Der Deutsche Alpenverein kommt in den vergangenen Jahren aus dem Feiern gar nicht mehr heraus. Die Mitgliederzahl hat längst die Millionengrenze durchbrochen und wer es am Wochenende nicht mehr in die Berge schafft, sucht sich kurzerhand eine Kletterhalle. Weit fahren muss man meist nicht, denn Neueröffnungen sind an der Tagesordnung. Das Geschäft boomt und das Zugpferd dieses Erfolges ist klar auszumachen: Wer heute zum Klettern geht, geht immer häufiger zum Bouldern.
"Rumpeldipumpel – da unter rollt er. Bouldern wollt' er", soll im Gipfelbuch des Postakegels in der Sächsischen Schweiz stehen. Doch wer nun fürchtet, hier werde mit Entsetzen Scherz getrieben, der irrt. Denn selbst wenn es beim Bouldern zum Sturz kommt, besteht doch keine Gefahr. Geklettert wird hier nur bis zur Absprunghöhe von circa 4,50 Metern, in der Halle noch dazu auf dicken Bodenmatten. Passieren kann da eigentlich nichts, vom Ärger über das eigene Missgeschick einmal abgesehen.
Dass eine Klettersportart ohne luftige Höhen und Rekordallüren zum Trend wird, ist genauso sympathisch wie verständlich. Denn Hürden für das Bouldern gibt es eigentlich nicht. Es braucht weder eine teure Ausrüstung noch eine lange Ausbildung. Sicherheitssysteme existieren nicht und Höhenangst spielt keine Rolle. Mitmachen kann jeder, der eine Leiter erklimmen kann – so das Motto in den Boulderhallen, die es landauf-landab immer zahlreicher gibt. Und das kann der sechsjährige Bube ebenso wie die 76-jährige Großmutter. Beim Alpinklettern sähe es anders aus.
"Klettern lernt man, indem man einfach viel klettert“, erklärt der amtierende Boulder-Europameister Jan Hojer im "Spiegel"-Interview und plädiert zugleich dafür, möglichst früh damit zu beginnen. Nur über dauerhaftes Üben komme letztlich die Kraft in Armen und Fingern, die es beim Bouldern zwingend braucht. Denn wenn es auch immer wieder heißt, mit Kraft allein könne man in dieser Sportart nichts anfangen, so geht es ohne sie doch viel weniger.
Dass es immer noch Menschen gibt, die vom Bouldern nie gehört haben, kann sich Hojer fast nicht vorstellen. Der 23-Jährige hat in den vergangenen Jahren erlebt, wie immer mehr Hallen speziell für diese Kletterart eröffneten und wo täglich hunderte Menschen trainieren. Und trainieren ist dabei vielleicht gar nicht der richtige Ausdruck – sie haben einfach Spaß: Spaß daran, zunächst im Kopf und dann mit dem Körper den richtigen Weg am Fels zu finden. Beim Bouldern sind das nur wenige Stationen, manchmal nur zwei, selten mehr als zwölf, die mit dem richtigen Schwung und Griff gemeistert werden wollen. Dieser kurze Weg ist eine Art Essenz des Sportkletterns. Hier sind alle Schwierigkeiten komprimiert. Wer sie meistert, kann sich mit Recht über den Erfolg freuen.
Während in den Städten die Boulderhallen boomen, gibt es auf dem Land jede Menge Outdoor-Konkurrenz. Die berühmteste davon wartet in den Wäldern von Fointainebleau, dem ältesten Bouldergebiet der Erde. Abertausende Boulder-Fans haben die Parcours im französischen Sandstein durchklettert, so mancher ist daran gescheitert. Die Schwierigkeitsgrade der verschiedenen Routen sind sehr unterschiedlich, manche der "Boulder-Probleme" scheinen unüberwindlich.Wie war das gleich? "Klettern lernt man, indem man einfach viel klettert ...“
Wer das Bouldern am Felsen liebt, findet überall Möglichkeiten dazu – im Tessin und in Graubünden in der Schweiz, im Zillertal in Österreich oder in der Sächsischen Schweiz in Deutschland, in Tschechien, den USA oder in Indien. Bouldern hat viele Zuhause. Und mancher Fan hat auch seinen Lieblingsfelsen, irgendwo ganz in der Nähe, der in keinem Klettergebiet verzeichnet ist.
Trotz des Reizes der Berge kommen immer mehr Menschen in die Halle. Hier gibt es Parkplätze und es schneit auch nicht. Noch wichtiger aber: Das eine schließt das andere nicht aus. Wer im Winter Indoor übt, kann sich im Frühjahr, im Sommer und Herbst Outdoor an den schönsten Plätzen versuchen.
Laut Tagesspiegel sind in Deutschland in den vergangenen Jahren rund 70 neue Boulder-Hallen pro Jahr eröffnet worden. Und auch ohne diese Zahl zu überprüfen, steht fest: Es gibt hunderte und es werden mehr. In München hat im Sommer 2010 eine der größten Boulder-Hallen der Welt eröffnet: weit über 1.000 Quadratmeter Kletterfläche, die auch dann bleiben, wenn sich ein anderer den Superlativ schnappt.
Der Gründer der Berliner Boulder-Halle Ostbloc findet im "Tagesspiegel" einen schönen Vergleich. Er sagt, um die komplexen Boulder-Probleme zu meistern, müsse man seine eigene "Choreografie entwickeln". Und tatsächlich bedeutet Bouldern Bewegung und Dynamik, denn oft genug braucht es den Schwung, um die besten Griffe und Haltepositionen zu erreichen. Wer in der Gruppe kommt, ist im Vorteil, denn Abgucken ist erlaubt. Bewegungsmuster lassen sich nachmachen oder gar verbessern. Zugleich wird das Klettern so zu einem gemeinschaftlichen Vergnügen und Wettbewerb. Niemand steht nur am Seil, um den Kletterpartner zu sichern. Alle können selbst an die Wand. Um einzuschätzen, was für das eigene Niveau machbar ist, kann man sich im Vorfeld an den farblichen Markierungen der einzelnen Routen orientieren.
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