln, eine gut platzierte Testfläche mit 20 Quadratmetern reicht ja schon. Viele Händler sind da viel zu zögerlich.

Was müssen Stores heute zunehmend können?
Sie müssen individuelle, aussagekräftige Sortimente bieten. Alles reinstopfen und dann schauen, was den Kunden interessiert, funktioniert nicht mehr. Schon gar nicht bei hochpreisigen Produkten. Hier erwartet der Kunde ein anderes Umfeld, zum Beispiel eine Corner, auf der der Händler seine Highlights gesondert präsentiert.

Deshalb denkt man bei Online-Shops so intensiv über Filterfunktionen nach, damit der Kunde sich das Sortiment auf seine Bedürfnisse kleinschrumpfen kann. Genau das muss der stationäre Store auf seine Weise auch leisten. Dazu gehört außerdem noch ein einwandfreier Service mit freundlichem Personal und – das darf man nicht vergessen, man muss Multichannel leben. Das heißt z.B., dass man darauf achten sollte, dass das Verkaufspersonal keine Online-Kauf-Vermeidungstaktik fährt, weil es auf Provisionsbasis standortbezogen bezahlt wird.

„Digitalisierung ist wichtig“

Wie sieht es mit der Digitalisierung am POS aus, also beispielsweise Beacons oder interaktive Spiegel? Gibt es da schon gute Ansätze?
Die Digitalisierung ist wichtig, ganz klar, und viele finden die neuen Möglichkeiten interessant. Je nachdem, was es ist, ist das vielen Kunden aber noch zu abgefahren, und sie sind oft noch nicht bereit, sich darauf einzulassen. Für den Kunden ist es immer auch eine Frage der Zeit, also wie viel Zeit will er für den Kauf einer Jacke investieren?

Spannend finde ich technische Neuheiten als temporäre Events. Dann können diejenigen vorbei kommen, die sich für das Thema interessieren, und mit diesen Kunden kann ich Kontakt aufnehmen und Erfahrungen sammeln. Ich würde genau abwägen, welche technische Neuerung für meine Zielkunden langfristig interessant ist und es erst dann als volles Element ins Geschäft integrieren.

 

 

Über welche Stores spricht derzeit die Branche?
Meine Aufmerksamkeit richtet sich aktuell auf eher kleine, sehr individuelle Flächen, die Ware mit viel Zeitgeist in Szene setzen, verknüpft mit der Frage nach der möglichen Skalierung. In diesem Kontext und bezogen auf Sport/Lifestyle ist zum Beispiel Sneakersnstuff in Stockholm und London wegweisend. Hier hat man das Gefühl, man kommt in ein gut gestyltes Wohnzimmer.

International lässt sich beobachten, wie sich die Fahrradszene neu erfunden hat. Ob Bangkok, Barcelona, Hamburg, Stockholm: Weltweit tauchen designorientierte Fahrrad-Fachhändler auf. Die Szene trifft sich in angegliederten Cafes, Bars, Werkstätten und versprüht Zeitgeist. Das Bike Terminal in Bangkok trägt den Untertitel Hub of Cyclists, fasst damit alle Services zusammen und spricht Kunden dadurch sehr vielschichtig an.

Dazu passend bauen die Städte Radwege aus. Auch eBikes haben viel bewegt! Viel gesprochen wird derzeit vom neuen L+T Sporthaus in Osnabrück, das von Prof. Moths Architekten geplant wurde und im Herbst 2017 eröffnet werden soll. Es wird schon jetzt von vielen mit Spannung beobachtet.

 

 

Das Thema Multichannel beherrscht den Handel. Wie bringt man Online und Offline zusammen? Wie sehen dort aktuell die Lösungen aus?
Click & Collect & Return ist ein Schlagwort und ein vollständig transparenter Warenbestand. An weiterführenden Lösungen arbeitet Zalando aktuell. Die Berliner sind auf dem Weg, Ware, die sich sowohl im Lager als auch auf den Ladenflächen von Handelspartnern befindet, bei Zalando verfügbar zu machen. Wenn die technische Umsetzung sauber läuft, öffnen sich neue Türen für das Thema Multichannel.

Wie ist derzeit die allgemeine Marktlage? Welche Probleme stellen sich Retailern aktuell hinsichtlich des Retail Designs?
Aus meiner Sicht sind die Themen Veränderung, Perspektivwechsel und Geschwindigkeit viel mehr die aktuelle Herausforderung als die derzeitige Marktlage. Die ist natürlich nicht rosig, aber das ist sie schon lange nicht mehr. Die Händler halten durch, aber sie halten auch still. Von alleine kommen die goldenen Zeiten nicht zurück, dafür hat sich der Markt in den letzten Jahren viel zu stark weiter entwickelt und aufgeteilt. Tchibo und H&M machen inzwischen einen sehr guten Job. Die neuen Rahmenbedingungen muss man als Chance verstehen. Einigen gelingt das schon sehr erfolgreich. 



Dr. Regina Henkel Autor: Regina Henkel