Fitness/26.05.2020

„Von der Muckibude zur gesundheitsorientierten Fitnessanlage“

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Auch die Fitness-Wirtschaft wurde von der Corona-Krise schwer getroffen. Jetzt stehen die Zeichen auf Wandel, wie Fitness-Verbandschef Ralph Scholz im Exklusivinterview mit ISPO.com erklärt.

In immer mehr Bundesländern in Deutschland dürfen auch die Fitnessstudios unter strengen Auflagen wieder öffnen. Doch vieles wird nicht mehr so sein wie vor Beginn der COVID-19-Pandemie. Ralph Scholz, 1. Vorsitzender des Deutschen Industrieverbandes für Fitness und Gesundheit (DIFG) fordert bundesweit einheitliche Regelungen, sieht die Veränderung aber auch als Chance für die Branche.

ISPO.com: Herr Scholz, genau wie Gaststätten oder Hotels zählt die Fitness-Wirtschaft zu den durch die Corona-Krise besonders hart getroffenen Branchen…
Ralph Scholz: Die Situation ist desaströs. Wir haben eine Studie gemacht und rechnen 2020 mit 20 Prozent weniger Umsatz in der Fitnesswirtschaft im Jahresvergleich. Der Schaden dürfte über eine Milliarde Euro beitragen, bei einem Gesamtumsatz von etwa 5,5 Milliarden Euro.

Andere Branchen beklagen, dass viele Unternehmen vor der Insolvenz stehen. Wie sieht es in der Fitnessindustrie aus?
Vor allem inhabergeführte Fitnessstudios mit geringer Kapitaldecke sind extrem gefährdet. Ich denke, dass etwa bis 20 bis 30 Prozent um ihre Existenz kämpfen.

Wünschen Sie sich mehr Unterstützung von der Politik für Ihre Branche?
Am Anfang hatte die Politik die Fitnesswirtschaft überhaupt nicht auf dem Schirm. Aber zwischenzeitlich wurde glücklicherweise erkannt, dass die Branche gesundheits- und sozialrelevant ist. Typische Zivilisationsprobleme wie Übergewicht und Bewegungsmangel existieren weiter. Und die gehören gerade auch bei Corona zu den entscheidenden Risikofaktoren. Die persönliche Fitness ist wichtig für die Gesundheit. Das erkennen gerade in dieser Zeit immer mehr Menschen.

Ist das mitten in all den aktuellen wirtschaftlichen Problemen auch eine Chance für die Fitnessbranche?
Auf jeden Fall. Wer fitter ist, stärkt sein Immunsystem. Es geht immer mehr um das Thema Gesundheit. Das wird in Zukunft den Wandel beschleunigen: Von der Muckibude zur gesundheitsorientierten Fitnessanlage.

Wie der Wandel genau aussieht? Darüber wird auch auf den ISPO Re.Start Days diskutiert. Mehr dazu hier.

Mit strengen Regeln das Ansteckungsrisiko minimieren

Da passt die DIFG-Kampagne „Gesundheit braucht Fitness“ perfekt ins Bild.
Wir haben ein extrem positives Feedback darauf bekommen. Nicht nur aus der Branche, sondern auch von Endverbrauchern, die sich extrem für das Thema interessieren. Es gibt ein eindeutiges Signal von ihnen: Wir wollen wieder in die Studios gehen, um uns gesund zu erhalten.

Das Corona-Infektionsrisiko ist aber gerade bei Indoor-Fitnessstudios in Kombination mit aktiver körperlicher Betätigung nicht wegzudiskutieren.
Natürlich kann man eine Infektion nicht mit hundertprozentiger Garantie ausschließen. Aber die Studie der TU München und der IST Hochschule Düsseldorf hat eindeutig ergeben, dass die Öffnung von Fitnessstudios unter Einhaltung strenger Regeln verantwortbar ist. Man kann das Risiko minimieren. Deshalb ist es so wichtig, dass jede Regel kontrolliert werden kann. Im Moment wird das Thema der Einhaltung der neuen Hygieneregeln noch genauso unterschätzt wie die Wichtigkeit der Mitarbeiterschulung. Jeder muss genau wissen, welches Prozedere in welchem Fall einzuhalten ist. Das Wichtigste ist, die Ausbreitung dieses Virus zu verhindern. Deshalb braucht es bundesweit einheitliche Regeln über alle Locations hinweg. So kann man die Infektion dann auch lokal steuern, falls es einen neuen Ausbruch geben sollte.

Der DIFG unterstützt seine Mitgliedsbetriebe bei der verantwortungsvollen Wiedereröffnung
Der DIFG unterstützt seine Mitgliedsbetriebe bei der verantwortungsvollen Wiedereröffnung
Bildcredit:
DIFG

Spezielle Angebote für Risikogruppen

Sie haben eine repräsentative Umfrage über das Thema Fitness in Zeiten von Corona durchgeführt. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ergebnisse?
Zum einen hat die Umfrage ergeben, dass es vielen Menschen wichtig ist, einen möglichst hohen Schutzstandard zu haben. Deshalb muss es im Eigeninteresse der Studios sein, genau das zu gewährleisten. Zum anderen müssen sich die Studios überlegen, wie sie das Thema Gesundheit stärker integrieren. Auf dieses Thema legen die Menschen gerade wegen Corona jetzt noch viel mehr Wert.

Das war ja schon vorher ein genereller Trend.
Genau. Viele Menschen kommen zum Stressabbau ins Studio. Die Verbindung von Körper und Geist – wie zum Beispiel beim Yoga – gewinnt immer mehr an Bedeutung. Wir müssen deshalb auch die sportpsychologische Ebene in unseren Angeboten stärken.

Haben Sie die Befürchtung, dass durch die wochenlange Schließung der Fitnessstudios viele Kunden zum Heimtraining oder zu Online-Angeboten abgewandert sind?
25 Prozent der Befragten haben angegeben, dass sie ihr neu begonnenes Heimtraining weiterführen. Aber nur als Ergänzung zum Besuch ins Fitnessstudio. Kostenlose Online-Angebote waren in Zeiten von Corona sicher in Ordnung. Aber damit sollte jetzt wieder Schluss sein. Ansonsten passiert der gleiche Fehler wie einst bei den Medien. Als das Internet kam, haben viele Zeitungen ihre Inhalte kostenlos ins Internet gestellt. Deshalb ist es auch jetzt noch viele Jahre später schwierig, Einnahmen mit wertigen Inhalten zu erzielen. Das darf der Fitnesswirtschaft nicht passieren.

Was sind aus Ihrer Sicht außerdem die wichtigsten Zukunfts-Aufgaben für die Branche?
Erstens die gründliche Aufklärung der Mitarbeiter und Kunden über die neu geltenden Regeln. Zweitens muss ein möglicher zweiter Lockdown wesentlich besser vorbereitet sein – weil ansonsten einem Großteil der Branche das Aus droht. Es muss vorher klar sein, wie man trotz eines neuerlichen Virus-Ausbruchs die Fitnessstudios offenhalten und Training anbieten kann. Es muss vorher klar sein, mit welch finanzieller Unterstützung man im Fall der Fälle rechnen kann. Ansonsten werden sich genau wie in anderen besonders betroffenen Branchen wie Hotels, Gastronomie und Kosmetikstudios die Leute schwer tun, einen positiven Fall zu melden. Drittens müssen die Studios zukunftssicher gestaltet werden. Es muss jedem klar sein, wohin die Reise geht. Es muss neue Gesundheitsangebote geben. Genau wie spezielle Offerten für die sogenannte COVID-19-Risikogruppe. Ich finde es schlimm, dass diese Menschen momentan so ausgeschlossen werden. Sie sind eine Kernzielgruppe für unsere Branche, weil sie ein besonderes Interesse an der Gesundheit haben. Für diese Gruppe müssen Konzepte und Trainingsmöglichkeiten her!

Ihre Prognose für die Zukunft der Branche?
Ist positiv! Einige Studios berichten über eine besonders hohe Neuanmeldequote in den Corona-Wochen. Das Bewusstsein, dass man für den Zustand seines Körpers selbst verantwortlich ist, hat sich bei vielen Menschen gerade in der Zeit des Lockdowns verstärkt. Nur auf der Couch sitzen ist nicht besonders schön, Sport und Fitness sind besonders wichtig für die Lebensqualität.

Gesundheit ist einer der großen Schwerpunkte auf den ISPO Re.Start Days. Mehr dazu hier.