Die Situation, über die in dem Rechtsstreit verhandelt wurde, kennt jeder aus der eigenen Erfahrung: Man googelt nach Marke und Produkt – in dem Fall nach „Ortlieb Fahrradtasche“ – und in der Google-Ergebnisliste ganz weit oben steht die Werbeanzeige von Amazon, die genau diese Adwords beinhaltet. Beim Anklicken führt der Link jedoch zu einem bunten Sammelsurium an Fahrradtaschen unterschiedlichster Hersteller. Das ist nicht nur für den Verbraucher irreführend, sondern missbraucht auch den Markennamen von Ortlieb. Dass die Bekanntheit des eigenen Markennamens den Wettbewerb fördert, muss der Heilsbronner Taschenspezialist und mit ihm alle Markenhersteller künftig nicht mehr hinnehmen.
„Für Marken ist das ein großer Schritt“, erklärt Martin Esslinger, Vertriebsleiter bei Ortlieb. Über fünf Jahre begleitete er den Rechtsstreit zwischen Ortlieb und dem Onlineriesen durch alle Instanzen. Immer wieder hat Ortlieb Recht bekommen, und Amazon legte Revision ein. Mit dem jüngsten Urteil hat der BGH ein entsprechendes Urteil des Oberlandesgerichts München bestätigt und damit den Fall abgeschlossen.
Warum lohnt sich für Ortlieb der ganze Ärger? „Unser Ansinnen war, dass wir die Markenhoheit in der Hand behalten wollen“, sagt Esslinger über die Motivation von Ortlieb. „Gerade in der heutigen Zeit, in denen Plattformen wie Amazon die Austauschbarkeit von Marken strategisch vorantreiben, ist Markenhoheit und die damit verbundene Markenidentität wichtiger denn je.“ Gehen die verloren, wird es eng für eine Premiummarke wie Ortlieb, die noch in Deutschland produziert.
Das Urteil beschert Ortlieb derzeit ein großes Medienecho und viel Beifall von Verbrauchern, Händlern und Marken. Zu den Gesinnungsgenossen im Outdoormarkt gehören beispielsweise Ortovox und Deuter, die ebenfalls mit selektivem Vertrieb arbeiten und Marktplätze per Vertrag ausklammern. „Wir befürchten einen negativen Effekt für unsere Marke, weil Amazon in keiner Weise eine Reputation für uns darstellt“, erklärt Felix Imaschewski, Vertriebschef von Ortovox. Die hohen Provisionen von Amazon ziehen Marge aus der Wertschöpfung, die anderswo fehlt. „Wir wollen, dass die Anstrengungen des autorisierten Fachhandels auch honoriert werden, indem er den Umsatz macht, und uns gleichzeitig mit aufbaut“, so Imaschewski.
Eigentlich dürfte es auf Amazon viele Markenprodukte gar nicht geben. Ortlieb und zahlreiche weitere Marken vertreiben ihre Produkte ausschließlich über ausgewählte Onlinehändler und den stationären Fachhandel, wo geschultes Personal die Unterschiede aufzeigen und wirklich beraten kann. Nicht umsonst ist eine Marke wie Ortlieb über den Fachhandel groß geworden, der mittlerweile auch sehr gut online funktioniert. Letzteres ist wichtig, weil die notwendige Sichtbarkeit im Netz eben nicht von einer Präsenz auf Amazon abhängig ist.
Auch Distributoren und Händler von Ortlieb verkaufen nicht über Marktplätze. Das regelt der Vertrag über den selektiven Vertrieb, der bei Ortlieb 2011 eingeführt wurde. „Leider gibt es irgendwo schwarze Schafe, die Amazon trotzdem mit unserer Ware beliefern“, so Esslinger. Um die Lieferkette transparent zu machen sucht Ortlieb nach neuen Lösungen. Esslinger: „Stand heute ist die Investition noch zu groß, aber wir arbeiten daran.“
Die zunehmende Macht von Amazon wird inzwischen längst kritisch gesehen. Etwa die Hälfte aller Online-Umsätze in Deutschland wird über die Plattform generiert. Das schafft gefährliche Abhängigkeiten für Marken und Händler mit Amazon als Vertriebskanal. Während die einen im Onlinehandel eine Zunahme an Verbraucherschutz sehen, weil er den Wettbewerb ankurbelt und die Preise senkt, befürchten andere den Verlust der Markenvielfalt. Das sehen auch Esslinger und Imaschewski: „Meine persönliche Befürchtung ist es, dass Amazon durch seine Dominanz die Pluralität im Markt gefährdet“, erklärt Imaschewski. „Ich kann in der Hinsicht die Meinung des Verbraucherschutzes nicht teilen. Auch der Konsument ist irgendwo Arbeitnehmer, und die Umsatzverlagerung auf Amazon und die zunehmend leeren Innenstädte gefährden letztlich auch Arbeitsplätze.“ Schwarz sieht er deshalb nicht: „Ich habe die große Hoffnung, dass mit der wachsenden Prominenz von Amazon auch die Lust auf die Nische wächst.“
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